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Donnerstag, 29. September 2016

Film-Rezensionen: Saint Amour - Drei gute Jahrgänge (Saint Amour)


Saint Amour



Wenn man wie Bauer Bruno (Benoît Poelvoorde) im ländlichen Frankreich lebt, ist eine Fahrt nach Paris ein Ereignis, auch wenn es nur in die riesige Halle einer Landwirtschaftsmesse außerhalb der Stadt geht. Er und sein Vater Jean (Gérard Depardieu) stellen dort aus, und wie jedes Jahr hofft Jean auf den ersten Preis für seinen wahrhaft imposanten Prachtbullen.



Der eigentliche Höhepunkt der Veranstaltung ist für Bruno und seine Kumpel allerdings eine rituelle Weinreise, hierfür müssen sie die Hallen nicht verlassen, es genügt ein Zug vorbei an den verschiedenen Ständen der ebenfalls zur Messe angereisten Weinerzeuger. Es geht auch nicht um die Verkostung edler Tropfen, sondern um ein möglichst zügiges Abfüllen, nicht Genuss steht im Vordergrund, sondern der Rausch, der Bruno helfen soll, sein tristes Dasein einigermaßen erträglich zu machen.


Natürlich funktioniert das nicht, dem Rausch folgt stets die Ernüchterung – wer wüsste es besser als Bruno selbst, der diese Reise schon unzählige Male unternommen hat. Er kennt die zehn Etappen des Alkohols – er wird sie später noch genau erläutern – und am Ende, nach dem Exzess, steht auf jeden Fall immer die Scham.


Bruno hat zwei Probleme: einen übermächtigen Vater und die Frauen, bei denen er trotz aller Bemühungen keine Chancen hat. Der Vater (in der wuchtigen Gestalt von Gérard Depardieu) ist ein imposanter Koloss, Bruno wagt es nicht, ihm zu gestehen, dass er Hof und Landwirtschaft gegen einen Job in einem Baumarkt eintauschen möchte. Den Frauen nähert sich Bruno nüchtern nur sehr linkisch, sturzbetrunken stößt er sie unweigerlich ab.


Jean erkennt durchaus, dass Bruno unglücklich ist, auch wenn dieser nichts davon bemerkt, da sich Vater und Sohn über die Jahre voneinander entfremdet haben. Um sich ihm wieder anzunähern, beschließt Jean, mit seinem Sohn während der Messe eine reale Weinreise zu machen, Voraussetzung ist, dass sie zur Prämierung des besten Zuchtbullen am Ende der Woche zurück sind. Man heuert einen jungen Taxifahrer namens Mike (Vincent Lacoste) an, der sie in die gewünschten Weinorte chauffieren soll, beginnend mit dem Anbaugebiet des Saint-Amour im Beaujolais.


 Auf dieser sehr speziellen Reise treffen drei Lebensalter aufeinander, die am Schluss auf wundersame Weise verschmelzen, aber bevor es soweit ist, erleben sie bizarre Situationen und treffen auf ungewöhnliche Menschen.


In Szene gesetzt hat diesen Film das französische Regie-Tandem Gustave Kervern und Benoît Delépine, die beide auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnen. Aus ihrer Zusammenarbeit sind bereits Werke wie „Mammuth“ und „Le grand soir“ („Der Tag wird kommen“) hervorgegangen. In „Saint  Amour“ ist es ihnen gelungen, mit Depardieu und Poelvoorde zwei der großartigsten Akteure des französischsprachigen Films zusammen zu bringen, die aus einem skurrilen Roadmovie eine zutiefst anrührende Liebesgeschichte werden lassen, die noch einige Zeit nach Filmende, sozusagen im Abgang, ein angenehmes Gefühl hinterlässt. 

Es ist meisterlich, wie Gérard Depardieu, mächtig, massig, ein Berg von einem Mann, sich mit einer unendlichen Zärtlichkeit und Liebe seinem Sohn annähert und seine Liebeserklärung am Ende, unbeholfen aber bewegend, gehört zu den anrührendsten Momenten des Films.


Benoît Poelvoorde überzeugt gleichermaßen in seiner Verzweiflung und Zerrissenheit, auf der Suche nach Anerkennung und Zuwendung. Er scheut sich nicht, Einblicke in alle Höhen und Tiefen seiner Seele zu zeigen, bis er schließlich zur Ruhe kommt. 


Der Dritte im Bunde, Vincent Lacoste, ist mehr als ein schmückendes Beiwerk, auch seine Figur des Taxifahrers Mike, jung, gutaussehend, der scheinbar als Einziger heraushat, wie man mit den Frauen richtig umgeht, braucht diese Reise, um zu sich selbst zu finden und die drei Lebensalter eines Mannes abzurunden. Nur alle drei zusammen schaffen es, der Frau mit dem bezeichnenden Namen Vénus, mitreißend dargestellt von Céline Sallette, zu ihrem späten Glück zu verhelfen, ein Glück an dem schließlich alle genesen.


Hochkarätig besetzt auch die Nebenrolle, so überrascht der Schriftsteller Michel Houellebecq als verschrobener Gastwirt, der mit seiner Familie in der Garage nächtigt, um Gäste auf Weinreise in seinen Zimmern unterzubringen. Aber auch die Frauen-Rige kann sich sehen lassen mit Andréa Ferréol, Chiara Mastroianni und Ana Girardot, alle kleine Leckerbissen, um die ungewöhnliche Weindegustation abzurunden.


Ein paar der derberen Witze oder Situationen sind nicht unbedingt etwas für Feingeister, aber wer sich auf den Film einlässt, wird seinen Spaß haben. „Saint Amour“ ist kein konventionelles Einheitskino und lässt über den schnellen Genuss hinaus durchaus eine poetische Tiefe und Klarheit erkennen. Wie ein guter Wein eben...




Saint Amour – Drei gute Jahrgänge

ab 13. Oktober 2016 im Kino



Regie: Benoît Delépine, Gustave Kervern

Drehbuch: Gustave Kervern, Benoît Delépine

Musik: Sébastien Tellier

Darsteller: Gérard Depardieu, Benoît Poelvoorde, Vincent Lacoste, Céline Sallette, sowie Gustave Kervern, Michel Houellebecq, Ovidie, Andréa Ferréol, Chiara Mastroianni, Ana Girardot








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