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Dienstag, 23. Januar 2018

Film-Rezensionen: Wunder (Wonder)


August „Auggie“ Pullman (Jacob Tremblay) ist zehn Jahre alt. Er lebt mit seinen Eltern (Julia Roberts, Owen Wilson) und der großen Schwester Via (Izabela Vidovic) in einer Kleinstadt in den USA und möchte einmal Astronaut werden. Den passenden Helm hat er schon, allerdings trägt er ihn immer dann, wenn er einmal nicht angestarrt werden möchte, denn Auggie hat einen Gendefekt, der sein Gesicht verunstaltet, woran auch zahlreiche Operationen nichts haben ändern können. Trotzdem beschließen seine Eltern, nachdem sie Auggie bisher zu Hause unterricht haben, ihn nun auf eine normale öffentliche Schule zu schicken, damit er dort Freunde findet.

Die ganze Familie fürchtet den ersten Tag an der neuen Schule, alle hoffen inständig, dass es gut geht, auch Schwester Via, obwohl sie ihren eigenen Kampf auszufechten hat. Sie hat zwar akzeptiert, dass stets Auggies Probleme im Mittelpunkt stehen, aber manchmal vermisst sie ihren Teil an Aufmerksamkeit, der ihr wegen ihres Bruders oft vorenthalten wird.


Aufmerksamkeit bekommt Auggie in der Schule, wie zu erwarten, wieder einmal reichlich. Dabei stellt er – unerfahren im Umgang mit anderen Kindern – bereits bei der ersten Begegnung mit ihnen ein paar Weichen. So ist er in den Naturwissenschaften seinen Mitschülern weit voraus, was einige, die schon mit seinem Äußeren nicht zurecht kommen, endgültig überfordert und es kommt zu den von den Eltern befürchteten Kränkungen und Schikanen. Es bahnt sich aber auch eine vorsichtige Freundschaft zu dem gleichaltrigen Jack (Noah Jupe) an, die zwar einige Proben zu bestehen hat, sich aber am Ende gegen alle Widrigkeiten durchsetzt. Dabei hilft Auggie, dass er selbst nie seinen Humor und seine positive Sicht auf die Welt verliert, ein Verdienst seiner Eltern, die ihn mit ihrer Liebe und ihrer Stärke auf die Welt da draußen vorbereitet haben.


Es ist ein Film über Toleranz, Freundschaft, Selbstvertrauen und den Mut, mit Ausgrenzung und Engstirnigkeit umzugehen. Obwohl man die Mechanismen durchschaut, die in fast schon schamloser Weise die Gefühle des Zuschauers ansprechen, und trotz einer großen Portion Pathos am Ende, wird der Film seinem Titel absolut gerecht. Der Regisseur Stephen Chbosky inszeniert den hochgelobten und preisgekrönten Debütroman von R.J. Palacio niemals aufdringlich oder aufgesetzt und nimmt seine Figuren in jeder Situation ernst. Die großartigen Darsteller tragen ihren Teil dazu bei, ein positives Gefühl zu erzeugen, dem man sich nicht entziehen kann. Die Welt wird durch den Film sicherlich nicht plötzlich zu einer besseren, aber vielleicht kann er helfen, einen positiven Impuls für Toleranz und Mitgefühl zu erzeugen, für alle Auggies dieser Welt, und letztlich für jeden einzelnen von uns.















 






Regie: Stephen Chbosky 
Drehbucht: Stephen Chbosky, Steve Conrad, Jack Thorne, b/a Roman R.J. Palacio
Kamera: Don Burgess

Musik: Marcelo Zarvos

Darsteller: Jacob Tremblay, Julia Roberts, Owen Wilson, Izabela Vidovic, Mandy Patinkin, Noah Jupe




113 min 
Kinostart: 25. Januar 2018
Film- und Fotomaterial: 
presse.studiocanal.de


























Dienstag, 2. Januar 2018

Film-Rezensionen: Das Leuchten der Erinnerung (The Leisure Seeker)


Ella (Helen Mirren) und John (Donald Sutherland), ein Rentnerehepaar aus Wellesley, Massachusetts an der Ostküste der USA befindet sich auf der Zielgeraden seines Lebens. Sie hat Krebs im Endstadium und er, der ehemalige Literaturprofessor, pendelt erratisch hin und her zwischen eloquenten Ausführungen über amerikanische Dichtung und dem alzheimerbedingten schwarzen Loch, das ihn mehr und mehr aufsaugt. Vernünftige Entscheidungen sind von ihm nicht mehr zu erwarten und so braucht es nicht viel Überredungskraft von Ella, um ihn zu einer spontanen Reise in ihrem uralten Wohnmobil zu überreden, in besseren Tagen „Leisure Seeker“ getauft, als beide noch unbeschwert mitten im Leben standen, und das Gefährt zu längst vergangenen Familienurlauben mit den Kindern genutzt wurde. Jetzt soll es Ella und John die Küste hinunter bis nach Florida bringen, bis zum Hemingway-Haus in Key West, um dem von John so sehr verehrten Lieblingsautor noch einmal Tribut zu zollen. Unterwegs erleben die beiden ein Amerika, das ebenso wie John zwischen bekanntem Vergangenem und einer diffusen Zukunft schwankt, wobei der aufziehende Trumpismus seine Schatten voraus wirft. 

Ella hält dagegen und so betrachten beide abends auf den Zeltplätzen alte Dias, auf denen festgehalten ist, was sich nicht festhalten lässt. Aber wenigstens bleibt beiden mit dieser Reise eine letzte gemeinsame Phase, mit einer letzten subversiven Rebellion gegen Ärzte, ihre erwachsenen Kinder und irgendwie auch die Vernunft – wer lässt schon einen greisen Alzheimerkranken ans Steuer eines Wohnmobils…


Der Italiener Paolo Virzì hat sich in seinem ersten englischsprachigen Film daran gewagt, ein amerikanisches Roadmovie zu drehen. Er hat die Reise aus der Romanvorlage auf der Route 66 von Detroit ins gelobte Land Kalifornien an die Ostküste verlegt, um sich nicht von den vielen Klischees und pittoresken Touristenbildern verführen zu lassen, die auf der anderen Strecke lauern und konzentriert sich ganz auf seine beiden Protagonisten. Wehmütig und demütig zugleich durchleben die beiden alten Menschen ohne Zukunft noch einmal ihre Vergangenheit und lassen den Zuschauer daran teilhaben, wobei die kongenialen Darsteller Helen Mirren und Donald Sutherland eine grandiose Leistung zeigen. Es gibt witzige Szenen, banale, aber auch sehr berührende Momente und der Natur einer Tragikomödie folgend nimmt die Reise kein gutes Ende – oder vielleicht doch?

Der Film feierte seine Weltpremiere im Wettbewerb bei den Internationalen Filmfestspiele von Venedig 2017. Ehrungen für die Schauspieler folgten in Form eines Ehren-Oscars® für Donald Sutherland und einer Golden Globe ®-Nominierung für Helen Mirren.


Regie: Paolo Virzì 
Drehbuch: Stephen Amidou, Francesca Archibugi, Francesco Piccolo, Paolo Virzì b/a Roman von Michael Zadoorian 
Kamera: Luca Bigazzi 
Musik: Carlo Virzì 
Darsteller: Helen Mirren, Donald Sutherland, Christian McKay, Janel Moloney, Dana Ivey Dick Gregory



Italien/ USA 2017
113 min. 
FSK 12, Prädikat: Besonders Wertvoll
Kinostart: 04. Januar 2018






  




https://www.youtube.com/watch?v=THhTUZoK23w&feature=youtu.be