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Montag, 30. Oktober 2017

Film-Rezensionen: PATTI CAKE$ - Queen of Rap

Patricia Dombrowski (Danielle Macdonald) ist Anfang 20 und lebt mit ihrer desillusionierten Mutter Barb (Bridget Everett) und der Großmutter Nana (Cathy Moriarty) in einer tristen Gegend in New Jersey. Barb stand einst kurz vor einer Karriere als Rocksängerin, aber dann wurde sie mit Patti schwanger, jetzt trinkt sie zuviel und ist mit den falschen Männern zusammen. Nana hat eine gebrochene Hüfte, eine Operation kann sich die Familie nicht leisten und so sitzt sie, von Pattie mit starken Schmerzmitteln versorgt, im Rollstuhl und verbringt ihre Zeit vor dem Fernseher.

Pattie hat einen Job in einer Kneipe, schenkt Jägermeister aus und träumt von einer Musikerkarriere als Rapperin. Allerdings ist sie weiß, eine Frau und ziemlich übergewichtig, nicht gerade die idealen Voraussetzungen für dieses Genre. Ihr bester Freund Jheri (Siddarth Dhananjay), der in einer Apotheke arbeitet und in seiner Freizeit den coolen R&B Sänger gibt, ist der einzige, der an sie glaubt. Er ermutigt sie unermüdlich, wenn auch nicht ganz uneigennützig. Wenn man in New Jersey lebt und auf die scheinbar so nahe Skyline von Manhattan blickt, hat man das Ziel, eines Tages den verdammten Fluss zu überqueren, um auf der anderen Seite zu Ruhm und Reichtum zu kommen. Dies gelingt bisher aber nur in ihren Träumen, in denen Patricia a.k.a. Patti Cake$, a.k.a. Killa P., mit Hilfe ihres Idols, Rap-Gott O-Z, in den Rap-Himmel aufsteigt, wo der Champagner fließt und das Leben sorglos und schön ist. 

In ihrem Alltag scheitert sie immer wieder, mal an sich selbst, mal an der Realität. Erst die Begegnung mit dem geheimnisvollen Musiker Basterd gibt Pattie den entscheidenden Impuls und die Unterstützung von Nana und Jheri hilft ihr, sich immer wieder aufzurappeln, schließlich sammelt sie auf diesem Weg den besten Stoff für ihre Rap-Songs. Ob sie es schließlich tatsächlich ganz nach oben schaffen wird, bleibt offen, aber das Ende des Films ist optimistisch und ein Durchbruch scheint tatsächlich in greifbarer Nähe. 

Was wie eine weitere kitschige Story klingt, in der eine verschworene Gruppe von Außenseitern sich zusammenfindet, um einen unmöglich scheinenden Traum zu verwirklichen und diesem am Ende verdammt nahe kommt, weil man nie aufgehört hat, an sich zu glauben, hat Regisseur Geremy Jasper furios und mit originellen Ideen umgesetzt. Er hat in seiner Karriere bisher Musikvideos u.a. für Florence + The Machine und Selena Gomez kreiert, dies kommt ihm vor allem in den Musikszenen zugute. Mit schnellen Schnitten setzt er die Musikperformances grandios in Szene und die Rapsongs, die allesamt aus seiner Feder stammen, haben Ohrwuhrmcharakter. Aber auch die Rahmenhandlung ist frisch und mitreißend umgesetzt, die Charaktere werden jenseits ihrer klischeehaften Anlage lebendig und nehmen den Zuschauer mit in ihre Welt, ein Amerika nicht ganz unten, aber nicht weit davon entfernt, in dem man mit einfachen Jobs nicht in der Lage ist, einen notwendigen Krankenhausaufenthalt zu bezahlen, ohne danach tatsächlich ganz unten anzukommen.

Jasper führt seine Darstellerriege unprätentiös und er verzichtet auf bekannte Stars. Mit Danielle Macdonald hat er aber einen wahren Glücksgriff getan. Sie ist eine Urgewalt, wenn sie voller Inbrunst die nicht jugendfreien Texte herausrotzt und kann im nächsten Moment trotz ihrer Leibesfülle so verletzlich und zart wirken. Aber auch die anderen Akteure kommen so glaubhaft herüber, dass die Geschichte jenseits aller Klischees lebendig wird und die grauen Vorstadtbilder sich mit Pattis Traumsequenzen zu einem unterhaltsamen Mix aus Musical, Drama, Underdog- und Coming-of-Age-Story verbinden.


Regie: Geremy Jasper
Drehbuch: Germey Jasper 
Kamera: Federico Cesca 
Original Songs:  Geremey Jasper
Darsteller: Danielle Macdonald, Bridget, Everett, Siddarth Dhananjay,   Athie, Cathy Moriarty

Fox Searchlight Pictures 
109 min. 
Kinostart: 02. November 2017



Mittwoch, 25. Oktober 2017

Film-Rezensionen: Gauguin


Wer den Namen Paul Gauguin hört hat wahrscheinlich sogleich farbenfrohe Bilder von Palmen und blumengeschmückten jungen Frauen im Kopf, von Tahiti, diesem Sehnsuchtsort inmitten der weiten Südsee, von dem viele Menschen auf der ganzen Welt träumen. 

Der französische Maler Gauguin (Vincent Cassel) wird inmitten der Pariser Tristesse immer wieder von diesem Traum heimgesucht. Ursprünglich aus einem bürgerlichen Leben kommend hat er sich ganz und gar der Malerei verschrieben, aber wie so vielen Kollegen bleibt ihm der Erfolg verwehrt und irgendwann wird die Idee vom einfachen Leben, von Freiheit und künstlerischer Inspiration unter südlicher Sonne immer drängender. Es gelingt ihm nicht, einen einzigen seiner Malerkollegen dafür zu begeistern, mit ihm nach Tahiti zu reisen, auch seine dänische Frau Mette und seine fünf Kinder sind für dieses Abenteuer nicht zu haben. Weil er aber das Gefühl hat, zu ersticken und nach eigener Aussage „keine Landschaft und kein Gesicht mehr findet, die es verdienen, gemalt zu werden“, macht er sich 1891 allein auf den Weg in die Südsee, dorthin, wo man nach seiner Vorstellung mit wenig Geld glücklich werden kann.

Wie so viele Auswanderer holt ihn die Realität sehr schnell ein, das exotische Paradies entpuppt sich als grüne Hölle, in der seine romantischen Vorstellungen schnell zerplatzen. Der Film bietet eindrucksvolle Bilder, allerdings keine bunten und fröhlichen von Sonne, Sand und Palmen, die Landschaft zerfließt vielmehr graugrün im Regen und die Menschen singen und tanzen auch nicht ständig, sie haben sich nach Kolonialisierung und Christianisierung von ihrem ursprünglichen Leben bereits weit entfernt. Gauguin geht es, von Krankheit und Armut gezeichnet, bald so mies wie in Paris und er muss erkennen, dass er, wie alle zugewanderten Weißen, seinen Beitrag dazu leistet, die Ursprünglichkeit und Unbefangenheit der Tahitianer für immer zu zerstören. Um der neuerlichen Tristesse zu entfliehen zieht er, mit einem Pferd und wenigen Vorräten, dafür mit reichlich Farben und Leinwänden versehen, finanziert vom Geld, das er von seiner Frau aus Frankreich erhält, immer tiefer hinein in den Urwald, ausgezehrt, verhärmt – und endlich frei?

Er lebt zusammen mit der jungen Tahitianerin Tehura (Tuhei Adams), die seine Muse und Gefährtin wird, sie verewigt er immer und immer auf seinen später weltbekannten Bildern. Aber ihre Beziehung ist, wie so Vieles in seinem Leben, zum Scheitern verurteilt. Auch eine Rückkehr in die Stadt, wo Gauguin trotz seiner angeschlagenen Gesundheit einen Job im Hafen annimmt, um sich und Tehura durchzubringen, hilft nicht, irgendwann geht Tehura zu ihrer Familie zurück und Gauguin erkennt sein Scheitern im Paradies. Desillusioniert, krank und in einem desolaten Zustand fährt er zunächst heim nach Frankreich, kehrt dann noch einmal nach Polynesien zurück, wo er stirbt, ohne den Ruhm und die Anerkennung zu erleben, die seinen Werken später zuteil wurden.

Der Film basiert auf einem Reisebericht Gauguins mit dem Titel „Noa Noa“, den dieser selbst verfasst hat. Sowohl Bericht als auch Film haben keinen dokumentarischen Charakter, tatsächliche Ereignisse mischen sich mit fiktionalen Elementen. Wie in seinen Bildern hat Gauguin auch in „Noa Noa“ seine eigene Welt erschaffen und als Zeuge einer untergehenden Zivilisation gemalt, was sich gerade auflöste. Es wird einmal mehr klar, dass jeder, der sich auf die Suche nach dem Paradies macht, dieses mit seinem Eintreffen dort dem Untergang weiht.

Regisseur Edouard Deluc orientiert sich an der wahren Lebensgeschichte Gauguins, nimmt sich aber auch künstlerische Freiheiten heraus. So gibt es reale Figuren, aber in Tehura verdichten sich mehrere Frauen, die Gauguin geliebt hat, und auch die dramatische Beziehung eines Liebes-Trios zwischen Gauguin, Tehura und einem jungen Tahitianer hat es so nicht gegeben. Aber es ist ein ambitioniertes Werk, getragen von einem großartigen, tief in seine Figur eintauchenden Vincent Cassel, der mit jeder Faser seines Körpers leidet, um in seinen Bildern das zu schaffen, was es so nicht gibt: Reinheit, Schönheit und ewiges Glück.

Regie: Edouard Deluc 
Drehbuch: Edouard Deluc, Etienne Comar, Thomas Lilti, Sarah Kaminsky, frei adaptiert nach „Noa Noa, Voyage de Tahiti“ von Paul Gauguin 
Produktion: Bruno Levy
Kamera: Pierre Cottereau 
Originalmusik: Warren Ellis 
Darsteller: Vincent Cassel, Tuhei Adams, Malik Zidi, Pua-Tai Hikutini, Pernille Bergendorff

101 min. 
Deutscher Kinostart: 02. November 2017

Montag, 9. Oktober 2017

Film-Rezensionen: What happened to Monday?

Die Zukunft ist düster: Die Weltbevölkerung hat dramatisch zugenommen und Klimaänderungen führen zu Missernten und Hungersnöten. Es gilt daher eine strenge Ein-Kind-Politik, überzählige Babys werden vom Child Allocation Bureau (CAB) unter der Leitung von Nicolette Cayman (Glenn Close) aus den Familien genommen und in einer Art Kältekammer – der sogenannten Cryobank – „zwischengelagert“, bis eines Tages eine Lösung für sie gefunden wird.


Ausgerechnet in dieser Zeit gibt es eine Häufung von Mehrlingsgeburten und so erblicken auch die Siebenlinge der Karen Settman das Licht der Welt. Da der Vater unbekannt bleibt und die Mutter bei der Geburt stirbt, kümmert sich Großvater Terrence Settman (Willem Dafoe) um die Kleinen. Es gelingt ihm, alle sieben zu sich zu holen und er gibt ihnen die Namen Monday, Tuesday, Wednesday, Thursday, Friday, Saturday und Sunday. Da es offiziell nur ein Kind gibt – zu Ehren der Mutter Karen Settman genannt – dürfen alle Kinder nur an ihrem Wochentag die Wohnung verlassen und später die Schule besuchen. Abends gibt es dann für alle ein Update über die Geschehnisse des Tages draußen.


Dreißig Jahre später haben sich die Schwestern (alle gespielt von Noomi Rapace) unter dem Namen „Karen Settman“ in ihrem einzigen Leben eingerichtet. Sie haben einen Job, dem jeden Tag eine andere nachgeht, samstags kümmert sich Saturday um die sozialen
Kontakte, während Sunday die Gemeinschaft mütterlich zusammenhält. Da jeder Mensch am Arm einen Chip trägt, der ihn als Einzelkind ausweist und diese Chips überall kontrolliert werden, führen die Settmans ein Leben in ständiger Gefahr, eines Tages doch noch entdeckt zu werden. Ihr Zusammenleben auf engstem Raum, zu dem kein Fremder Zutritt hat, führt immer wieder zu Spannungen, vor allem weil die Schwestern charakterlich und von ihren Interessen her unterschiedlicher nicht sein könnten. Monday scheint die Rolle der Karen Settman und ihre Aufgabe im Job am besten auszufüllen, während Tuesday eher wild und unkonventionell daherkommt. Wednesday stählt und trainiert ihren Körper, Thursday ist die Rebellin, die ihr Leben immer wieder in Frage stellt, Friday ist ein Computernerd, und Saturday ein Partygirl, das am liebsten blondiert ausgeht, während die mütterliche Sunday den Laden zusammenhält. In den eigenen vier Wänden leben alle diese Unterschiede aus, tragen individuelle, ihren Interessen angepasste Kleidung und Frisuren, als Karen Settman müssen sie vor Verlassen der Wohnung mit Hilfe eines Computer-Scans allerdings alle Unterschiede beseitigen, eine lästige und zermürbende Routine, aber der einzige Weg, den Häschern des CAB zu entgehen.


Das Arrangement funktioniert solange, bis eines Tages etwas geschieht, das alles in Frage stellt: Monday kehrt nicht von der Arbeit zurück. Die verbliebenen Schwestern versuchen verzweifelt, herauszufinden, was geschehen ist, wobei sie ziemlich schnell ihre mühsam errichtete Fassade einreißen, und damit wird aus dem familiären Kammerspiel ein furioser Action-Thriller.


Nach Tatiana Maslany in der kanadisch-amerikanischen SF-Serie „Orphan Black“ muss nun auch Noomi Rapace die Herausforderung meistern, mehrere Personen in ihren verschiedenen Facetten darzustellen, vom Heimchen am Herd über die erfolgreiche Geschäftsfrau und den Computernerd bis zur durchtrainierten Kampfmaschine, und es gelingt ihr bravourös.

Neben Rapace konnte Willem Dafoe für die Nebenrolle des Settman-Großvaters gewonnen werden, und Clenn Close verkörpert eine moderne Version der Cruella De Vil, die es diesmal nicht auf kleine Hunde, sondern Kinder abgesehen hat. Eiskalt und mitleidlos setzt sie eine angeblich dem Wohl der Weltbevölkerung dienende Maßnahme durch, bis sie am Ende des Films als Monster dasteht. Zynischerweise stellt sich aber genau dann die Frage, ob ihre Grausamkeiten nicht vielleicht doch gerechtfertigt waren, denn das Problem der Überbevölkerung spitzt sich weiter zu...

Der Film wirft einmal mehr einen pessimistischen Blick in die Zukunft. Die Sorgen der Gegenwart (Überbevölkerung, Klimawandel, Hunger) scheinen unausweichlich in einer dystopischen Gesellschaft zu münden. Im Gegensatz zu vielen anderen SF-Filmen gibt es wenig technische Fortschritt zu bestaunen, aber die Menschen leben und arbeiten in einer überwachten Welt, was bereits George Orwell in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts umtrieb. Da es zumindest offiziell keine Familie mit mehr als einem Kind gibt, wird der private Rückzugsbereich auf ein minimales Maß zurückgefahren. Der Wunsch nach Individualität ist gleichzeitig Segen und Fluch der Settman-Schwestern, ihr geschwisterlicher Zusammenhalt ist ihre Stärke, ihre einzelnen Persönlichkeiten nicht wirklich ausleben zu können treibt jedoch einen Keil in diese anfangs verschworene Gemeinschaft, zumal, wenn dann noch die Liebe zu einem Mann ins Spiel kommt.

Mit dieser Thematik setzt sich der Film dann aber nicht weiter auseinander, sondern nutzt sie als Rahmen für eine actionreiche und spannend inszenierte Tour de Force der Settman-Frauen auf der Suche nach ihrer verschwundenen Schwester Monday, bei der Noomi Rapace alle Register ziehen darf - eine starke Frau in einem starken Film!

Regie: Tommy Wirkola
Drehbuch: Max Botkin, Karry Williamson 
Musik: Christian Wibe 
Kamera: Jose David Montero 
Produzenten: Raffaella De Laurentiis, Philippe Rousselet, Fabrice Gianfermi
Darsteller: Noomi Rapace, Glenn Close, Willem Dafoe, Marwan Kenzari

Deutscher Kinostart: 12. Oktober  2017 
ca. 123 min.