Saint Amour
Wenn man wie Bauer Bruno (Benoît Poelvoorde) im ländlichen
Frankreich lebt, ist eine Fahrt nach Paris ein Ereignis, auch wenn es nur in
die riesige Halle einer Landwirtschaftsmesse außerhalb der Stadt geht. Er und
sein Vater Jean (Gérard Depardieu) stellen dort aus, und wie jedes Jahr hofft
Jean auf den ersten Preis für seinen wahrhaft imposanten Prachtbullen.
Der eigentliche Höhepunkt der Veranstaltung ist für Bruno
und seine Kumpel allerdings eine rituelle Weinreise, hierfür müssen sie die Hallen
nicht verlassen, es genügt ein Zug vorbei an den verschiedenen Ständen der
ebenfalls zur Messe angereisten Weinerzeuger. Es geht auch nicht um die
Verkostung edler Tropfen, sondern um ein möglichst zügiges Abfüllen, nicht
Genuss steht im Vordergrund, sondern der Rausch, der Bruno helfen soll, sein
tristes Dasein einigermaßen erträglich zu machen.
Bruno hat zwei Probleme: einen übermächtigen Vater und die
Frauen, bei denen er trotz aller Bemühungen keine Chancen hat. Der Vater (in
der wuchtigen Gestalt von Gérard Depardieu) ist ein imposanter Koloss, Bruno
wagt es nicht, ihm zu gestehen, dass er Hof und Landwirtschaft gegen einen Job
in einem Baumarkt eintauschen möchte. Den Frauen nähert sich Bruno nüchtern nur
sehr linkisch, sturzbetrunken stößt er sie unweigerlich ab.
Jean erkennt durchaus, dass Bruno unglücklich ist, auch wenn
dieser nichts davon bemerkt, da sich Vater und Sohn über die Jahre voneinander
entfremdet haben. Um sich ihm wieder anzunähern, beschließt Jean, mit seinem
Sohn während der Messe eine reale Weinreise zu machen, Voraussetzung ist, dass
sie zur Prämierung des besten Zuchtbullen am Ende der Woche zurück sind. Man
heuert einen jungen Taxifahrer namens Mike (Vincent Lacoste) an, der sie in die
gewünschten Weinorte chauffieren soll, beginnend mit dem Anbaugebiet des
Saint-Amour im Beaujolais.
Auf dieser sehr speziellen Reise treffen drei Lebensalter
aufeinander, die am Schluss auf wundersame Weise verschmelzen, aber bevor es
soweit ist, erleben sie bizarre Situationen und treffen auf ungewöhnliche
Menschen.
In Szene gesetzt hat diesen Film das französische
Regie-Tandem Gustave Kervern und Benoît Delépine, die beide auch für das
Drehbuch verantwortlich zeichnen. Aus ihrer Zusammenarbeit sind bereits Werke
wie „Mammuth“ und „Le grand soir“ („Der Tag wird kommen“) hervorgegangen. In
„Saint Amour“ ist es ihnen gelungen,
mit Depardieu und Poelvoorde zwei der großartigsten Akteure des französischsprachigen
Films zusammen zu bringen, die aus einem skurrilen Roadmovie eine zutiefst
anrührende Liebesgeschichte werden lassen, die noch einige Zeit nach Filmende,
sozusagen im Abgang, ein angenehmes Gefühl hinterlässt.
Es ist meisterlich, wie Gérard Depardieu, mächtig, massig,
ein Berg von einem Mann, sich mit einer unendlichen Zärtlichkeit und Liebe
seinem Sohn annähert und seine Liebeserklärung am Ende, unbeholfen aber
bewegend, gehört zu den anrührendsten Momenten des Films.
Benoît Poelvoorde überzeugt gleichermaßen in seiner
Verzweiflung und Zerrissenheit, auf der Suche nach Anerkennung und Zuwendung.
Er scheut sich nicht, Einblicke in alle Höhen und Tiefen seiner Seele zu
zeigen, bis er schließlich zur Ruhe kommt.
Der Dritte im Bunde, Vincent Lacoste, ist mehr als ein schmückendes
Beiwerk, auch seine Figur des Taxifahrers Mike, jung, gutaussehend, der
scheinbar als Einziger heraushat, wie man mit den Frauen richtig umgeht,
braucht diese Reise, um zu sich selbst zu finden und die drei Lebensalter eines
Mannes abzurunden. Nur alle drei zusammen schaffen es, der Frau mit dem
bezeichnenden Namen Vénus, mitreißend dargestellt von Céline Sallette, zu ihrem
späten Glück zu verhelfen, ein Glück an dem schließlich alle genesen.
Hochkarätig besetzt auch die Nebenrolle, so überrascht der
Schriftsteller Michel Houellebecq als verschrobener Gastwirt, der mit seiner
Familie in der Garage nächtigt, um Gäste auf Weinreise in seinen Zimmern
unterzubringen. Aber auch die Frauen-Rige kann sich sehen lassen mit Andréa
Ferréol, Chiara Mastroianni und Ana Girardot, alle kleine Leckerbissen, um die
ungewöhnliche Weindegustation abzurunden.
Ein paar der derberen Witze oder Situationen sind nicht
unbedingt etwas für Feingeister, aber wer sich auf den Film einlässt, wird
seinen Spaß haben. „Saint Amour“ ist kein konventionelles Einheitskino und
lässt über den schnellen Genuss hinaus durchaus eine poetische Tiefe und
Klarheit erkennen. Wie ein guter Wein eben...
Saint Amour – Drei gute Jahrgänge
ab 13. Oktober 2016 im Kino
Regie: Benoît Delépine, Gustave Kervern
Drehbuch: Gustave Kervern, Benoît Delépine
Musik: Sébastien Tellier
Darsteller: Gérard Depardieu, Benoît Poelvoorde, Vincent
Lacoste, Céline Sallette, sowie Gustave Kervern, Michel Houellebecq, Ovidie,
Andréa Ferréol, Chiara Mastroianni, Ana Girardot