Blog-Archiv

Mittwoch, 28. August 2019

Film-Rezensionen (Homerelease): Beale Street (If Beale Street could talk)


Tish Rivers (KiKi Layne) und Alonzo „Fonny“ Hunt (Stephan James) sind einander in tiefer Liebe verbunden – wenn dies schwülstig klingt, so ist es immer noch nicht genug, um das zu beschreiben, was der Film vermittelt und was die beiden vor der Kamera ausstrahlen. Sie kennen sich bereits seit Kindertagen, die Vertrautheit, die bei Liebenden sonst erst nach Jahren des Zusammenseins entsteht, ist also bereits da, als sie zueinander finden. Wie es sich für eine bewegende Liebesgeschichte gehört, steht sie unter keinem guten Stern, das Paar wird getrennt, während Tish genau zu diesem Zeitpunkt entdeckt, dass sie schwanger ist. Der Grund für ihre Trennung ist, dass Fonny zu Unrecht beschuldigt wird, eine junge puertoricanische Frau vergewaltigt zu haben und dafür eingesperrt wird. Trish und ihre Mutter (Regina King) setzen alles daran, Fonny bis zur Geburt des Babys aus dem Gefängnis frei zu bekommen, aber sie und ihr junger, engagierter Anwalt haben keine Chance gegen ein System, das es sich zur Aufgabe gemacht zu haben scheint, Schwarzen die größtmöglichen Schmerzen und Ungerechtigkeiten zuteil werden zu lassen.

Der Film von Regisseur Barry Jenkins, der 2017 für „Moonlight“ drei Oscars, darunter denfür den besten Film erhielt, ist eine Hommage an den 1987 verstorbenen Autor James Baldwin, der wegen seiner Themen Rassismus und Identität von Schwarzen wegweisend für die afroamerikanische Lebensrealität und Kultur des 20. Jahrhunderts war. Sein Roman „Beale Street Blues“, der sich auf die Straße gleichen Namens in Memphis bezieht, erschien 1974, und die darin beklagte (Polizei)Gewalt gegen Schwarze scheint in manchen Gegenden der USA unverändert fortzubestehen, wie zahlreiche Vorkommnisse der letzten Jahren beweisen. Auch die Aufstiegschancen Schwarzer haben sich nicht grundlegend verbessert, wenn es sich auch in Stadtteilen wie in Harlem, New York besser leben lässt, als in den 1970gern.

Was uns dieser Film in seinen teilweise wunderschön in Szene gesetzten Bildern, unterlegt von einem betörenden Soundtrack, einerseits zeigt, ist, dass Liebe und Gefühle füreinander universell und unabhängig von Hautfarbe oder anderen oberflächlichen Attributen sind. Andererseits reißen die immer wieder eingestreuten schwarzweißen Standbilder von drastischer Gewalt gegen Schwarze aus allen romantischen Träumen, und aus den Gesprächen zwischen Fonny und einem Freund, wird, wie ganz nebenbei, deutlich, welchen Diskriminierungen sie alltäglich ausgesetzt sind, nur weil sie eine andere Hautfarbe haben.

Die Balance zwischen diesen beiden kontrastierenden Themen gelingt nicht immer, manchmal verliert sich der Film auch etwas in seinen schönen Bildern, aber es ist dennoch ein aufwühlendes, bis in die Nebenrollen großartig besetztes Drama , das zwar auf explizite Gewaltdarstellungen verzichtet, deren Auswirkungen aber von Anfang bis zum ernüchternden Ende jederzeit spüren lässt.

Das Bonusmaterial auf DVD/ Blu-ray gibt einige Einblicke in die Arbeitsweise des Regisseurs Barry Jenkins.

„Jeder in Amerika geborene Schwarze ist in der BEALE STREET, ist im Schwarzenviertel irgendeiner amerikanischen Stadt geboren, ob in Jackson, Mississippi, oder in Harlem in New York: Die BEALE STREET ist unser Erbe.“ – James Baldwin


 Regie: Barry Jenkins
Drehbuch: Barry Jenkins, b/a Buch „Beale Street Blues“ von James Baldwin
Kamera: James Laxton
Schnitt: Joi McMillon, Nat Sanders
Musik: Nicholas Britell

Darsteller:
KiKi Layne, Stephan James, Coman Domingo, Teyonah Parris, Regina King
 
USA 2018
95 min.
FSK 12
Digital, Blu-ray & DVD ab 30. August 2019 (Early EST ab 23. August)
(Deutscher Kinostart: 07. März 2019)

Details DVD:
Laufzeit: 114 min.
Bildformat: 2,00:1 (16:9)
Ton: Deutsch: DD 5.1/ Englisch: DD 5.1
Sprachen:
Untertitel: Deutsch
Bonus: Behind the Scenes; Wendecover

Details Blu-ray:
Laufzeit: 119 min.
Bildformat: 2,00:1 (16:9)
Ton: Deutsch: Deutsch: DTS-HD Master Audio 5.1/ Englisch: DTS-HD Master Audio 5.1
Sprachen:
Untertitel: Deutsch
Bonus: Behind the Scenes; Wendecover



Dienstag, 27. August 2019

Film-Rezensionen: Frau Stern

Frau Stern (Ahuva Sommerfeld) ist Jüdin, Ende achtzig und eröffnet ihrem Arzt gleich zu Beginn des Films, dass sie sterben möchte. Bei allem Verständnis für ihren Wunsch lehnt dieser natürlich jede Unterstützung ab, sie befindet sich weder in einem lebensbedrohlichen Zustand, noch ist sie überhaupt wirklich krank. Und wie sähe das aus: Deutscher Arzt verabreicht jüdischer Patientin Sterbemittel! Derart abgewiesen, zündet sie sich erst mal eine Zigarette an, zu Hause zieht sie noch einen Joint durch, Nachschub erhält sie immer von ihrem netten Friseur, der offensichtlich weiß, was seine Kundinnen wünschen. Wie man an eine Waffe kommt, weiß er allerdings auch nicht, und auch alle weiteren Versuche, sich irgendwie ins Jenseits zu befördern, wollen Frau Stern partout nicht gelingen. Dabei ist sie keineswegs die arme einsame Alte, denn mit ihrer Enkelin Elli (Kara Schröder) unternimmt sie viele schöne Dinge und erweist sich sogar als regelrechtes Feierbiest, mitten unter Ellis jungen Freunden.

Was wie eine ziemlich schwarze Komödie klingt, ist ein berührend-melancholischer, durch sein 4:3-Format beinahe dokumentarisch wirkender Film, der die Frage in den Raum stellt, wann es denn eigentlich genug sein soll mit diesem Leben, und ob man das denn nicht verdammt nochmal selbst bestimmen dürfen sollte, wenn man eines Tages dieses Lebens müde ist. Frau Stern, von Ahuva Sommerfeld in ihrer ersten und gleichzeitig letzten Rolle (sie verstarb leider kurz darauf im Alter von 81 Jahren) grandios dargestellt, hat so viel erlebt und überlebt, dabei nimmt sie immer noch an allem teil, kleidet sich pfiffig und genießt scheinbar das Leben, wie es sich ihr darbietet. Bei ihrer Interpretation des Liedes „Summertime“, mit brüchiger aber gleichwohl intensiver Stimme vorgetragen, während die Kamera in Großaufnahme auf ihrem eindrucksvollen Gesicht ruht, bleibt kein Auge trocken. Allein für einen solchen Moment lohnt sich manchmal der Weg ins Kino!.

Trotz aller Skurrilitäten und scheinbarer Improvisationen wirkt der Film wohldurchdacht und schafft es, etwas von Frau Sterns Kraft auf den Zuschauer zu übertragen. Zu keinem Zeitpunkt wird sie als schrullige Alte denunziert, sondern als Mensch, dem nichts und niemand, nicht einmal der schleimige Moderator einer windigen Talkshow, seine Würde nehmen kann. Wenn man jetzt nur noch einen ebenso würdevollen Abgang hinbekommen könnte…

 
Regie: Anatol Schuster
Drehbuch: Anatol Schuster
Kamera: Adrian Campean
Schnitt: Sarah Marie Franke, Anatol Schuster
Musik: Konstantin Schimanowski

Darsteller:
Ahuva Sommerfeld, Kara Schröder, Pit Bukowski, Katharina Leonore Goebel, Robert Schupp, Murat Seven, Gina Haller, Max Roenneberg

Deutschland 2019
79 min.
Deutscher Kinostart: 29. August 2019



Film-Rezensionen: Golden Twenties


Der Titel ist der reine Hohn, denn auf die 25jährige Ava (Henriette Confurius) wartet nach abgeschlossenem Studium nichts, goldene Jahre schon gar nicht. Sie zieht erst einmal wieder bei ihrer Mutter Mavie (Inga Busch) ein und versucht, über eine Hospitanz am Theater im Berufsleben Fuß zu fassen. Beides gestaltet sich schwierig, ihre Mutter führt ihr eigenes Leben, in das Ava nicht mehr hineinpasst, und ihr geschiedener Vater, den sie in seinem Domizil auf dem Land besucht ist auch keine große Hilfe. Eine Beziehung zu dem Schauspieler Jonas (Max Krause) bleibt unverbindlich und nachdem die Theaterproduktion über interne Streitigkeiten zwischen Regisseur und Ensemble zerbricht, ist dies auch das Ende für Avas Engagement, aber sie ergreift keinerlei Initiative, sondern lässt auf sich zukommen, was sich ihr als nächstes bietet. Aus dieser Rolle der schweigenden Beobachterin heraus ist sie auch eine gefragte Zuhörerin, Freunde und Bekannte schütten ihr gern ihr Herz aus, aber niemand interessiert sich wirklich dafür, wie es Ava selbst geht. Darüber scheint sie jedoch nicht zu verzweifeln, in der Schlusseinstellung sieht man sie versonnen lächelnd auf einer Bootsfahrt, so wie sie auch auf ihrem Fluss des Lebens mit der Strömung dahindriftet, wobei tief in ihrem Innern vielleicht die Hoffnung schlummert, irgendwann doch einmal einen passenden Anleger zu finden.

Der Film bleibt so vage wie Ava selbst, von der wir nicht einmal erfahren, was sie überhaupt studiert hat. An keiner Stelle nimmt sie ihr Leben selbst in die Hand, sondern lässt sich von den Situationen treiben, die sich ohne eigenes Zutun ergeben und steht damit stellvertretend für die Generation Praktikum, die mit etwas Glück in etwas hineinrutscht, der aber offensichtlich schon frühzeitig die Initiative genommen oder sonst wie abhanden gekommen ist.

Genauso ziel- und orientierungslos wie Ava durch ihr Leben plätschert allerdings auch der ganze Film dahin, gänzlich ohne Höhepunkte, das Leben als Drama ohne dramatische Elemente. Die sympathische Henriette Confurius meistert ihre Rolle tapfer, viel verlangt ihr der Film allerdings auch nicht ab. Gegen einen Film, in dem sich die Hauptfigur nur treiben lässt, ist nichts zu sagen, aber dann muss es Elemente geben, die ein Zuschauen lohnen, witzige oder treffende Dialoge, kuriose oder originelle Szenen, irgendetwas, das darüber hinausgeht, nasser Farbe beim Trocknen zuzusehen.

Regie: Sophie Kluge
Drehbuch: Sophie Kluge
Kamera: Reinhold Vorschneider
Schnitt: Katja Dringenberg

Darsteller:
Henriette Confurius, Inga Busch, Max Krause, Julika Jenkins, Anton von Lucke, Michael Maertens, Blixa Bargeld

20th Century Fox
Deutschland 2019
92 min.
Deutscher Kinostart: 29. August 2019


Film-Rezensionen: Prélude


Der 19jährige David (Louis Hofman) ist ein begabter Pianist, aber die Leichtigkeit, die er immer am Klavier gespürt hat, ist im harten Alltag des Musikkonservatoriums, das ihn zum Studium aufgenommen hat, schnell dahin. Eher zurückhaltend im Umgang mit anderen Menschen macht er auch diesbezüglich Erfahrungen, die ihn zu überfordern scheinen, sowohl im Konkurrenzkampf mit dem Kommilitonen Walter (Johannes Nussbaum), als auch bei seiner Affäre mit der selbstbewussten Gesangsstudentin Marie (Liv Lisa Fries). Ein Stipendium in New York scheint ihm schon sicher, aber seine Unausgeglichenheit lässt ihn immer wieder stolpern, er ist selbst sein größter Gegner auf diesem Weg und es wird immer fraglicher, ob er, der so hoffnungsvoll gestartet ist, sein Ziel überhaupt noch erreichen wird.

„Prélude“ ist ein Film über Träume und Leidenschaften und den durch die eigene und die Erwartung anderer erzeugten Druck beim Streben nach Vervollkommnung. Hier ist nicht mehr der Weg das Ziel, sondern ein ganz bestimmter Erfolg, den jemand am Ende erreicht, oder eben auch nicht. Die Sensibilität, die einen Künstler gerade zum Künstler macht, birgt gleichzeitig die Gefahr des Scheiterns, wenn sie in allzu große Labilität mündet, und der Film führt mitten hinein in ein solches Herz der Finsternis, das doch eigentlich leuchten sollte. Das Thema ist kein neues, schon oft wurde gezeigt, wie hart und steinig der Weg ist, bis aus einem bloßen Talent ein Meister seines oder ihres Fachs wird, egal, ob in der Kunst oder im Sport. Wer nur hobbymäßig Spaß am Klavierspielen hat, kennt nicht die physischen Schmerzen, die ein intensives Training mit sich bringt, von den psychischen Belastungen ganz zu schweigen, bei diesem Film bekommt der Zuschauer einmal mehr ein Ahnung von diesen Strapazen – per aspera ad astra.

Louis Hofman beeindruckt in seiner Darstellung des David, er zeichnet ihn als spröde und unzugänglich, was es dem Zuschauer nicht leicht macht, Zugang zu der Figur bekommen. Dennoch gelingt es ihm, den Leidensweg seiner Figur intensiv und berührend darzustellen, während es Liv Lisa Fries nicht so ganz schafft, das Bild ihrer Darstellung der Charlotte Ritter aus „Babylon Berlin“ aus dem Kopf zu bekommen, zu sehr schwingt dieselbe Attitüde mit, die man vor ihr bereits kennt, gepaart mit der gleichen Optik. Die Dialoge des Films klingen an manchen Stellen etwas altmodisch und die Schwere des Themas, wie aus Lust Last wird, wirkt an mancher Stellen allzu quälend. Aber der Konflikt zwischen Anspruch und Scheitern, den die gerade zur Zeit so intensiv betriebene Selbstoptimierung mit sich bringt, wird durch den Kontrast zwischen verstörenden Bildern und der strahlenden Kraft der Musik deutlich. Nichts für einen vergnügten Kinoabend, aber trotz einiger Unebenheiten ein berührender Film mit gutem Darsteller.


Regie: Sabrina Sarabi
Drehbuch: Sabrina Sarabi
Kamera: Max Preiss
Schnitt: Hannah Schwegel, Jan von Rimscha
Musik: Felix Rösch

Darsteller:
Louis Hofmann, Liv Lisa Fries, Johannes Nussbaum, Ursina Lardi, Jenny Schily, Saskia Rosendahl, David Kosel, Arno Frisch
 
Warner Bros./ X Verleih
Deutschland 2019
95 min.
Deutscher Kinostart: 29. August 2019


Mittwoch, 21. August 2019

Film-Rezensionen: Blinded by the Light


Es ist das Jahr 1987, in der englischen Stadt Luton lebt Jayed (Vivek Kalra), ein Teenager pakistanischer Abstammung. Maggie Thatcher regiert das Land mit harter Hand und ethnische und wirtschaftliche Unruhen prägen den Alltag vieler Menschen. Jayeds Vater (Kulvinder Ghir) regiert seine Familie ebenso unnachgiebig und lässt Jayed wenig Freiheiten, dessen Wunsch, Schriftsteller zu werden wäre also das Letzte worüber sich der Vater freuen würde. Aber genau das möchte Jayed unbedingt, er schreibt Gedichte und erfährt hierfür von einer Lehrerin auch Ermutigung. Noch entscheidender ist jedoch der Tag, an dem ihn ein Freund mit einem Virus infiziert und ihm eine Kassette mit Songs von Bruce Springsteen überlässt. Die Musik, aber vor allem Springsteens Texte, werden fortan zu Jayeds Leitmotiv, seinem Dogma, seiner heiligen Schrift und er hat nun zwei Träume: Schriftsteller werden und einmal sein Idol treffen. Als er bei einem Schreibwettbewerb gewinnt, führt ihn der erste Preis in die USA, ausgerechnet nach New Jersey, ausgerechnet in die Nähe von Asbury Park. Wird dies für ihn eine Reise ins Glück?

Gurinder Chadha hat bereits mit früheren Filmen wie „Kick it like Beckham“ bewiesen, dass sie es versteht, Teenagerleidenschaften ernst zu nehmen. Auch hier macht sie aus einem vielleicht in den Augen seiner Umwelt verschrobenen Spinner einen Menschen, der über seine Leidenschaft einen Motor für sein Ziel im Leben findet. Sie zeigt in unterhaltsamer Weise, dass jemand, der von seiner Begeisterung für eine Sache (oder eine Person) mitgerissen wird, sich dafür nicht zu schämen braucht, so lange er daraus etwas Positives für sich schafft. Zugrunde liegen dem Film die Memoiren eines gewissen Sarfraz Manzoor, dem genau diese Geschichte widerfahren ist. Träume, Enthusiasmus und die Kraft der Musik sind die Elemente dieses liebenswerten Films, inszeniert mit einer poppigen Frische, der ein nostalgisches Bild der 1980ger entwirft, in denen auch nicht alles so schlecht war – immerhin gab es die Musik von Bruce Springsteen, dessen gleichnamiger Song, veröffentlicht auf seinem ersten Studioalbum „Greetings from Asbury Park, N.J“, zum Titel des Films wurde.




Regie: Gurinder Chadha
Drehbuch: Sarfraz Manzoor, Gurinder Chadha, Paul Mayeda Berges, b/a den Memoiren „Greetings from Bury Park: Race, Religion and Rock 'n' Roll" von Sarfraz Manzoor
Kamera: Ben Smithard
Schnitt: Justin Krish
Musik: A.R. Rahman, mit Songs von B. Springsteen

Darsteller:
Viveik Kalra, Kulvinder Ghir, Meera Ganatra, Nell Williams, Aaron Phagura, Hayley Atwell, Dean-Charles Chapman

Warner Bros.
117 min.
FSK 12
Deutscher Kinostart: 22. August 2019


Film-Rezensionen: I am Mother


In einem an eine Raumstation erinnernden Bunker tief im Inneren der Erde beginnt die neue Zukunft der Menschheit, nachdem die alte ausgelöscht wurde. Ein Roboter zieht als „Mutter“ aus einem Emryonenpool ein Mädchen heran, "Tochter" wird von "Mutter" liebevoll umsorgt, lernt und bildet sich, wächst zu einem patenten Teenager heran, dem es an nichts fehlt, außer an menschlicher Gesellschaft. Wie bei allen Menschen besteht ihre Welt aus dem, was „Mutter“ vermittelt, allerdings ist die Möglichkeit versperrt, dieses Bild zu überprüfen, denn ihr ist es strikt verboten, die Station zu verlassen, da außerhalb alles verstrahlt, zerstört und unbewohnbar sein soll. Als eines Tages eine verletzte fremde Frau (Hilary Swank) an die Tore klopft, bekommt das Weltbild von „Tochter" plötzlich Risse, es scheint nicht alles so zu sein, wie „Mutter" es immer behauptet hat…

Der Film ist ein fast altmodisch anmutendes Kammerspiel in der nüchternen Kälte einer durchtechnisierten Umgebung, mit zwei menschlichen Protagonistinnen und einer unheimlichen Maschine, die ihre Menschlichkeit aus zwei forschenden Augen aber vor allem einer warmen weiblichen Stimme zieht. Am Ende gibt es mehr Fragen als eindeutige Antworten, dem Zuschauer bleibt jede Menge Raum für eigene Interpretationen, wodurch der Film nach seinem Ende noch nachwirkt. Im Mittelpunkt steht der Gedanke, ob ein Mensch heranwachsen kann, zwar versorgt mit allem, was nötig ist, aber ohne wirkliche Nähe zu einem anderen menschlichen Wesen. Moralische und ethische Werte sollen die neue Menschheit prägen, gerade hierauf kommt es „Mutter" bei ihrem Embryonenexperiment an, mit solch schwerwiegenden philosophische Gedankenspielen ist der Film am Ende dann doch ein wenig überfrachtet.

Dafür kommt er, mit nur kleinem Budget und ursprünglich für den Streamingdienst Netflix gedreht, ausstattungsmäßig ganz ordentlich daher, aber seine eigentliche Stärke sind die Darsteller, allen voran die herausragende junge Clara Rugaard, auf deren Schultern fast die ganze Last der Verantwortung ruht. Sie meistert ihre Aufgabe eindrucksvoll, unterstützt wird sie dabei von der solide agierenden Hilary Swank, aber auch Luke Hawker, der "Mutter" zum Leben erweckt, macht seine Sache großartig.

Alles in allem eine Science-Fiction-Werk, das sich trotz einiger Längen und Implausibilitäten, in diesem Genre durchaus behaupten kann und durch seinen Raum für Interpretationen über den Kinoabend hinaus wirkt.


Regie: Grant Sputore
Drehbuch: Michael Lloyd Green, b/a Story von Grant Sputore und Michael Lloyd Green
Kamera: Steve Annis
Schnitt: Sean Lahiff
Musik: Dan Luscombe, Antony Partos

Darsteller:
Luke Hawker, Rose Byrne (Stimme), Clara Rugaard, Hilary Swank, Maddie + Summer
Lenton, Hazel Sandery, Tahlia Sturzaker
 
113 min.
FSK 12
Deutscher Kinostart: 22. August 2019
 

Film-Rezensionen: Paranza - Der Clan der Kinder (La Paranza dei Bambini)

Der Film beruht auf dem gleichnamigen Roman von Roberto Saviano, dem Autor, der mit „Gomorrha“ bereits eine schonungslose Darstellung der neapolitanischen Mafia ablieferte. Hier zeichnet er das Porträt einer hoffnungsvollen, am Ende doch verlorenen Generation von Jugendlichen, die mit ihren Motorrollern durch die Straßen von Neapel knattern und dabei, fasziniert von der Möglichkeit, schnell an viel Geld zu kommen, sich in den Krakenarmen der Mafia verfangen.

Nicola (Francesco Di Napoli) und seine Freunde sind nicht von Beginn an kriminell, aber sie lernen schnell, dass man sich all die verführerischen Dinge wie modische Klamotten, neueste Elektronikgeräte, Drogen, den Eintritt in die angesagten Clubs, und letztlich die Gunst der begehrten Mädchen mit einem normalen Arbeitseinkommen niemals wird leisten können. Ihre moralische Rechtfertigung ist zunächst noch, dass, wenn sie selbst die Geschäfte betreiben, die Leute ihres Viertels keine Schutzgelder mehr zahlen müssen und wieder sicher ihre kleinen Läden betreiben können. Dass dafür andere zur Kasse gebeten werden, spielt keine Rolle, zu leicht lassen sie sich von dem, was sie für Luxus halten, korrumpieren. Verbrechen zahlt sich eben doch aus ist das, was sie schnell lernen, und sie unterscheiden sich im Grunde nicht von zum Beispiel all den jungen Finanzjongleuren, die sich selbst einmal als die „Masters of the Universe" bezeichnet haben, für die Moral auch etwas für Feiglinge ist, die ebenso für sich jedes Recht der Welt reklamieren, am Elend und finanziellen Ruin anderer zu verdienen, wenn man nur selbst ein gutes Leben mit allen Insignien des Luxus hat. Wenn der Staat mit seinen Institutionen und die Gesellschaft als Ganzes es nicht mehr schaffen, einer jungen Generation Werte zu vermitteln, die jenseits eines neuen 4K-Fernsehers angesiedelt sind, dann stehen eben andere bereit, um für sich den Nachwuchs für eine kriminelle Parallelgesellschaft zu rekrutieren, und sie haben es so leicht.

Dies erzählt der Film „Paranza", der bei den 69. Internationalen Filmfestspielen Berlin mit dem Silbernen Bären für das Beste Drehbuch ausgezeichnet wurde, vor der Kulisse der verwinkelten Gassen Neapels, die manchmal etwas zu pittoresk ins Bild gesetzt werden. Die Riege junger Laiendarsteller zeigt glaubhaft, wie einfach aus leichtsinnigen und unbeschwerten jungen Männern skrupellose Killer werden und wie sich eine Spirale von Gewalt, Korruption und Verbrechen mitten hineindreht in das Fleisch der Gesellschaft, die dem offensichtlich nichts entgegenzusetzen hat.



Regie: Claudio Giovannesi 
Drehbuch: Roberto Saviano, Claudio Giovannesi, Maurizio Braucci, b/a Roman "Der Clan
der Kinder“ von Roberto Saviano
Kamera: Daniele Cipri
Schnitt: Giuseppe Trepiccione
Musik: Andrea Moscianese, Claudio Giovannesi

Darsteller:
Francesco Di Napoli, Ar Tem, Viviana Aprea, Alfredo Turitto, Valentina Vannino, Pasquale Marotta, Luca Nacarlo, Carmine Pitto, Renato Carpentieri
 
Prokino
Italien 2019
105 min.
Deutscher Kinostart: 22. August 2019


Film-Rezensionen: Stuber: 5 Sterne Undercover (Stuber)


Die Filmgeschichte ist reich an ungleichen Paaren, die, schicksalhaft zusammengeführt, eine gemeinsame Aufgabe zu bewältigen haben, bei der ihre Divergenz zunächst das größte Hindernis und am Ende die beste Lösung darstellt.

Vic Manning (Dave Bautista) ist ein Brocken von einem Polizisten, der, einmal wie eine Kanonenkugel abgefeuert, nicht mehr aufzuhalten ist und alles niedermäht, was sich ihm in den Weg stellt. Ausgerechnet am Tag, nachdem er sich seine fehlsichtigen Augen hat lasern lassen, bekommt er die Chance, einen fiesen Gangster zu erwischen, mit dem er noch eine Rechnung offen hat. Da er so gut wie nichts sehen kann, braucht er einen Chauffeur und gerät so an den Uber-Fahrer Stu, (Kumail Nanjiani), genannte Stuber, einen Plauderer, der fest daran glaubt, dass sich alle Probleme durch eingehende Diskussion so lange aufschieben lassen, bis sie sich von selbst erledigen. Von seinem nächsten Fahrgast benötigt er dringend eine Fünf-Sterne-Bewertung, aber ob er die ausgerechnet von Vic erhalten wird?

Der Film ist eine rasante Action-Krimi-Komödie, bei der die Action im Vordergrund steht, während der Krimiplot recht überschaubar bleibt und die Komödie sich in der Hauptsache aus den Odd-Couple-Gegensätzen nährt. Wer sich nicht daran stört, dass die bösen aber unfähigen Gangster grundsätzlich aus allen Rohren feuern, dabei jedoch so gut wie nie treffen, nicht einmal mit einer Pumpgun zwei Leute in einer engen Aufzugkabine, kommt wahrscheinlich auf seine Kosten, denn geballert wird viel. Von dem vorhersehbaren Schema wird nur hin und wieder abgewichen, so im Anfang, wenn der Oberbösewicht doch einmal trifft, und durch die zeitweilige Seh-Schwäche des ansonsten so robusten Cops Vic. Die Figur des Stu ist recht liebevoll gezeichnet, sein Akzent wird von Rick Kavanian einigermaßen überzeugend ins Deutsche umgesetzt und es ist gewährleistet, dass er seinem unfreiwilligen Partner gehörig auf die Eier gehen kann, bis beide am Ende mit neuen Erfahrungen ihr Leben fortsetzen können.


Regie: Michael Dowse
Drehbuch: Tripper Clancy
Kamera: Bobby Shore
Schnitt: Jonathan Schwartz
Musik: Joseph Trapanese

Darsteller:
Kumail Nanjiani, Dave Bautista, Mira Sorvino, Natalie Morales, Iko Uwais, Karen Gillan

20th Century Fox
94 min.
FSK 12
Deutscher Kinostart: 22. August 2019




Montag, 19. August 2019

Film-Rezensionen: Crawl


Wenn an der Küste Floridas ein Hurricane der Kategorie 5 naht, sollte man sich eher aus seinem Wirkungsbereich entfernen, Haley (Kaya Scodelario) aber macht genau das Gegenteil, als sie sich auf die Suche nach ihrem Vater Dave (Barry Pepper) begibt, der auf keinen Handyanruf reagiert. Durch heftige Regenschauer und Windstöße kämpft sie sich mit ihrem Auto bis zu dem Haus vor, das einmal ihr Elternhaus gewesen ist und findet ihren Vater tatsächlich verletzt im bereits von Wasser gefluteten Kriechkeller. Als sie merkt, was seine Verletzung verursacht hat, befindet sie sich auch schon selbst mitten in der tödlichen Falle: in das bereits halb unter Wasser stehende Labyrinth unter dem Haus mit all seinen Rohren, Leitungen und Verschlägen sind zwei riesige Alligatoren von einer nahen Alligatorfarm eingedrungen, die sich in dem flüssigen Element wie zu Hause fühlen und Jagd auf alles machen, was sich bewegt, und wenn überhaupt sind es die Menschen, die sich dort teilweise mühsam kriechend fortbewegen. Aber Hayley ist auch eine ausgebildete Schwimmerin und ihre sportlichen Fähigkeiten kommen ihr nun zugute, ebenso wie ihr Mut und ihre Zähigkeit, um sich und ihren Vater vor den gefräßigen Biestern zu retten, während das Wasser im Keller stetig steigt, aber auch außerhalb des Hauses tummeln sich weitere Jäger, werden es Vater und Tochter schaffen, zu entkommen?

Auch wenn die meisten Situationen vorhersehbar sind, bietet der Film extremen Nervenkitzel, weil die Effekte wohldosiert eingesetzt und hervorragend choreographiert sind. In Werken dieser Art wird auf Dialoge meistens nicht viel Wert gelegt, aber auch hier hebt sich der Film von vergleichbaren ab, denn in der klaustrophobischen Enge und unter dem Eindruck der existentiellen Gefahr gibt es fast schon kammerspielartige Szenen, in denen sich Vater und Tochter einander wieder annähern, nachdem sie sich über die Scheidung der Eltern entfremdet hatten. Als Hayleys ehemaliger Schwimmtrainer kennt Dave Hayleys Stärken und weiß noch, wie er sie abrufen kann, diese psychologischen Intermezzi wirken zwar manchmal ein wenig aufgesetzt, bilden aber auch ein Gegengewicht zu dem teilweise recht drastischen Gemetzel, das die (sehr gut animierten) Alligatoren innerhalb, aber vor allem außerhalb des Hauses anrichten.

Für Freunde des realen Horrors – also ohne übersinnliche oder sonstige Mächte – ein gelungener, spannungsreicher Film, für zartbesaitete Gemüter nicht ganz das Richtige im Hinblick auf einen entspannten Kinoabend. 
 
Und hier noch ein paar Survival-Tipps für den Umgang mit Alligatoren:
 
1. Alligatoren schwimmen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 32 km/h und können eine Stunde lang unter Wasser bleiben. Dadurch werden sie für ihre Beute zur unberechenbaren, unsichtbaren Gefahr. Mit ihrem muskulösen Schwanz können sie blitzartig aus dem Wasser schnellen und mithilfe ihrer spitzen Zähne die Beute in die Tiefe reißen.
Survival-Tipp: Wasser meiden oder sehr gut sehr lange sehr schnell (mindestens 33 km/h) schwimmen können.

2. Alligatoren reagieren gereizt, wenn man sich ihrem Territorium und besonders dem Nest nähert. Sie sind auch an Land sehr schnell – zumindest über eine kurze Distanz.
Survival-Tipp: Wenn euch ein Alligator an Land verfolgt, rennt, so schnell ihr könnt. Mit etwas Glück geht dem Alligator die Puste aus, bevor er euch erwischt.

3. Der Kiefer eines Alligators übt gewaltige 1.300 kg Druck aus – dadurch hat er den kraftvollsten Biss, der je bei einem lebenden Tier gemessen wurde. Alligatoren kauen dann aber nicht, sie schlucken ihre Beute in einem Stück herunter. Dabei vergießen sie dann auch gerne die sogenannte Krokodilsträne – aber nicht etwa aus Mitleid, sondern weil beim Fressen Druck auf ihre Tränendrüse ausgeübt wird.
Survival-Tipp: Sollte sich ein Alligator in einen eurer Körperteile verbeißen, stellt euch auf keinen Fall tot, sondern wirkt mit Schlägen auf den Kopf, insbesondere auf Nase und Augen, auf das Tier ein.

4. Es leben ungefähr 5 Millionen Alligatoren und Krokodile auf der Welt, allein in Florida etwa 1,5 Millionen. Aber: Es ist gesetzlich verboten, Alligatoren in Florida zu füttern – sie würden sich so zu sehr an menschliche Nähe gewöhnen …
Survival-Tipp: Nicht füttern! Auch nicht versuchen, die Alligatoren mit „Snacks“ anzulocken, nur um vielleicht ein schönes Selfie machen zu können.

5. Alligatoren können in totaler Finsternis sehen, dadurch können sie ihre Beute auch nachts jagen. Mittels der Drucksensoren an ihren Kiefern nehmen sie selbst die feinsten Bewegungen des Wasserspiegels wahr und spüren so ihre Opfer auf.
Survival-Tipp: Das Baden bei Nacht in fremden Gewässern zwingend vermeiden! Die Alligatoren könnten sich dadurch gestört fühlen und euch gegebenenfalls für tierische Beute halten und zuschnappen. Denn egal, wie viele Karotten ihr schon gegessen haben: Die Augen und alle anderen Sinne der Alligatoren sind definitiv besser als eure!

6. Mit der berüchtigten Todesrolle – festbeißen und mit dem Opfer um die eigene Achse drehen – bändigen und erlegen Alligatoren ihre Beute.
Survival-Tipp: Leider keinen. Einmal in dieser Falle, gibt es auch für Menschen kein Entkommen mehr!

Nach CRAWL werdet ihr euch genau überlegen, ob ihr den Alligatoren in Florida überhaupt noch nahekommen wollt! Denn im Wasser seid ihr ihre leichteste Beute.

Ob die oben genannten Tipps Haley und ihrem Vater Dave helfen, erfahrt ihr am Donnerstag in den Kinos in CRAWL!


Regie: Alexandre Aja
Drehbuch: Michael Rasmussen, Shawn Rasmussen
Kamera: Maxime Alexandre
Schnitt: Elliot Greenberg
Musik: Max Aruj, Steffen Thum

Darsteller:
Kaya Scodelario, Barry Pepper, Morfydd Clark, Ross Anderson, Jose Palma, Ami Metcalf, Anson Boon,
  
87 min.
FSK 16
Deutscher Kinostart: 22. August 2019



Freitag, 16. August 2019

Film-Rezensionen: Once upon a time in Hollywood (Once upon a time ... in Hollywood)


Quentin Tarantino macht einen Film über Leben (und Sterben) in Hollywood, seit Monaten wird darüber spekuliert, die Erwartung immer weiter hinauf geschraubt, immense Vorschusslorbeeren ausgeschüttet, allein wegen des spektakulären Casts – und nun das... Wo beginnen? 

Hollywood stand und steht für Glanz und Glamour, aber auch für Verkommenheit und Dekadenz, sexuelle Ausschweifungen, Laster und Leidenschaft, das große Geschäft, die Studios, die mit ihren künstlichen Träumen und mit Hilfe ihrer Protagonisten Millionen scheffeln, dem schnellen Ruhm folgen oft Absturz und Vergessen. Hier unterscheiden sich die 1960ger Jahre nicht von den Dekaden davor oder danach.
Dafür war es ein Jahrzehnt der gesellschaftlichen Umbrüche, die aus Jubiläumsgründen zur Zeit ohnehin in aller Munde sind. Ermordung eines amerikanischen Präsidenten, Bürgerrechtsbewegung, Vietnamkrieg, sexuelle Revolution, Mondlandung, Hippies, Love & Peace, Flowerpower, der Summer of Love, Ermordung weiterer Ikonen aus Politik und Showbiz, alles Stichworte, alles Ereignisse, die bis heute nachwirken. 

Was für ein Stoff für einen Regisseur wie Tarantino, das alles zusammenzufügen, als Höhepunkt die grausame Ermordung der wunderschönen Sharon Tate durch eine durchgeknallte Hippie-Clique, angestiftet von einem charismatischen Sektenführer, der eigentlich nichts anderes wollte, als Musiker zu werden.

Aber so einen Film wollte Tarantino gar nicht machen.

In seinem Werk zeigt er einen TV-Star (ja, es geht in erste Linie gar nicht um die Film- sondern um die Fernsehindustrie) namens Rick Dalton (Leonardo DiCaprio), der sich im freien Fall nach unten befindet und kurz davor ist, sich in europäischen Spaghetti-Western zu verdingen, und sein ehemaliges Stunt-Double Cliff Booth (Brad Pitt), der auch schon bessere Tage gesehen hat und zur Zeit als Chauffeur und Mädchen für alles tätig ist. Zufällig befindet sich Daltons Villa im Cielo Drive in Los Angeles, nebenan sind vor kurzem neue Mieter eingezogen, der gerade sehr erfolgreiche Regisseur Roman Polanski mit seiner wunderschönen Frau Sharon Tate.

Diese Konstellation ist die Ausgangslage für eine endlos lange Aneinanderreihung von Szenen und den Aufmarsch von immer neuen Figuren, ganze Sequenzen aus Daltons Western- und Kriegsfilmen werden ausgebreitet, ohne die Handlung nach vorne zu treiben, dabei ist das spezielle Flair und Feeling der Zeit zwar in jeder Einstellung sichtbar – Hollywoodkulisse eben –  aber fühlbar ist es in keinem einzigen Moment. Die Verkommenheit und Scheinheiligkeit Hollywoods wird zwar angedeutet, vor allem das Hauen und Stechen der Stars um die besten Rollen, die sexuellen Ausschweifungen, die daraus resultierende Gewalt und Ausbeutung, die seit den ersten Tagen der Filmindustrie praktiziert wurden und ihren vorläufigen Höhepunkt in der Weinstein-Affaire gefunden hat, existiert in Tarantinos Film dagegen nicht. Stattdessen fragt Cliff Booth ein ihn lasziv anschmachtendes Hippiemädchen tatsächlich nach deren Ausweis, hier hätte man von Tarantino mehr erwartet, aber wahrscheinlich war das zuviel verlangt von jemandem, der ein enger Freund Weinsteins war, der seine – Tarantinos Filme – seit „Pulp Fiction“ mit all seiner Macht (und davon hatte er immens viel) gefördert hat.
Wenn die Hippies diejenigen sind, die sich an der Gesellschaft und vor allem an Hollywood dafür rächen wollten, dass sie ihnen die Gewalt gebracht hat, so ist Tarantino einer derjenigen, der die Gewalt in seinen Filmen ausgiebig zelebriert hat, möchte er sich mit diesem Film selbst anklagen? Auch dafür, dass er sich, wie alle anderen, der angesagtesten Hollywoodgrößen in Gestalt von DiCaprio und Pitt bedient, beides Namen, die für sich gesehen schon die Kassen zum Klingeln bringen und die von allen namhaften Regisseuren mit Rollen nur so überschüttet werden?

DiCaprio darf sich ausgiebig im Overacting suhlen, als Rick Dalton innerhalb seiner Rollen eine ironische Brechung, außerhalb dieser Rollen wird die Schmerzgrenze einige Male deutliche überschritten, während Brad Pitt den Obercoolen geben darf, was bei ihm allerdings tatsächlich cool und selbstironisch ist. Ein hübscher, aufstrebender Star wie Margot Robbie bekommt die Chance, auch einmal in einem Tarantino-Film dabei sein zu dürfen, auch wenn sie nicht wirklich mehr zu tun hat, als in die Kamera zu lächeln, während im Kopf des Zuschauers das Wissen um ihr schreckliches Ende immer mitschwingt.

Während sich die 160 Minuten Laufzeit über weite Strecken beinahe quälend und dröge dahinziehen, sehnt man dieses Ende förmlich wie eine Erlösung herbei, und erst auf der Zielgeraden, wenn der – zugegebenermaßen – fulminante Höhepunkt eingeleitet wird, über dessen Einzelheiten hier natürlich nichts verraten wird, bekommt der Film endlich den Drive, der ihm leider die meiste Zeit über gefehlt hat.

Tarantino hat es auf jeden Fall einmal mehr geschafft, für sich und sein Werk maximale Aufmerksamkeit zu generieren. Ob der Gang ins Kino lohnt, mag jeder für sich entscheiden, für seine Fans sicher keine Frage, für alle anderen – Vorsicht, kein Spoiler: Das Ende überrascht!



Regie: Quentin Tarantino
Drehbuch: Quentin Tarantino
Kamera: Robert Richardson
Schnitt: Fred Raskin
Musik: Holly Adams (Soundtrack Producer)

Darsteller:
Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Margot Robbie, Emile Hirsch, Margaret Qualley, Timothy Olyphant, Julia Butters, Austin Butler, Dakota Fanning, Bruce Dern, Mike Moh, Luke Perry, Damian Lewis, Al Pacino, Lena Dunham, Scoot McNairy, Rumer Willis, Clu Gulager, Kurt Russell, Michael Madsen, Brenda Vaccaro, Damon Herriman

Sony Pictures
161 min.
Deutscher Kinostart: 15. August 2019