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Donnerstag, 23. September 2021

Im Kino: Schachnovelle

Kurz vor dem Einmarsch der Nazis in Österreich im Jahr 1938 erhält der Wiener Anwalt und Vermögensverwalter Josef Bartok (Oliver Masucci) die Warnung, dass er in Gefahr ist. Bevor er und seine Frau Anna (Birgit Minichmayr) das Land verlassen können, vernichtet Bartok Unterlagen, deren Daten er sich vorher einprägt. Er wird tatsächlich verhaftet und soll diese Daten preisgeben. Als er sich weigert, schickt ihn der Gestapo-Leiter Böhm (Albrecht Schuch) in Isolationshaft im Hotel Métropole, eine perfide Art der Folter, der sich Bartok mithilfe imaginärer Schachpartien zu entziehen versucht, um nicht dem Wahnsinn zu verfallen.

Die Verfilmung der berühmten Novelle des österreichischen Schriftstellers Stefan Zweig lehnt sich in einigen Teilen sehr eng an die Vorlage an, erlaubt sich aber auch davon abweichende Freiheiten. So streicht der Film den Erzähler, der in der Novelle die ganze Geschichte nur vom Hörensagen, nämlich durch die Schilderungen des Dr. B. erfährt, und setzt an die Stelle des Erzählers den Anwalt Bartok selbst. Wo es in der Novelle fast ausschließlich um geschlossene und verengte Räume geht, schwelgt der Film in der Darstellung einer hinzugefügten Vorgeschichte etwas zu sehr in plüschigem, ausladend ausgestattetem Ambiente, wenngleich durchaus eine morbide Stimmung heraufbeschworen wird, der sich das Ehepaar Bartok an seinem letzten Abend zusammen noch zu entziehen versucht: „Solange Wien tanzt, kann die Welt nicht untergehen.“ Natürlich kann sie das, und dafür steht, was danach folgt.

Dem Film gelingt dabei das Kunststück, sozusagen in den Kopf des Protagonisten einzudringen, in dem sich große Teile der weiteren Handlung abspielen und die Qualen eines Menschen spürbar werden zu lassen, der, wie die Figur des Bartok zu Anfang selbst sagt, zu seinem Wohl und seiner Gesundheit unbedingt auf geistige Nahrung angewiesen ist, um nicht zu "verhungern" und führt eindrucksvoll vor Augen, was es bedeutet, ohne Anregung und Ansprache über Wochen und Monate in der klaustrophobischen Enge des eigenen Ichs auf engstem Raum eingesperrt zu sein. Dies ist zum einen der großartigen Darstellung des Bartok durch Oliver Masucci zu verdanken, aber auch seinem Gegenspieler, dem einmal mehr brillierenden Albrecht Schuch, der sich als sanfter Folterknecht die Hände nicht schmutzig macht und dennoch ohne mit der Wimper zu zucken die schlimmste aller Grausamkeiten anordnet. Sowohl die einsamen Leiden des Bartok wie auch das intensive Duell der beiden Kontrahenten während der Verhöre bieten die stärksten Momente des Films.

Die Rahmenhandlung auf dem Schiff, das den befreiten Bartok später nach Amerika bringen soll, wo seine besiegt geglaubten Dämonen wieder geweckt werden, als auch das Ende des Films fallen zwar gegenüber den zuvor geschilderten starken Momenten ein wenig ab, aber dennoch ist der Film die gelungene Umsetzung eines, trotz der historischen Einbettung in eine schreckliche Zeit, zeitlos bedeutenden literarischen Werks.

Der Autor Stefan Zweig, der sich noch vor Veröffentlichung seiner Novelle im Jahr 1942 im brasilianischen Exil selbst tötete, hat weder das Ende der Naziherrschaft noch den Erfolg seines Werks miterlebt, Erlösung hat ihm seine Reise gen Amerika ebenso wenig gebracht, wie seinem Protagonisten Dr. B., was bleibt ist jedoch das bewegende Porträt eines Kämpfers, der sich nicht brechen lässt, auch wenn es ihn am Ende seinen Verstand und seine Gesundheit kostet.

 



 

Regie: Philipp Stölzl

Drehbuch: Eldar Grigorian b/a der Novelle von Stefan Zweig

Kamera: Thomas W. Kiennast

Schnitt: Sven Budelmann

Musik: Ingo Frenzel

 

Besetzung:

Oliver Masucci, Albrecht Schuch, Birgit Minichmayr, Rolf Lassgård, Samuel Finzi, Andreas Lust

 

Studiocanal Film/ StudioCanal Germany

D/ Au 2021

FSK 12

110 min,

 Deutscher Kinostart: 23. September 2021

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=pNy72-VYXx4

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