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Donnerstag, 17. November 2016

Film-Rezensionen: Deepwater Horizon



Deepwater Horizon



Seit dem Turmbau zu Babel enden von Menschen geschaffene Projekte immer wieder in einem Desaster. „Deepwater Horizon“ ist ein weiteres Beispiel hierfür.



„Deepwater Horizon“ war der Name einer Explorationsplattform der Schweizer Firma Transocean, auf der im Jahr 2010 im Auftrag des britischen Konzerns BP 70 km vor der Küste im Golf von Mexiko die Förderung von Öl aus einem riesigen Ölfeld unter dem Meeresboden vorbereitet werden soll. Das Projekt endete in einer Katastrophe, als die Anlage den Betreibern bei einer Bohrungstiefe von 1500 Metern buchstäblich um die Ohren flog, für etliche Tote sorgte und den Golf sowie die Küsten von Louisiana, Florida, Alabama und Mississippi mit auslaufendem Öl verseuchte. Über drei Monate lang schossen täglich geschätzt 40.000 Barrel Öl aus dem Bohrloch, bis dieses endlich geschlossen werden konnte. Die Folgen belasteten die betroffene Region auf Jahre hinaus.



Diese Tragödie ist Vorlage für den gleichnamigen Film, der sich allerdings nicht mit der Ölpest und deren Folgen auseinandersetzt, sondern die Geschichte der tapferen Männer und Frauen erzählt, die im Laufe der Ereignisse zu Helden werden.



Zur Einführung werden wir in die raue Welt auf einer Bohrplattform eingeführt, wo die Arbeit hart und der Umgangston kernig ist, wie überall dort, wo gestandene Männer in eingespielten Teams – sei es in Armee, Feuerwehr oder Polizei – zusammenarbeiten, und wo Gefahr ein ständiger Begleiter ist, der man nur trotzen kann, wenn man zusammenhält. Die einzige Frau zur Zeit des Unglücks ist die Technikerin Andrea Fleytas, die die schwimmende Plattform auf Kurs hält.



Die Mannschaften arbeiten wochenweise, zu Beginn werden wir Zeugen eines Schichtwechsels, bei dem auch der Techniker Mike Williams (Mark Wahlberg) und der bärbeißige, bei allen beliebte und geachtete Offshore Installation Manager Jimmy Harrell (Kurt Russell), genannt Mr. Jimmy, an Bord gehen. Beide beobachten, wie die Mannschaft der Firma Schlumberger, die letzte entscheidende Tests vornehmen sollte, die Plattform verlässt, wie sich später herausstellt, ohne befriedigende Ergebnisse.



Ebenfalls an Bord ist ein Vertreter von BP, Donald Vidrine (John Malkovich), der den Abschluss der Tests forcieren soll, da sich das Projekt bereits sechs Wochen hinter dem Zeitplan befindet.



Während Mr. Jimmy und seine Techniker erhebliche Zweifel haben, dass alle Probleme behoben sind und der Weg zur ersten Bohrung frei ist, setzt sich Vidrine erwartungsgemäß darüber hinweg. Er interpretiert einen nicht befriedigend verlaufenen Drucktest anders als die Techniker, da diese aber auch keine bessere Erklärung für die erhaltenen Ergebnisse haben, fügen sie sich schließlich den Anweisungen Vidrines und beginnen mit einer ersten Bohrung.



Einmal in Gang gesetzt ist das Verhängnis dann nicht mehr aufzuhalten. Wie zuvor in den Tests steigt der unterseeische Druck sofort an und der Technikerin Freytas wird zunächst untersagt, das Bohrloch über ein Ventilsystem am Meeresgrund wieder zu schließen. Als sie den Mut findet, entgegen ihrer Anweisung zu handeln, ist es bereits zu spät, der massive Druck entwickelt sich zu einem  Blowout, bei dem Bohrschlamm, Öl und Gas in einer gewaltigen Fontäne nach oben geschleudert werden. Es kommt zu Explosionen und ein Feuersturm fegt über die Bohrplattform hinweg. In bombastischen Bildern und ebensolchen Effekten werden diese Explosion der Plattform und das anschließende Höllenfeuer so realistisch in Szene gesetzt, dass der Zuschauer in seinem Kinosessel stellenweise das Gefühl hat, mitten im Geschehen dabei zu sein – eine Erfahrung, die man vielleicht nicht unbedingt machen muss.



Man fühlt die Hitze, riecht den Gestank von verbrennendem Öl, leidet mit den Akteuren – allen voran dem hervorragenden Kurt Russell. Die Nahaufnahmen erlauben kein Entrinnen und es ist angesichts des Infernos ein Wunder, dass es letztlich überhaupt Überlebende gibt.



Und dann ist der Film plötzlich zu Ende.



Die Erwartung, dass zum Schluss eine Aufarbeitung stattfindet, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte und – wichtiger noch – wer dafür verantwortlich ist, wird enttäuscht, und das ist das große Manko dieses durchaus mitreißenden Films. Im Abspann wird an die tapferen elf Männer erinnert, die ihr Leben verloren haben und lediglich in einem Satz wird auf die entstandene gigantische Umweltkatastrophe hingewiesen.



Zurück bleibt das schale Gefühl, dass die richtigen Menschen, die in einer schrecklichen Situation über sich hinausgewachsen sind, gesiegt haben, die falschen aber wieder einmal davongekommen sind. John Malkovics Figur dient lediglich dazu, die zu erzählende Geschichte in Gang zu setzten, eine Aufgabe, die er gewohnt gekonnt meistert, danach spielt er keine Rolle mehr.



Wir haben tapferen Helden bei der Arbeit zugesehen, aber wer sich auf diese einfache Geschichte einlässt, wird von dem exzellent in Szene gesetzten Spektakel geblendet und verkennt die fatale Botschaft des Films: Solange es solche Helden gibt, die für die Fehler anderer ihren Kopf hinhalten und sogar sterben, können wir getrost jeden Irrsinn in die Tat umsetzen und solange werden wir immer neue Türme bauen, die uns am Ende über dem Kopf zusammenbrechen.







Regie: Peter Berg

Drehbuch: Matthew Michael Carnahan, Matthew Sand

Darsteller: Mark Wahlberg, Kurt Russell, John Malkovich, Gina Rodriguez, Dylan O’Brian, Kate Hudson



Dauer: 107 Minuten

FSK: 12

Donnerstag, 10. November 2016

Film-Rezensionen: Florence Foster Jenkins


Florence Foster Jenkins



Der Film erzählt die (wahre) Geschichte der reichen Erbin Florence Foster Jenkins (hinreißend dargestellt von Meryl Streep), die es sich Im New York der 40ger Jahre zur Aufgabe gemacht hat, unter Einsatz ihres nicht unbeträchtlichen Vermögens und einer überwältigenden Leidenschaft ihren Mitbürgern klassische Musik näher zu bringen. Unterstützt wird sie dabei von ihrem britischen Ehemann, St. Clair Bayfield (tadellos: Hugh Grant), einem alternden Schauspieler, dem der entscheidende Erfolg auf der Theaterbühne verwehrt geblieben ist. Zusammen tritt das Paar im von beiden gegründeten Verdi-Club vor einem ausgewählten Publikum der New Yorker Society auf. In legendären Tableaux vivants deklamiert St. Clair unsterbliche Verse, während Florence in schrillen Kostümen für deren Untermalung sorgt.



Florences eigentliche Leidenschaft gilt jedoch der Oper, und ein Konzert in der Carnegie Hall weckt in ihr das Verlangen, Gesangsunterricht zu nehmen, ein Wunsch, den ihr St. Clair sogleich erfüllt. Die Aufgabe übernimmt – gegen ein üppiges Honorar – ein renommierter Musiker. Außerdem bekommt der mittellose junge Pianist Cosmé McMoon (herrlich verhuscht: Simon Helberg) die Chance auf ein fürstliches Gehalt, um Madame Florence musikalisch zu begleiten. McMoon kann sein Glück kaum fassen und sieht aufgeregt seiner ersten Stunde mit ihr entgegen. Die Spannung weicht jedoch einem ungläubigen Entsetzen, als Florence ihre Stimme erhebt, denn die Gute ist leider völlig unmusikalisch. Ohne Gefühl für Intonation und Rhythmus verfehlt sie haarscharf jeden Ton, was aber weder Gesangslehrer noch Gatte zu bemerken scheinen, vielmehr wird sie von beiden freundlich ermutigt.



Florence wagt sich an die schwierigsten Arien und nichts kann sie davon abhalten, diese auch in öffentlichen Auftritten zu Gehör zu bringen. St. Clair sorgt allerdings stets peinlich genau dafür, dass wirklich nur ein ausgewähltes Publikum zugelassen ist, so dass Florence nie erfährt, wie untalentiert sie in Wirklichkeit ist. Als sie sich eines Tages in den Kopf setzt, in der Carnegie Hall aufzutreten, wird die Sache brenzlig, denn alles andere als eine unglaubliche Blamage wäre eine Überraschung. Alle Versuche McMoons, sich aus dieser auch für ihn peinlichen Situation herauszuwinden scheitern, letztlich auch daran, dass sein Engagement einfach zu lukrativ ist und er auf andere Art wahrscheinlich nie die Chance erhalten wird, einmal in der Carnegie Hall zu spielen.



Auch St. Clair gelingt es nicht, Florences Auftritt zu verhindern, und diesmal liegt es nicht in seiner Macht, auf die Zusammensetzung des Publikums Einfluss zu nehmen, insbesondere einen besonders kritischen Journalisten fernzuhalten, der die Gelegenheit nutzt, endlich einmal die Wahrheit über Florences Sangeskunst zu schreiben. St. Clair und McMoon setzen alles daran, zumindest zu verhindern, dass Florence seine Rezension zu lesen bekommt, aber auch das misslingt…



Einen weiteren tragischen Aspekt erhält die Geschichte, wenn der Zuschauer erfährt, dass Florence schwer krank ist. Seit jungen Jahren leidet sie an Syphilis, die damalige Behandlung dieser Krankheit mit Quecksilber hat zwar ihr Leben gerettet, aber ihre Gesundheit dauerhaft ruiniert, wovon außer ihrem Mann nur wenige Menschen wissen.



Aufgrund der Krankheit lebt das Paar absolut enthaltsam, weswegen St. Clair eine Beziehung zu einer anderen Frau unterhält, was auch von Florence toleriert wird. Mit seiner „Zweitfrau“ lebt er zusammen, wann immer er das Gefühl hat, dass es Florence gut geht und sie aufs Beste versorgt ist, dafür tut St. Clair alles, aufopfernd, unerschütterlich und mit einer rührenden Zärtlichkeit. Es ist ein Arrangement der besonderen Art, alle Beteiligten scheinen damit glücklich zu sein, wer wollte ihnen dieses Glück streitig machen? Muss man in einem solchen Fall nicht von wahrer Liebe sprechen?



Der Film orientiert sich am Leben der echten Florence Foster Jenkins, und es gelingt Stephen Frears wie gewohnt meisterhaft, die anrührende Geschichte ohne Pathos und Kitsch in Szene zu setzen. Er lässt das New York der 40ger Jahre des vorigen Jahrhunderts lebendig werden, Kulisse und Kostüme schwelgen in nostalgischen Bildern, aufgeschreckt nur durch die schrillen Töne der Hauptperson.



Der Zuschauer ist zunächst hin- und hergerissen, kann es richtig sein, eine offensichtliche Wahrheit nicht auszusprechen und jemanden in einer Fantasiewelt leben zu lassen, auch wenn stets die Gefahr besteht, dass es zu einem bösen Erwachen kommt? Ist die Lüge ein legitimes Mittel um einen Zweck zu erreichen, sei er noch so ehrenvoll? Aber dem von Hugh Grant mit überzeugender Hingabe dargestellten St. Clair stellen sich diese Frage nicht, er handelt aus Liebe, und durch ihn bekommt das Leben seiner Frau eine besondere Würde, ein Leben, das angesichts ihres Schicksals so anders hätte verlaufen können, verhärmt und verbittert, in Schwermut und Melancholie. Stattdessen erlebt Florence viele wunderschöne Momente, die wahrscheinlich nur Meryl Streep mit einer gleichermaßen kindlichen wie überschwänglichen Freude vermitteln kann.



Florence Foster Jenkins lebt ihren Traum und als ihr Ende bevorsteht, zieht sie ihr Fazit: „Die Leute können vielleicht behaupten, dass ich nicht singen kann, aber niemand kann behaupten, dass ich nicht gesungen hätte.“



Besser kann man nicht von der Bühne abgehen…





Regie: Stephen Frears

Drehbuch: Nicholas Martin

Kamera: Danny Cohen

Musik: Alexandre Desplat

Darsteller: Meryl Streep, Hugh Grant, Simon Helberg, Rebecca Ferguson, Agnes Stark



Dauer: 110 Minuten

Start: 24. November 2016