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Dienstag, 10. März 2020

Film-Rezensionen: New York - Die Welt vor deinen Füßen (The World Before Your Feet)


Der Amerikaner Matt Green ist gut zu Fuß: Nach einem Marsch von Küste zu Küste quer durch die Vereinigten Staaten nimmt er sich vor, jede Straße und jede Gasse in allen Stadtbezirken von New York City zu durchwandern, einschließlich aller Parks und Friedhöfe, insgesamt eine „Reise" von mehr als 8000 km. 
Durch Greens regelmäßigen Onlineblog auf ihn aufmerksam geworden, begleitet der Filmemacher Jeremy Workman Matt eine Zeit lang, und aus dem gesamten Bildmaterial ist dieser Film entstanden. Wer ein Hochglanzporträt von New York erwartet, wird vielleicht enttäuscht sein, denn es geht vielfach in eher unbekannte Gegenden, und der Film bietet auch keine strukturierte Wanderung, sondern nähert sich seinem Thema mit immer neuen Ansatzpunkten und unter immer neuen Vorzeichen. Mal sind es besondere Pflanzen, die Green auffallen, mal originelle Friseurschilder, oder alle Zeichen, die an 9/11 erinnern, er hat seine Augen offen für alles. 

Green, der seine Wanderung nicht begonnen hat, um Filmstar zu werden, der seinen gutbezahlten Job und seine Wohnung aufgegeben hat, bei Freunden wohnt und von Ersparnissen und Verdiensten als Baby-, Katzen- und Hundesitter lebt, kann kein wirkliches Ziel und keine Gründe angeben, wenn er auf seiner Wanderung denjenigen, denen er begegnet und die ihn fragen, unzählige Male erklärt, was er macht. 

Er geht einfach, und überlässt es anderen, dem Ganzen einen Sinn zu geben, er braucht augenscheinlich keinen, sondern macht einfach, was er macht. Dank Filmemacher Workman ist am Ende das spannende Porträt eines scheinbar ziellosen Menschen mit einem starken Willen und einer faszinierenden Stadt entstanden, in jeder Hinsicht außergewöhnlich und sehenswert.


Regie: Jeremy Workman
Kamera: Jeremy Workman
Schnitt: Jeremy Workman
Musik: Max Avery Lichtenstein, Carly Comando, Helen Jane Long, Rhonda Mackert, Tom Rosenthal

Darsteller: Matt Green + Die Straßen von New York

Happy Entertainment
Dokumentarfilm, 95 min.
USA 2018
FSK 0
Deutscher Kinostart: 12. März 2020



Dienstag, 3. März 2020

Film-Rezensionen: Emma (Emma.)


England, Anfang des 19. Jahrhunderts: Emma Woodhouse (Anya Taylor-Joy) gehört zur High Society im ländlichen Highbury nahe London. Sie ist jung, hübsch und eingebildet, und es macht ihr Spaß andere miteinander zu verkuppeln, während ihr für sich selbst, wählerisch wie sie ist, kein Kandidat gut genug zu sein scheint. 

Ihre Wahl für Freundin Harriet (Mia Goth) macht diese zunächst nur unglücklich und hierfür muss sich Emma von George Knightley (Johnny Flynn), einem Freund der Familie, auch gehörig den Kopf waschen lassen. Aber es dauert ziemlich lange, bis Emma mehr in ihm sieht als einen krittelnden Spötter.

In dieser neuen Verfilmung des Jane-Austen-Romans darf Anya Taylor-Joy ihrer Emma etwas mehr Schärfe geben als zuletzt Gwyneth Paltrow in der 1996-ger Version, und dies hat dem Film nicht geschadet. Es bleibt zwar ein Gesellschafts- und Sittengemälde aus längst vergangenen Tagen, aber das Zeitlose des Beziehungenknüpfens wird in opulenten Bildern, die wahrhaftig an Gemälde alter Meister erinnern, auch für den heutigen Zuschauer sehenswert aufbereitet. Die Figuren bewegen sich im Rhythmus ihrer Zeit, wer sich darauf einlässt, erfährt eine wunderbare Entschleunigung. 

Den leicht ironischen Unterton Jane Austens, die ihre Figuren, dabei vor allem die Frauen, trotz allem ernst nimmt, schwingt ebenso mit, wie die Überzeichnung einiger männlicher Protagonisten, die nicht immer gut wegkommen, wie der schmierige Pfaffe Mr. Elton (Josh O’Connor), ein Ausbund an Bigotterie, oder Emmas Vater, der sanfte Mr. Woodhouse (hervorragend interpretiert von Bill Nighy), bei dem nicht immer klar wird, ob er alles durchschaut, was seine Tochter so treibt. 

Wer sich für zwei Stunden in vergangenen opulenten Bildern mit wunderschönen optischen Arrangements und geschnörkelten Dialogen verlieren und dabei den Geist Jane Austens spüren möchte, der ist bei diesem Film bestens aufgehoben. Wem dies nicht liegt, dem wird der Lauf der Jahreszeiten, über die sich die Handlung erstreckt, lang werden.
 


Regie: Autumn de Wilde
Drehbuch: Eleanor Catton, b/a Roman von Jane Austen
Kamera: Christopher Blauvelt
Schnitt: Nick Emerson
Musik: David Schweitzer, Isobel Waller-Bridge

Darsteller:
Anya Taylor-Joy, Johnny Flynn, Bill Nighy, Mia Goth, Myra McFadyen, Josh O’Connor, Callum Turner, Rupert Graves, Miranda Hart


Working Title Pictures/ Universal International Pictures (UPI)
125 min.
FSK 0
Deutscher Kinostart: 05. März 2020


Film-Rezensionen: Onward - Keine halben Sachen (Onward)


Früher war mehr Magie… Ian Lightfoot und sein älterer Bruder Barley leben in einer Elfenwelt, wo es zwar jede Menge Fabelwesen gibt – der Haushund ist ein vorwitziger Drache und der neue Freund der Mutter ein Zentaur in Polizeiuniform – aber ansonsten hat die Moderne Einzug gehalten. 

An seinem 16. Geburtstag wird dem schüchternen Ian wieder einmal bewusst, wie sehr er den früh verstorbenen Vater vermisst, aber dann erhält er die Gelegenheit, sich selbst in lang vergessen geglaubter Magie zu versuchen und den Vater für einen Tag auf die Erde zurückzuholen. Leider gelingt dies buchstäblich nur halb und plötzlich steht dessen in Hose und Schuhe gekleideter Unterkörper im Zimmer. Ian und Barley haben nur 24 Stunden Zeit, auch den Rest zu materialisieren und begeben sich zusammen auf eine abenteuerliche Suche nach den fehlenden Zutaten für den Zauber, bei der sie unter anderem von einem domestizierten Mantikor unterstützt werden, doch die Zeit rinnt ihnen davon...

Der neue Film aus dem Hause Pixar enttäuscht die Erwartungen nicht, er ist witzig, voller fantasievoller und schräger Ideen und wunderbar umgesetzt. So real die Figuren in Mimik und Gestik auch agieren, es bleiben Animationen und das verleiht ihnen den Charme, der den animierten Realfiguren im „König der Löwen“ leider verloren gegangen ist.

Bestechend ist die gewohnte Liebe zum Detail – hier sei der langsam wachsende zarte Flaum an Barleys Kinn erwähnt – aber auch das Füllhorn an Ideen und Charakteren, die die Leinwand bevölkern, wie zum Beispiel eine Horde winziger, geflügelter, schriller Rocker auf riesigen Maschinen. Alte Mythen, wie der des furchterregende Mantikor, werden heraufbeschworen, um sie augenzwinkernd ein bisschen durch den Kakao zu ziehen, ohne sie jedoch lächerlich zu machen, selbst einem furchterregenden Fluch wird durch einen hübschen Gag der Schrecken genommen, auch wenn es bis zum Schluss eine ernsthafte Aufgabe zu lösen gilt. Und das Ende, das so kitschig und schmalzig hätte werden können, ist ganz zart und anrührend, und damit beschert ausgerechnet ein Animationsfilm einen der bislang bewegendsten Momente des noch jungen Filmjahres.

Alles in allem ein Film für Kinder, aber auch alle Eltern, solange diese ihren Sinn für die magische Welt neben der unseren nicht verloren haben.




Regie: Dan Scanlon
Drehbuch: Dan Scanlon, Jason Headley, Keith Bunin
Kamera: Sharon Callahan, Adam Habib
Schnitt: Catherine Apple
Musik: Jeff und Mychael Danna

Originalsprecher:
Tom Holland, Chris Pratt, Julia Louis-Dreyfus, Octavia Spencer, Tracey Ullman, Mel Rodriguez

 Walt Disney Pictures/ Pixar
FSK 0
102 min.
Deutscher Kinostart: 05. März 2020