Quentin Tarantino macht einen Film über Leben (und Sterben)
in Hollywood, seit Monaten wird darüber spekuliert, die Erwartung immer weiter
hinauf geschraubt, immense Vorschusslorbeeren ausgeschüttet, allein wegen des
spektakulären Casts – und nun das... Wo beginnen?
Hollywood stand und steht für Glanz und Glamour, aber auch
für Verkommenheit und Dekadenz, sexuelle Ausschweifungen, Laster und
Leidenschaft, das große Geschäft, die Studios, die mit ihren künstlichen
Träumen und mit Hilfe ihrer Protagonisten Millionen scheffeln, dem schnellen
Ruhm folgen oft Absturz und Vergessen. Hier unterscheiden sich die 1960ger
Jahre nicht von den Dekaden davor oder danach.
Dafür war es ein Jahrzehnt der gesellschaftlichen Umbrüche,
die aus Jubiläumsgründen zur Zeit ohnehin in aller Munde sind. Ermordung eines
amerikanischen Präsidenten, Bürgerrechtsbewegung, Vietnamkrieg, sexuelle
Revolution, Mondlandung, Hippies, Love & Peace, Flowerpower, der Summer of
Love, Ermordung weiterer Ikonen aus Politik und Showbiz, alles Stichworte,
alles Ereignisse, die bis heute nachwirken.
Was für ein Stoff für einen Regisseur wie Tarantino, das
alles zusammenzufügen, als Höhepunkt die grausame Ermordung der wunderschönen
Sharon Tate durch eine durchgeknallte Hippie-Clique, angestiftet von einem
charismatischen Sektenführer, der eigentlich nichts anderes wollte, als Musiker
zu werden.
Aber so einen Film wollte Tarantino gar nicht machen.
In seinem Werk zeigt er einen TV-Star (ja, es geht in erste
Linie gar nicht um die Film- sondern um die Fernsehindustrie) namens Rick
Dalton (Leonardo DiCaprio), der sich im freien Fall nach unten befindet und
kurz davor ist, sich in europäischen Spaghetti-Western zu verdingen, und sein ehemaliges
Stunt-Double Cliff Booth (Brad Pitt), der auch schon bessere Tage gesehen hat
und zur Zeit als Chauffeur und Mädchen für alles tätig ist. Zufällig befindet
sich Daltons Villa im Cielo Drive in Los Angeles, nebenan sind vor kurzem neue
Mieter eingezogen, der gerade sehr erfolgreiche Regisseur Roman Polanski mit
seiner wunderschönen Frau Sharon Tate.
Diese Konstellation ist die Ausgangslage für eine endlos
lange Aneinanderreihung von Szenen und den Aufmarsch von immer neuen Figuren,
ganze Sequenzen aus Daltons Western- und Kriegsfilmen werden ausgebreitet, ohne
die Handlung nach vorne zu treiben, dabei ist das spezielle Flair und Feeling
der Zeit zwar in jeder Einstellung sichtbar – Hollywoodkulisse eben – aber fühlbar ist es in keinem einzigen Moment.
Die Verkommenheit und Scheinheiligkeit Hollywoods wird zwar angedeutet, vor
allem das Hauen und Stechen der Stars um die besten Rollen, die sexuellen
Ausschweifungen, die daraus resultierende Gewalt und Ausbeutung, die seit den
ersten Tagen der Filmindustrie praktiziert wurden und ihren vorläufigen
Höhepunkt in der Weinstein-Affaire gefunden hat, existiert in Tarantinos Film
dagegen nicht. Stattdessen fragt Cliff Booth ein ihn lasziv anschmachtendes
Hippiemädchen tatsächlich nach deren Ausweis, hier hätte man von Tarantino mehr
erwartet, aber wahrscheinlich war das zuviel verlangt von jemandem, der ein
enger Freund Weinsteins war, der seine – Tarantinos Filme – seit „Pulp Fiction“
mit all seiner Macht (und davon hatte er immens viel) gefördert hat.
Wenn die Hippies diejenigen sind, die sich an der
Gesellschaft und vor allem an Hollywood dafür rächen wollten, dass sie ihnen
die Gewalt gebracht hat, so ist Tarantino einer derjenigen, der die Gewalt in
seinen Filmen ausgiebig zelebriert hat, möchte er sich mit diesem Film selbst
anklagen? Auch dafür, dass er sich, wie alle anderen, der angesagtesten
Hollywoodgrößen in Gestalt von DiCaprio und Pitt bedient, beides Namen, die für
sich gesehen schon die Kassen zum Klingeln bringen und die von allen namhaften Regisseuren
mit Rollen nur so überschüttet werden?
DiCaprio darf sich ausgiebig im Overacting suhlen, als Rick
Dalton innerhalb seiner Rollen eine ironische Brechung, außerhalb dieser Rollen
wird die Schmerzgrenze einige Male deutliche überschritten, während Brad Pitt
den Obercoolen geben darf, was bei ihm allerdings tatsächlich cool und
selbstironisch ist. Ein hübscher, aufstrebender Star wie Margot Robbie bekommt
die Chance, auch einmal in einem Tarantino-Film dabei sein zu dürfen, auch wenn
sie nicht wirklich mehr zu tun hat, als in die Kamera zu lächeln, während im
Kopf des Zuschauers das Wissen um ihr schreckliches Ende immer mitschwingt.
Während sich die 160 Minuten Laufzeit über weite Strecken
beinahe quälend und dröge dahinziehen, sehnt man dieses Ende förmlich wie eine
Erlösung herbei, und erst auf der Zielgeraden, wenn der – zugegebenermaßen –
fulminante Höhepunkt eingeleitet wird, über dessen Einzelheiten hier natürlich
nichts verraten wird, bekommt der Film endlich den Drive, der ihm leider die meiste
Zeit über gefehlt hat.
Tarantino hat es auf jeden Fall einmal mehr geschafft, für
sich und sein Werk maximale Aufmerksamkeit zu generieren. Ob der Gang ins Kino
lohnt, mag jeder für sich entscheiden, für seine Fans sicher keine Frage, für
alle anderen – Vorsicht, kein Spoiler: Das Ende überrascht!
Regie: Quentin
Tarantino
Drehbuch:
Quentin Tarantino
Kamera: Robert
Richardson
Schnitt: Fred
Raskin
Musik: Holly
Adams (Soundtrack Producer)
Darsteller:
Leonardo DiCaprio,
Brad Pitt, Margot Robbie, Emile Hirsch, Margaret Qualley, Timothy Olyphant,
Julia Butters, Austin Butler, Dakota Fanning, Bruce Dern, Mike Moh, Luke Perry,
Damian Lewis, Al Pacino, Lena Dunham, Scoot McNairy, Rumer Willis, Clu Gulager,
Kurt Russell, Michael Madsen, Brenda Vaccaro, Damon Herriman
Sony Pictures
161 min.
Deutscher Kinostart:
15. August 2019
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen