Blog-Archiv

Dienstag, 30. Juni 2020

Filmrezension: 7500


Auf dem Weg von Berlin nach Paris versuchen Terroristen das Cockpit einer Maschine zu stürmen. Der junge Co-Pilot Tobias Ellis (Joseph Gordon-Levitt) leistet heroischen Widerstand, aber dann spitzen sich die Ereignisse zu, und die Maschine droht, abzustürzen, aus dem Routineflug wird ein Horrortrip…

Die titelgebende Ziffernfolge ist der Code für die Meldung einer Flugzeugentführung, die bei den heutigen Sicherheitsstandards nicht mehr so häufig vorkommt, aber der Film zeigt, wie es dennoch möglich ist. Dabei gelingt dem deutschen Regisseur Patrick Vollrath das Kunststück, auf engstem Raum, in der klaustrophobischen Enge eines Cockpits, atemberaubende, fast körperlich spürbare Spannung zu erzeugen, ohne aufwändige Spezialeffekte und so gut wie keine Außenaufnahmen. Er streut weder Bilder des im Flug befindlichen Flugzeugs ein, noch bekommt man andere Personen außerhalb des Cockpits zu sehen, der Kontakt nach draußen erfolgt ausschließlich akustisch und die Passagiere sind lediglich beim Boarding kurz zu sehen, später liefert eine Überwachungskamera leicht unscharfe Bilder aus dem Vorraum der Passagierkabine. Eine derart minimalistische, nur auf das Wesentliche konzentrierte Inszenierung von Angst und Schreckens gibt es nicht allzu oft, Stephen Spielberg ist dies beispielsweise in seinem Frühwerk „Duell" ("Duel") von 1971 eindrucksvoll gelungen, bei dem ein Autofahrer von einem gesichtslos bleibenden Lastwagenfahrer gejagt wird. So kann Kino also auch sein, einfach und effektiv, an Emotionen und Urängste rührend, bis es schmerzt.

Dass die beschriebene Spannung über 90 Minuten tatsächlich aufrecht erhalten bleibt, liegt neben der gelungenen Inszenierung auch an der intensiven Darstellung der Akteure, allen voran Joseph Gordon-Levitt, der im Kampf um die Cockpit-Tür zum Helden wider Willen und zum Herrn über Leben und Tod wird. Aber auch der junge Omid Memar als Terrorist Vedat kann überzeugen, wenn auch das, was seine Figur und die seiner Komplizen angetrieben hat, nicht weiter ausgebreitet wird. Es fehlt eine konkrete politische Botschaft und die Motive der Terroristen bleiben diffus und plakativ, vielleicht der einzige Vorwurf, den man dem Film machen kann. Ansonsten ein Kammerspiel der besonderen Art, packend und aufwühlend, nichts für schwache Nerven!



Regie: Patrick Vollrath
Drehbuch: Patrick Vollrath, Senad Halilbasic
Kamera: Sebastian Thaler
Schnitt: Hansjörg Weißbrich

Darsteller:
Joseph Gordon-Levitt, Omid Memar, Aylin Tezel, Carlo Kitzlinger, Murathan Muslu

Augenschein Filmproduktion/ Leonine
93 min.
FSK 12
Amazon Prime Video

Montag, 29. Juni 2020

Film-Rezensionen: Suicide Tourist – Es gibt kein Entkommen (Selvmordsturisten)


Als der Versicherungsmakler Max Isaksen (Nikolaj Coster-Waldau) an einem unheilbaren Hirntumor erkrankt, gerät er in eine existentielle Krise, die ihn und seine Frau Lærke (Tuva Novotny) an ihre Grenzen bringt. Bei diversen Versuchen, sich in sein Schicksal zu fügen und letztlich auch zwei vergeblichen Ansätzen, sich selbst zu töten, stößt Max eines Tages auf das mysteriöse „Hotel Aurora", das finale Lösungen für betreute Suizide anbietet. Allerdings gibt es nach Unterzeichnung eines entsprechenden Vertrages kein Zurück mehr…

Der Film ist ein Mystery-Puzzle, das seinen Protagonisten, aber auch den Zuschauer auf eine surreale Reise zwischen Leben und Tod nimmt, wobei sich die Handlung in Rückblenden und Zeitsprüngen zunächst sehr behäbig entwickelt. Die verwaschenen Bilder scheinen ein Spiegelbild von Max Innenleben zu sein, der verzweifelt versucht, sich von Lærke zu verabschieden, ohne sie wirklich einzubeziehen. Seine beiden Selbstmordversuche zeigen einen grimmigen, grotesken Humor, ein Fremdkörper in einem ansonsten düsteren Szenario, das bis zum Ende keine richtige Spannung aufkommen lässt, wohl aber eine Faszination, die auch nach Ende des Films noch nachwirkt.

Neben Nikolaj Coster-Waldau, der seine Figur gleichzeitig intensiv und nichtssagend als Mann ohne Eigenschaften anlegt, ist das labyrinthisch und unwirklich anmutende Ambiente des Hotels Aurora der heimliche Hauptdarsteller, eine abgelegene Einrichtung inmitten der beklemmenden Kulisse einer grandiosen Gebirgslandschaft. Diese Beklemmung steigert sich, je tiefer Max in die Geschäftspraktiken des Hotels eintaucht, die seinen Kunden jede Wahl hinsichtlich des gewünschten Endes lässt, bezüglich der eingesetzten Mittel, aber auch, inwieweit ökologische Aspekte eine Rolle spielen sollen, sei es die kompostierbare Urne oder die Möglichkeit, als Pflanzendünger, dem Kreislauf des Lebens erhalten zu bleiben – nur auschecken kann man aus dem Hotel eben nicht mehr... und dann verschwimmen am Ende albtraumhaft die Grenzen zwischen dem, was Realität und was mögliche Visionen seitens Max aufgrund des Hirntumors sein mögen.

Der Film lässt sich in keine Kategorie so richtig einordnen, für einen regelrechten Thriller fehlen Spannungsbogen und Auflösung am Ende, und den ethischen Fragen im Zusammenhang mit erlaubter Sterbehilfe, wie es sie in einigen Ländern Europas gibt, stellt er sich auch nicht. Letzteres ist jedoch ein legitimer Ansatz, denn eine einfache Antwort zu diesem schwierigen Thema gibt es ohnehin nicht und so ergeht an den Zuschauer die Einladung, selbst oder mit anderen darüber zu reflektieren.

Alles in allem keine leichte Kost, aber dennoch sehenswert, und wenn man dafür empfänglich ist, wird der Nachhall des Films nach dem Verlassen des Kinos noch länger wirken, etwas, was nicht jeder Film zu bieten hat.


Regie: Jonas Alexander Arnby
Drehbuch: Rasmus Birch
Kamera: Niels Thastum
Schnitt: Yorgos Mavropsaridis
Musik: Mikkel Hess

Darsteller:
Nikolaj Coster-Waldau, Tuva Novotny, Kate Ashfield, Robert Aramayo, Johanna Wokalek, Sonja Richter

Dk/D/Frk/Sw/Nor
DCM Film Distribution GmbH
FSK 12
89 min.
Deutscher Kinostart: 02. Juli 2020


Bild- und Clipmaterial:
 © Jørgen-Nordby DCM, © Niels Thastum DCM, © Andreas+Schlieter DCM

Mittwoch, 24. Juni 2020

Heimkino: Bataillon der Verdammten – Schlacht um Jangsari (Jangsa-ri 9.15)

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das seit 1910 von Japan annektierte Korea zunächst in zwei Besatzungszonen aufgeteilt, Demarkationslinie war der 38. Breitengrad. Ziel der UNO war die Etablierung eines wiedervereinigten, unabhängigen Staates, jedoch entwickelte sich, nachdem der Norden von den Sowjets und der Süden von den USA unterstützt wurde, ab dem 25. Juni 1950 ein Stellvertreterkrieg zwischen den politischen Systemen. Zunächst konnte die kommunistische Armee Nordkoreas weite Teile des Landes unter Kontrolle bringen, aber mit der Operation „Chromite“, der Landung bei Incheon und der darauffolgenden Rückeroberung von Seoul, gelang es den US-Truppen, eine Wende einzuleiten, die schließlich mit einem Waffenstillstand im Juli 1953 zu der heute noch bestehenden Aufteilung des Landes in Nord- und Südkorea führte. Maßgeblich zum Incheon-Erfolg beigetragen hatte eine als Ablenkung gedachte Truppenlandung auf der Halbinsel Jangsari, bei der im September 1950 772 junge Studentensoldaten eingesetzt wurden, die gerade einmal eine zweiwöchige Ausbildung erhalten hatten. Völlig unerfahren schlugen die durchschnittlich 17-jährigen Jungen eine Schlacht, die sie nicht gewinnen konnten, die aber den Weg für „Chromite“ ebnete.

Da es sich um eine Geheimoperation handelte, kennt bis heute kaum jemand in Korea, und erst recht nicht im Rest der Welt, die Geschichte dieser „vergessenen“ jungen Soldaten, und der Film hat sich zum Ziel gesetzt, das zu ändern und dieses unbekannte Kapitel des Koreakrieges zu erzählen. Dabei ist ein Kriegsfilm im klassischen Sinn entstanden, der in teils drastischen Schlachtszenen ein realistisches Bild zeichnet. Immer ein Balanceakt zwischen legitimer Heldenehrung und glorifizierender Heldenverehrung gelingt es, vor allem dank der beeindruckenden jugendlichen Darsteller, das gelegentlich aufkommende Pathos in Grenzen zu halten. Nur eine Nebenrolle spielen die amerikanischen Verbündeten, die unter General Stevens zur Rettung der letzten Verbliebenen Jungen Jangsari erreichen, sowie die amerikanische Kriegsreporterin Higgins, die sich im Hintergrund für die jugendlichen Soldaten einsetzt.

Freunde des Genres bekommen eine gut gemachtes Spektakel mit allem, was einen Kriegsfilm auszeichnet, Schlacht- und Kampfszenen mit Blut, Schweiß und Tränen, Kameradschaft und Opferbereitschaft. Aber auch Kriegsgegner werden sich wieder einmal bestätigt sehen, dass aller Einsatz und alles Sterben sinnlos bleiben, wenn am Ende jeder all das verloren hat, was einmal einen Wert hatte. Besonders perfide wird es, das macht der Film auch in einer berührenden Sequenz deutlich, wenn sich in einem Krieg wie diesem Angehörige desselben Volkes gegenüber stehen und sich Mitglieder derselben Familie gegenseitig abschlachten, Marionetten in einem grausamen Spiel zur Durchsetzung unterschiedlicher Ideologien. When will they ever learn… 


Regie: Kyung-taek Kwak
Drehbuch: Brian Chung, Cory Gustke, Man-Hee Lee
Schnitt: Changju Kim, Wo-Hyon Kim
Musik: Komeil S. Hosseini

Darsteller:
Kim Myung-Min, Choi Min-Ho, George Eads, Megan Fox, Kim Suong-Cheol, Kim In-Kwon, Kwak Si-Yang 

Pandastorm
FSK 16
VÖ DVD, Blu-ray und digital: 26. Juni 2020




Details DVD:
Laufzeit: ca. 100 min.
Bildformat: 2,39:1 Widescreen
Audio: DD 5.1
Sprache: Deutsch, Koreanisch
Untertitel: Deutsch
Bonus: Making Of, Charakter-Trailer, Original-Trailer
EAN: 4260428052715
 

Details Blu-ray:
Laufzeit: ca. 104 min.
Bildformat: 2,39:1 Widescreen
Audio: DTS-HD Master Audio 5.1
Sprache: Deutsch, Koreanisch
Untertitel: Deutsch
Bonus: Making Of, Charakter-Trailer, Original-Trailer
EAN: 4260428052722

Deutscher Trailer: 
 https://youtu.be/uaNpK9Epppo

Dienstag, 16. Juni 2020

Heimkino: Modern Love

Inspiriert von einer beliebten Kolumne der New York Times, über die Jahre unter dem Titel "Modern Love" veröffentlicht, ist dieser wunderbare Episodenfilm entstanden, der sich mit den verschiedensten Facetten eines uralten, doch immer modernen Themas beschäftigt. Herausgekommen ist ein Episodenreigen, bei dem Menschen jeglichen Alters und jeglicher Hautfarbe mit den Irrungen und Wirrungen der Liebe zu kämpfen haben, besondere und unerwartete Geschichten, mit und ohne Happy End, aber immer mit viel Gefühl und Tiefe, mit ausgezeichneten Darstellern liebevoll in Szene gesetzt, etwas für einen regnerischen Sonntagnachmittag auf dem Sofa.


Regie: John Carney, Tom Hall, Sharon Horgan, Emmy Rossum
Drehbuch: John Carney, Tom Hall u.a.
Kamera: Yaron Orbach
Schnitt: Ken Eluto u.a.
Musik: Cary Clark

Darsteller:
Jane Alexander, Marin Ashby, Quincy Tyler Bernstine, Sofia Boutella, Cary Carr, Olivia Cooke, Tina Fey, John Gallagher Jr., Andy Garcia, Julia Garner, Brandon Kyle Goodman, Anne Hathaway, Judd Hirsch, Katherine Keener, Caitlin McGee, Cristin Milioti, Dev Patel, Laurentiu Possa, James Saito, Andrew Scott, Ed Sheeran, John Slattery, Charles Warburton, James Waterston, Shea Whigham 

Amazon Prime Video
8 Episoden

Originaltitel der einzelnen Episoden:

1. When the Doorman is your Main Man (Aufmerksamer Concierge hält seine schützende Hand über eine junge Frau)
2. When Cupid is a Prying Journalist (Journalistin entdeckt bei einem Interview mit dem jungen Entwickler einer Dating-App mehr über ihre Ehe, als ihr lieb ist)
 3. Take me as I am, whoever I am (Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt – der schwierige Weg zwischen zwei Extremen)
 4. Rallying to keep the Game alive (Mittelaltes Ehepaar in der Krise)
 5. At the Hospital, an Interlude of Clarity (Vom Sofa ins Krankenhaus – erstes Date mit Hindernissen)
6. So he looked like Dad. It was just Dinner, right? (Tochter sucht Vater, keinen Liebhaber)
7. Hers Was a World of One (Junge Frau auf der Suche nach Eltern für ihr ungeborenes Kind)
  8. The Race grows sweeter near its Final Lap (Bittersüßes Ende einer jungen alten Liebe)

Sonntag, 14. Juni 2020

Filmrezensionen: Monos - Zwischen Himmel und Hölle (Monos)

Irgendwo in der Wildnis eines lateinamerikanischen Landes bewachen acht bewaffnete Jungen und Mädchen mit Kampfnamen wie „Rambo“, „Bigfoot", „Lady“ oder „Schlumpf“ im Auftrag einer nicht näher benannten Geurillagruppe eine Geisel, die Ingeneurin Sara Watson, von den Kindern „Doctora" genannt, sowie eine Milchkuh namens Shakira. Ihr Versteck ist zunächst eine verlassene Hochebene inmitten rauer Gebirgsketten, später zieht die Truppe in den Dschungel um. Spannungen innerhalb der Gruppe und die unwirtliche Umgebung machen die Lage für die Geisel zusehends dramatischer, bis diese einen Fluchtversuch wagt…

Der Film des kolumbianisch-ecuadorianischer Regisseurs Landes erzählt eine archaische Geschichte inmitten einer feindlichen Natur, bei der Erinnerungen an Werner Herzogs „Fitzcarraldo" und "Aguirre, der Zorn Gottes“ aufkommen, aber natürlich ist es auch eine Adaption des "Herr der Fliegen"-Themas. Die jugendlichen Darsteller, bis auf Moises Arias ohne bekannte Filmerfahrung, agieren intensiv und die Qualen der Geisel sind fast körperlich spürbar, dabei braucht es weder gefährliche Tiere – die lästigen Schwärme von Moskitos sind genug – noch behandeln die Kinder die "Doctora" wirklich schlecht. Allein die klaustrophobische Enge der jeweiligen Camps und die Anspannung innerhalb der Gruppe genügen, um jederzeit eine Eskalation heraufzubeschwören. Bemerkenswert ist, dass der Jugendliche mit Namen „Rambo" von einem Mädchen dargestellt wird, ein Fremdkörper inmitten des Machogehabes der anderen Jungen, und doch ein Zeichen, dass nichts festgelegt sein muss, nicht einmal oder vielleicht gerade in diesem auf sich selbst zurückgeworfenen wilden Haufen.

Grandios bebildert bewegt sich Regisseur Landes in seiner Inszenierung zwischen Abenteuertrip und psychologischem Kammerspiel, ein menschliches Drama, in dem die Hoffnungslosigkeit dieser jugendlichen Pseudosoldaten  und deren Missbrauch für einen Auftrag, den sie nicht verstehen – „Mono“ ist das spanische Wort für „Affe“ – und dem sie zu keinem Zeitpunkt gewachsen sind schonungslos offengelegt werden, mitreißend und abstoßend zugleich, bis zum bitteren Ende. Wer kann, sollte den bildgewaltigen Film unbedingt im Kino erleben, hoffentlich ist dies bald wieder uneingeschränkt überall möglich.

 
Regie: Alejandro Landes
Drehbuch: Alejandro Landes, Alexis Dos Santos, b/a story von Alejandro Landes
Kamera: Jasper Wolf
Schnitt: Ted Guard, Yorgos Mavropsaridis, Santiago Otheguy
Musik: Mica Levi

Darsteller:
Sofia Buenaventura, Julián Giraldo, Karen Quintero, Laura Castrillón, Paul Cubides, Moises
Arias, Julianne Nicholson, Deiby Rueda, Sneider Castro

 DCM
102 min.
FSK 16
Deutscher Kinostart: ab 04. Juni 2020

Dienstag, 9. Juni 2020

Heimkino: Upload


Wir schreiben das Jahr 2033. Nathan Brown (Robbie Amell), Entwickler von Computerprogrammen, erleidet eines Tages in seinem selbstfahrenden Auto einen tödlichen Unfall. Bevor er widersprechen kann, lässt seine Freundin Ingrid (Allegra Edwards), Spross einer wohlhabenden Familie („unbegrenztes Datenvolumen in dritter Generation“) ihn bzw. sein Bewusstsein in das virtuelle luxuriöse Resort Lakeview uploaden. Dort erwartet ihn das ewige Leben, vorausgesetzt, jemand bezahlt die monatlichen Gebühren, und hier liegt auch das Problem: von nun an ist er Ingrid auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Stellt sie die Zahlungen ein, fällt er auf die bedauernswerte 2-GB-Stufe zurück und alle Annehmlichkeiten sind futsch, da so ein Datenvolumen schnell aufgebraucht ist, und dann verbringt man den Rest des Monats buchstäblich bei Wasser und Brot. Alle Uploads werden von ihrem jeweiligen „Engel“ genannten Programmierer betreut und zwischen Nathan und seinem Engel Nora (Andy Allo) entwickelt sich schon bald eine besondere Beziehung. Während Nathan sich langsam an sein neues „Leben“ gewöhnt, kommt der Verdacht auf, dass sein Unfall möglicherweise vorsätzlich herbeigeführt wurde, nur: von wem und warum?

Viele Details des virtuellen Daseins machen den Reiz der ersten Staffel aus, die nach zehn Episoden mit einem Cliffhanger endet. Da die Handlung erkennbar in nicht allzu ferner Zukunft angesiedelt ist, kommen viele Dinge bekannt vor, sind vielleicht nur einen kleinen Schritt weiter entwickelt, als man sie bereits kennt, so die bereits möglichen Virtual-Reality-Erlebnisse. Und auch die nervigen Begleiterscheinungen eines Computerspiels fehlen nicht, wie sich aufdrängende In-App-Käufe oder unerwünschte Werbung. Statt zu tindern nutzen die „Bios“ – die „echten“ Menschen – die Dating-App Nitely während der Sex zwischen Bios und Uploads kompliziert ist. Hier merkt man der Produktion auch eine gewisse familientaugliche Prüderie an, wenn auffällig unauffällig mit allen Mitteln versucht wird, nicht allzu viel nackte Haut zur Schau zu stellen.

Neben einigem Klamauk, bei dem nicht alle Gags zünden und manchem etwas flachen Charakter gibt es jedoch noch eine tiefere Ebene, die durchaus ernsthafte Denkanstöße dazu gibt, welche Möglichkeiten die Zukunft bieten könnten und welche ernsthaften Fragen sich hieraus ergeben: Was macht den Menschen, was macht seine Persönlichkeit aus? Wird es möglich sein, das Bewusstsein zu bewahren, wenn der Tod den Körper zerstört hat? Und ist ein ewiges Leben unter diesen Umständen tatsächlich wünschenswert? Und wenn dieser Vorgang des Uploadens wieder umkehrbar wäre, was wäre, wenn die Toten eines Tages zurückkehren…

Die Serie widmet sich diesen Fragen mit leichter Hand und leichtem Herzen, es liegt am Zuschauer, wie tief er in diese Materie eintauchen möchte, aber als Gedankenspiel ist diese Geschichte durchaus unterhaltsam erzählt und macht Lust auf mehr.

Regie: Kacie Anning, Greg Daniels u.a.
Drehbuch: Greg Daniels
Kamera: Simon Chapman
Schnitt: Rob Burnett
Musik: Joseph Stephens

Darsteller:
Robbie Amell, Andy Allo, Zainab Johnson, Kevin Bigley, Allegra Edwards, Jessica Tuck, Andrea Rosen 

Amazon Prime Video
10 Episoden ab 01. Mai 2020

Heimkino: Der Beischläfer

Charlie Menzinger (Markus Stoll) ist ein Bruder Leichtfuß und schlawinert sich mit seiner kleinen Autowerkstatt durchs Leben, während sein Freund Xaver „Xavier“ Holzapfel (Daniel Christensen) davon träumt, durch die Schöpfung eines selbstgebrannten Tequilas auf Bierhefebasis in die Elite der Schnapsbrenner aufzusteigen. Seit dem tragischen Unfalltod seiner Frau Marie gelingt es Charlie aber nicht mehr, wie gewohnt die Leichtigkeit des Seins auszukosten und seine gelegentliche Schwermut lähmt ihn zusehends. 

So verpasst er, weil er sein Post nicht öffnet, rechtzeitig seiner Auswahl als Schöffe zu widersprechen und sieht sich plötzlich zu einer fünfjährigen Berufung beim Amtsgericht München verpflichtet, wo er auf die energische Richterin Dr. Julia Kellermann (Lisa Bitter) trifft. Diese, erst kürzlich von Berlin nach München gewechselt und auf der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, ist von ihrem neuen Beisitzer – in internen Kreisen auch schon einmal „Beischläfer“ genannt – überhaupt nicht begeistert, hat Charlie in ihren Augen zu  sehr seine eigene Vorstellung von Recht und Gerechtigkeit, die nicht immer mit ihrem juristischen Blickpunkt übereinstimmt. Beide brauchen etwas Zeit, um sich aneinander zu gewöhnen, während eine karrieregeile Gerichtspräsidentin beiden das Leben schwer macht.

Die (zunächst) auf sechs Folgen angelegte Miniserie bewegt sich tief im Fahrwasser wunderbarer Erzählungen um Träumer, Verlierer und Schlawiner wie den liebenswert-schludrigen Monaco Franze, und es ist schön, nach all den Berliner Tristessen einmal wieder Münchner Geschichten im Stile des unvergessenen Helmut Dietl serviert zu bekommen, Postkartenansichten der Stadt inklusive und untermalt von der launigen und schmissigen Musik einer Blasmusik-Combo mit dem Namen Der Glabberl Sepp & Seine Griffbrettfahrer (gibt es die wirklich?).

Markus Stoll hat als grantelnder Harry G Comedy-Bühnenerfahrung gesammelt und überzeugt als Charlie Menzinger, ebenso wie Lisa Bitter sich souverän und sympathisch als Richterin präsentiert. Daniel Christensen darf als spinnerter bester Freund alle Register ziehen, außerdem gibt es ein Wiedersehen mit alten Bekannten aus „Hubert & Staller“-Zeiten, Helmfried von Lüttichau, der sich hier von einer anderen Seite zeigen darf, und auch Michael Brandner und Paul Sedlmeir treten in Gastrollen an. Eine besonderer Part ist für Heino Ferch reserviert, aber darüber soll noch nichts verraten werden…

Das Drehbuch der Serie folgt zwar einer bewährten Linie, aber die Inszenierung ist so charmant und frisch, dass das Zuschauen einfach nur Spaß macht. Dabei werden juristische Patzer, die in ähnlichen Produktionen oft die Haare zu Berge stehen lassen, löblicherweise vermieden, auch deshalb ist „Der Beischläfer“ ein Glücksfall der leichten, aber gekonnten Unterhaltung. Nostalgische Zitate werden schamlos eingewoben („Ich scheiß dich sowas von zu mit meinem Geld…“), ebenso schamlos eingestreute – aber gelungene – Slapstickeinlagen und bestens besetzte Charaktere runden die in jeder Hinsicht stimmige Vorstellung ab, für die sich möglichst bald erneut der Vorhang zur Fortsetzung heben sollte.

 


Regie: Anna-Katharina Maier
Drehbuch: Murmel Clausen, Mike Viebrock
Kamera: Thomas Wittmann 
Schnitt: Petra Scherer
Musik: Der Glabberl Sepp & Seine Griffbrettfahrer 
Soundtrack: Dreiviertelblut (Gerd Baumann, Sebastian Horn

Darsteller:
Markus Stoll, Lisa Bitter, Daniel Christensen, Helmfried von Lüttichau, Heino Ferch, Lilly Forgách, Michael Brandner, Paul Sedlmeir, Florian Jahr, Mathilde Bundschuh

Amazon Prime Video, seit 29. Mai 2020