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Dienstag, 27. August 2019

Film-Rezensionen: Frau Stern

Frau Stern (Ahuva Sommerfeld) ist Jüdin, Ende achtzig und eröffnet ihrem Arzt gleich zu Beginn des Films, dass sie sterben möchte. Bei allem Verständnis für ihren Wunsch lehnt dieser natürlich jede Unterstützung ab, sie befindet sich weder in einem lebensbedrohlichen Zustand, noch ist sie überhaupt wirklich krank. Und wie sähe das aus: Deutscher Arzt verabreicht jüdischer Patientin Sterbemittel! Derart abgewiesen, zündet sie sich erst mal eine Zigarette an, zu Hause zieht sie noch einen Joint durch, Nachschub erhält sie immer von ihrem netten Friseur, der offensichtlich weiß, was seine Kundinnen wünschen. Wie man an eine Waffe kommt, weiß er allerdings auch nicht, und auch alle weiteren Versuche, sich irgendwie ins Jenseits zu befördern, wollen Frau Stern partout nicht gelingen. Dabei ist sie keineswegs die arme einsame Alte, denn mit ihrer Enkelin Elli (Kara Schröder) unternimmt sie viele schöne Dinge und erweist sich sogar als regelrechtes Feierbiest, mitten unter Ellis jungen Freunden.

Was wie eine ziemlich schwarze Komödie klingt, ist ein berührend-melancholischer, durch sein 4:3-Format beinahe dokumentarisch wirkender Film, der die Frage in den Raum stellt, wann es denn eigentlich genug sein soll mit diesem Leben, und ob man das denn nicht verdammt nochmal selbst bestimmen dürfen sollte, wenn man eines Tages dieses Lebens müde ist. Frau Stern, von Ahuva Sommerfeld in ihrer ersten und gleichzeitig letzten Rolle (sie verstarb leider kurz darauf im Alter von 81 Jahren) grandios dargestellt, hat so viel erlebt und überlebt, dabei nimmt sie immer noch an allem teil, kleidet sich pfiffig und genießt scheinbar das Leben, wie es sich ihr darbietet. Bei ihrer Interpretation des Liedes „Summertime“, mit brüchiger aber gleichwohl intensiver Stimme vorgetragen, während die Kamera in Großaufnahme auf ihrem eindrucksvollen Gesicht ruht, bleibt kein Auge trocken. Allein für einen solchen Moment lohnt sich manchmal der Weg ins Kino!.

Trotz aller Skurrilitäten und scheinbarer Improvisationen wirkt der Film wohldurchdacht und schafft es, etwas von Frau Sterns Kraft auf den Zuschauer zu übertragen. Zu keinem Zeitpunkt wird sie als schrullige Alte denunziert, sondern als Mensch, dem nichts und niemand, nicht einmal der schleimige Moderator einer windigen Talkshow, seine Würde nehmen kann. Wenn man jetzt nur noch einen ebenso würdevollen Abgang hinbekommen könnte…

 
Regie: Anatol Schuster
Drehbuch: Anatol Schuster
Kamera: Adrian Campean
Schnitt: Sarah Marie Franke, Anatol Schuster
Musik: Konstantin Schimanowski

Darsteller:
Ahuva Sommerfeld, Kara Schröder, Pit Bukowski, Katharina Leonore Goebel, Robert Schupp, Murat Seven, Gina Haller, Max Roenneberg

Deutschland 2019
79 min.
Deutscher Kinostart: 29. August 2019



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