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Dienstag, 27. September 2022

Im Kino: Tausend Zeilen

Lars Bogenius (Jonas Nay) ist Starreporter beim renomierten Magazin "Die Chronik" und liefert regelmäßig bewegende und brilliant geschriebene Artikel über aktuelle und brisante Themen aus aller Welt. Während der Arbeit an einer gemeinsamen Reportage fallen dem Kollegen Juan Romero (Elyas M'Barek) allerdings Unstimmigkeiten in Bogenius' Recherchen auf und als er beginnt, diesen nachzugehen, kommt ihm ein ungeheuerlicher Verdacht, mit dem er allerdings bei seinen Vorgesetzten, die sich in den Erfolgen ihres mit Preisen überhäuften Starschreibers sonnen, auf wenig Gegenliebe stößt, vielmehr kostet ihn seine Hartnäckigkeit, hinter Bogenius' dunkle Geheimnisse zu kommen beinahe den Job.

Sehr eng angelehnt an den Skandal um den SPIEGEL-Reporter Claas Relotius und dessen Nemesis Juan Moreno arbeitet "Bully" Herbig ein Stück Zeitgeschichte satirisch und mit nettem Augenzwinkern auf, eine Krise der Printmedien, die vielleicht in ihrer ganzen Dimension nur diejeinigen mitbekommen haben, die noch Zeitungen und Magazine nutzen. Es gelingt Herbig, bei aller humorigen Lockerheit durchaus der Ernst der Lage abzubilden, den ein Journalismus bedeutet, dem man nicht mehr trauen kann, indem er klar herausstellt, dass am Ende wiederum sorgfältige Recherche, die eben guten Journalismus ausmacht, zum Erfolg und damit zur Aufdeckung eines Schwindels geführt haben.

Elyas M'Barek fällt dabei die Rolle des hartnäckigen Wühlers und Arbeiters zu, scheinbar chaotisch, aber absolut integer im Verständnis seines Jobs, während sich seine Chefredakteure fast schon als Karikaturen ihrer selbst (herrlich überzogen und schmierig: Michael Maertens und Jörg Hartmann) gerieren. Der von Jonas Nay sehr zurückhaltend gespielte Bösewicht in dieser Geschichte hält uns allen einen Spiegel vor (no pun intended...), wir sehen am liebsten nur das, was wir sehen wollen, um am allerliebsten schauen wir natürlich auf uns selbst darin.

Eine gelungene Mediensatire, die ihre Geschichte ernst nimmt, den Ernst dahinter durch vordergründige Späße, aber auch satirische Schärfe unterhaltsam auflockert, und dank seines hervorragend aufgelegten Schauspielensembles beste Unterhaltung bietet.

 


Regie: Michael "Bully" Herbig

Drehbuch: Hermann Florin, b/a dem Buch "Tausend Zeilen Lüge" von Juan Moreno

Kamera: Torsten Breuer

Schnitt: Alexander Dittner

Musik: Ralf Wengenmayr

 

Besetzung:

Elyas M'Barek, Jonas Nay, Marie Burchard, Michael Maertens, Jörg Hartmann, Sara Fazilat, Jeff Burrell, Daniel M. Jacobs, Kurt Krömer

 

Warner Bros. Pictures Germany

2022

93 min.

FSK 12

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=XCiXmtEeluo 

 

Heimkino: Massive Talent (The Unbearable Weight of Massive Talent)

Die Karriere von Schauspieler Nicolas Cage (gespielt von Nicolas Cage) ist nach einigen Fehlschlägen an einem Tiefpunkt angekommen. Auf der Suche nach einer künstlerisch erfüllenden aber gleichermaßen lukrativen Rolle ist er nicht so recht erfolgreich, so dass er zähneknirschend das Angebot des Milliardärs Javier Gutierrez (Pedro Pascal) annimmt, für eine Million Dollar auf dessen Geburtstagsparty aufzutreten. Die Tatsache, dass es sich bei Gutierrez um seinen größten Fan, aber auch um einen von der CIA beobachteten internationalen Gangster handelt, sorgt für einige brisante Verwicklungen, insbesondere, als Nick als Undercover-Agent helfen soll, Gutierrez zu überführen…

Der Film ist ein rasantes Abenteuer, ein Buddy-Movie und eine Persiflage auf das Filmgeschäft, vor allem aber die Bühne für einen fulminant aufspielenden, sich selbst auf die Schippe nehmenden Nicholas Cage, der alle schlechten Filme, die er (leider) auch gemacht hat, vergessen lässt und eindrucksvoll zeigt, was für ein großartiger Schauspieler er ist.

Die Handlung ist witzig, voller Gags, manche vorhersehbare, manche aber auch nicht, dabei kommen Action und Spannung nicht zu kurz, letztere vor allem im Hinblick auf die bis zum Schluss offene Frage, wie gefährlich und skrupellos der so harmlos und verspielt daherkommende Gangster Javier – ebenfalls hervorragend : Pedro Pascal – tatsächlich ist, denn diesem gelingt es, seinen neuen Freund Nick mit Charme und Schmeicheleien zu umgarnen, ohne zu ahnen, das Nick Teil eines dunklen Komplotts gegen ihn ist. Zusammen erleben die beiden ein paar haarsträubende Abenteuer, die Nick bisher nur aus seinen Rollen kennt, und wie sie sich der filmverrückte Javier immer schon gewünscht hat. Es gibt rasante Verfolgungsjagden und einen Felsensprung wie einst bei Butch Cassidy und Sundance Kid, der Film ist ein Füllhorn an Filmzitaten und Versatzstücken verschiedener Genres, die gekonnt zu einem insgesamt überraschend homogenen Ganzen verwoben werden, und welche Rolle spielt bei dem Ganzen eigentlich Paddington 2?

Für alle, die diesen wunderbar witzigen Film, der ein wenig Licht in diese düstere Zeit gebracht hat, im Kino verpasst haben, gibt es jetzt die Möglichkeit, das Versäumte nachzuholen und das rasante, spritzige und selbstironische Highlight der Kinounterhaltung dieses Jahres im Heimkino anzuschauen, schließlich sind die Zeiten immer noch trist und düster...

 


  Regie: Tom Gormican

Drehbuch: Tom Gormican, Kevin Etten

Kamera: Nigel Bluck

Schnitt: Melissa Bretherton

Musik: Mark Isham

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

Besetzung:

Nicolas Cage, Pedro Pascal, Tiffany Haddish, Sharon Horgan, Paco León, Neil Patrick Harris und Demi Moore

 

Lionsgate/ Leonine Distribution

2022

107 min.

FSK 12

Ab 30. September 2022 als DVD, Blu-ray, 4K Ultra HD Blu-ray (dort auch im limitierten Mediabook bzw. Steelbook) und digital erhältlich.

Bonusmaterial

Audiokommentar, mehrere Featurettes und Deleted Scenes

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=sm89nsy-5bE (Deutsch)

https://www.youtube.com/watch?v=x2YHPZMj8r4 (Englisch)

https://www.youtube.com/watch?v=xEckT94M7qg (Englisch)

 

 

Im Kino: Im Westen nichts Neues

Im dritten Kriegsjahr 1917 fälscht der Schüler Paul Bäumer (Felix Kammerer) die Unterschrift seines Vaters auf dem Einschreibeformular der Armee, um, aufgepuscht von den flammenden Reden seiner Lehrer, zusammen mit seinen Klassenkameraden in die Armee eintreten zu können. Statt Heldentum und Marsch auf Paris erwarten ihn dreckige Schützengräben und ein brutaler, aussichtsloser Stellungskrieg, den er wahrscheinlich nicht überleben wird, während andernorts eine scheinbare Ewigkeit um einen Waffenstillstand gerungen wird, um das sinnlose Sterben auf beiden Seiten der Westfront zu beenden.

Der von eigenen Kriegserlebnissen geprägte Roman von Erich Maria Remarque ist auch beinahe hundert Jahre nach seinem Erscheinen noch immer aufrüttelnd in der fast nüchternen Beschreibung der Grausamkeiten des Krieges. Der Film lehnt sich in weiten Teilen daran an, erlaubt sich jedoch einige Veränderungen, lässt dabei Dinge weg und fügt einiges hinzu, kann aber der Handlung dadurch keine neuen Impulse hinzfügen, sondern beraubt sie an einigen Stellen vor allem der über das Frontgeschehen hinausreichenden Dimension und nimmt am Ende sogar dem Titel von Buch und Film seinen Sinn.

Visuell und soundtechnisch bietet der Film jedoch alles, um den Schrecken und die Grausamkeiten hautnah erlebbar zu machen, insofern ist er auf jeden Fall für die große Leinwand konzipiert und nicht für einen Fernsehbildschirm. Kein Heldentum dem man nacheifern sollte wird hier präsentiert, sondern das kriegsbedingte Abschlachten in seiner ganzen Brutalität und Erbarmungslosigkeit, dass man sich wieder einmal fragt, wieso sich Menschen nach wie vor und immer wieder missbrauchen lassen, um für die kranken Ideen einzelner Herrscher ins Gras zu beißen oder sich zum Krüppel schießen zu lassen. Denn auch dies führt der Film, wenn auch ein wenig plakativ, vor, wie sich die Politiker am grünen Tisch so gar nicht einigen können und die Herren Offiziere weiter mit den Säbeln rasseln, weil dies nun mal das Geschäft der Herren Offiziere ist, während auf dem Feld das große Sterben weitergeht.

Ein wuchtiges Kinowerk, für das man starke Nerven braucht, und das leider von trauriger Aktualität ist, weil auch im 21. Jahrhundert nach wie vor unbeirrt versucht wird, Konflikte zu lösen, wie in der Steinzeit


Regie: Edward Berger

Drehbuch: EdwardBerger, Lesley Paterson, Ian Stokell, b/a Roman von Erich Maria Remarque

Kamera: James Friend

Schnitt: Sven Budelmann

Musik: Volker Bertelmann

 

Besetzung:

Felix Kammerer, Aaron Hilmer, Albrecht Schuch, Daniel Brühl, Devid Striesow, Edin Hasanovic, Michael Wittenborn

 

Netflix

2022

148 min.

FSK 12

Deutscher Kinostart: 29. September 2022

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=tPdM-pmqEDg

 

 

 

 

 

 

 

Donnerstag, 22. September 2022

Im Kino: Don't Worry Darling

Das Leben von Alice Chambers (Florence Pugh) könnte nicht perfekter sein: ein schönes Haus in einer Siedlungsgemeinschaft in der Nähe des Arbeitsplatzes ihres Gatten Jack (Harry Styles), der zusammen mit den anderen Ehemännern an einem ebenso wichtigen wie geheimnisvollen Projekt namens „Victory“ in der Wüste irgendwo in Amerika tätig ist. Es sind die 1950ger Jahre, alles ist bonbonbunt, und während die Männer an ihrer Karriere basteln, sorgen die Frauen für ein adrettes Heim. Aber dann entdeckt Alice plötzlich immer mehr Dinge, die nicht zu der perfekten Idylle zu passen scheinen, vor allem Harrys jovialer Chef Frank (Chris Pine), hat offensichtlich etwas zu verbergen…

Olivia Wilde bietet uns auf den ersten Blick eine zuckersüße Farce an, in der die wichtigste Rolle der Frauen die ist, ihren Männern „den Rücken frei zu halten“, eine aus heutiger Sicht zynische Umschreibung für Kinder hüten, kochen und den heimkehrenden Gatten mit einem Drink und willigem Sex zu erwarten. Der Film wirkt zunächst wie ein schaudernder Blick zurück in eine Welt von gestern, bis die Geschichte mehr und mehr in eine andere Richtung abzubiegen scheint, aber auch diese Wendung ist noch nicht die ganze Lösung des Rätsels, das kunstvoll und visuell perfekt gestylt wie ein virtuelles Spinnennetz gewoben wird, und dessen Lösung hier natürlich nicht verraten werden soll.

Zu loben sind die durchweg erstklassigen Darsteller, allen voran die wieder einmal hervorragende Florence Pugh, aber auch Harry Styles macht eine gute Figur, und Chris Pine beeindruckt durch seine klebrig-schmierige Verkörperung des wohlwollenden pater familias.

Die Geschichte entwickelt sich zunächst eher langsam, hier hätte wieder einmal, wie so oft bei aktuellen Filmen, etwas mehr Straffung gut getan, es werden Fährten und Hinweise gestreut, aber nachdem die Handlung dann Fahrt aufgenommen hat, kommt es zu einem durchaus furiosen Endspurt, ohne dass allerdings alle losen Enden vollständig verknüpft werden, denn es bleiben ein paar Fragen offen. Das muss nicht ganz schlecht sein, denn ein Film, über den man nach Verlassen des Kinos noch nachdenkt und über nicht ganz passend scheinende Details diskutiert, bleibt damit in dieser schnelllebigen Zeit immerhin länger im Gedächtnis.

 

Regie: Olivia Wilde

Drehbuch: Katie Silverman, Carey + Shane Van Dyke

Kamera: Matthew Libatique

Schnitt: Affonso Gonçalves

Musik: John Powell

 

Besetzung:

Florence Pugh, Harry Styles, Olivia Wilde, Chris Pine, Gemma Chan, Sydney Chandler, Nick Kroll, Kate Berlant, Timothy Simons, Dita Von Teese

 

Warner Bros./ New Line Cinema

USA 2022

122 min.

FSK 12

Deutscher Kinostart: 22. September 2022

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=XJ5afhlYPfw (Deutsch)

https://www.youtube.com/watch?v=YFZJMQg2eRI (Englisch)

 

 

Im Kino: Mittagsstunde

Ingwer Feddersen (Charly Hübner), Geschichtsprofessor in Kiel, nimmt eine längere Auszeit, um sich in seinem nordfriesischen Heimatdorf Brinkebüll um seine alten Eltern (Peter Franke und Hildegard Schmahl) zu kümmern, die nicht mehr alleine zurecht kommen. Diese Aufgabe ist weit schwieriger als gedacht, die demente Mutter lebt in einer eigenen, fremden Welt, der störrische Vater ist abweisend und über die Anwesenheit des Sohnes gar nicht begeistert. Ingwer, selbst eher schweigsam und verschlossen, begibt sich auf eine Reise in seine Vergangenheit, in der Flurbereinigung und eigenwillige Dörfler sowohl die Landschaft als auch den Charakter der Menschen geformt haben, in der aber auch Vieles nicht so war, wie Ingwer bisher geglaubt hatte, was insbesondere für seine eigenen Familienverhältnisse gilt…

Der nach dem Erfolgsroman von Dörte Hansen entstandene Film zeichnet, wenn auch in einem fiktiven Dorf angesiedelt, ein eindringliches Porträt einer Region und ihrer Menschen, das sich allerdings erst nach und nach aus den wechselnden Zeitebenen mit Episoden aus den Jahren 1965, 1976 und 2012 zusammensetzt. Erst am Ende, mit dem letzten Puzzlestein, erkennen sowohl die Zuschauer als auch der Protagonist Ingwer das vollständige Bild, und alles, was anfangs verwirrend erscheint bekommt am Ende seinen Sinn.

Wer immer aus der Enge einer dörflichen Heimat in die Welt aufgebrochen ist, wird mit wechselnden Gefühlen dorthin zurückkehren. Einerseits gibt es diese schrecklich-schöne Vertrautheit, wenn es scheint, als sei die Zeit dort, wo man herkommt, einfach stehen geblieben und nichts hätte sich in irgendeiner Weise verändert. Andererseits, blickt man tiefer, erkennt man Vieles auch nicht wieder, weil natürlich die Zeit auch dort nicht spurlos vorbei gegangen ist. Diese innere Zerrissenheit verkörpert Charly Hübner in eindringlicher und bewegender Weise, wortkarg bewegt er sich durch diese vertraut-fremde Welt, in der niemand das Herz auf der Zunge trägt, weshalb die Norddeutschen als verschlossen, abweisend gar, gelten. Aber natürlich brodelt tief drinnen dieselbe Leidenschaft für das Leben, die Liebe und alles andere, nur redet man nicht unentwegt darüber.

Dieses Sittenbild eines Dorfes und einer Familie kommt zunächst durchaus so spröde daher, wie man sich das vorstellen mag, aber der Film berührt durch seine authentisch wirkenden Figuren und deren durchaus vorhandenen bodenständigen Humor, alles in allem ein Stück Heimatgeschichte, wie man sie gerne öfter sehen würde, kitschfrei und realistisch-dicht in Szene gesetzt, und wer die Gelegenheit dazu hat, sollte sich die plattdeutsche Originalfassung gönnen, um noch ein Stück weiter in diese Welt einzutauchen. 

 


 Regie: Lars Jessen

Drehbuch: Catharina Junk, b/a dem Roman von Dörte Hansen

Kamera: Kristian Leschner

Schnitt: Sebastian Thümler

Musik: Jakob Ilja

 

Besetzung:

Charly Hübner, Peter Franke, Hildegard Schmahl, Rainer Bock, Gabriela Maria Schmeide, Gro Swantje Kohlhof, Julika Jenkins, Jan Georg Schütte, Lennard Conrad,

 

MajesticFilm

D 2022

93 min.

FSK 12

Deutscher Kinostart: 22. September 2022

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=DICJ3041z6Q