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Mittwoch, 21. April 2021

Im Kino: Curveball - Wir machen die Wahrheit

Im Jahr 1997 sucht der BND-Biowaffenexperte Dr. Arndt Wolf (Sebastian Blomberg) mit anderen internationalen Kontrolleuren wie der US-Amerikanerin Leslie Shearer (Virginia Kull) im Irak vergeblich nach biologischen Massenvernichtungswaffen. Zurück in Deutschland holt man zwei Jahre später seinen Rat ein, als der irakische Asylbewerber Rafid Alwan (Dar Salim) behauptet, im Irak an Experimenten mit Anthrax beteiligt gewesen zu sein. Für Schutz und einen deutschen Pass ist er zum Entzücken von BND-Abteilungsleiter Schatz (Torsten Merten) und Verbindungsoffizier Retzlaff (Michael Wittenborn) bereit, Details zu offenbaren und Dr. Wolf soll diese auf ihre Echtheit prüfen. Aber kommt es darauf überhaupt an, wenn sich der deutsche Nachrichtendienst freut, endlich einmal die CIA hinter sich zu lassen, während die Amerikaner sich ihrerseits freuen, eine Rechtfertigung gefunden zu haben, um gegen Sadam Hussein vorgehen zu können? Am Ende gibt es nur eine von Alwan gekritzelte Skizze von einem rollenden Labor, das angeblich auf LKWs durchs Land gefahren und deshalb von den Kontrolleuren nie gefunden wurde – reicht das, um einen Krieg zu beginnen?

Nun, wir wissen, dass es gereicht hat, denn am 19. März 2003 begann mit der Bombardierung von Bagdad der Irak-Krieg.

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001, erklärten die Amerikaner Sadam Hussein zum Drahtzieher, und um seinem nächsten Angriff zuvorkommen, musste er –  der zudem angeblich biologische und andere Massenvernichtungswaffen irgendwo im Irak hortete – unschädlich gemacht werden, wie der amerikanische Außenminister Colin Powell im UN-Sicherheitsrat im Februar 2003 verkündete. Zu diesem Zeitpunkt hatte Deutschland den Vorsitz in dieser Versammlung und Außenminister Joschka Fischer widersprach Powells Darstellung nicht.

Der Film ist kein Dokumentarfilm, aber er stützt sich auf inzwischen bekannt gewordene Fakten und zeigt im Gewand einer bitteren Satire auf, wie der BND, nachdem er herausgefunden hatte, dass Alwans Aussagen komplett erfunden waren, diese Erkenntnis zunächst für sich behielt, währen die Amerikaner, als sie den Schwindel merkten, diesen bereitwillig aufrecht erhielten, um ihre Ziele weiter zu verfolgen und vor allem zu rechtfertigen, nach dem Motto: Truth doesn’t count, justice does, also nicht Wahrheit zählt, sondern Gerechtigkeit. Aber wessen Gerechtigkeit, und nach welchen Fakten wird geurteilt? Man braucht die Fakten nicht zu verändern, wenn man sie gleich selber schafft, und Wahrheit ist eh nur eine Illusion, aber was wären wir ohne das Ringen um Wahrheit? So der zynische Umgang der Politik mit der Lebenswirklichkeit unzähliger Menschen – allein in diesem Krieg sind zwischen 150000 und 600000 Menschen gestorben, die meisten davon Zivilisten – und es wird mit Hilfe der guten Darsteller – allen voran der hervorragende Torsten Merten – deutlich, wie leicht sich ein in seinem Fachgebiet durchaus bewanderter Wissenschaftler von wendigen Akteuren in Politik und anderswo für ihre Zwecke einspannen lässt, ein interessantes Lehrstück, gerade in heutigen Zeiten. 

Auch Sebastian Blomberg als eben dieser Wissenschaftler, der etwas dröge aber kompetent seine Arbeit verrichtet und zum Spielball der Politik wird, zeigt die Entwicklung seiner Figur, vom anfangs stoischen Gleichmut bis hin zum verzweifelten Aktionismus, sehr eindring-lich und Dar Salim und Michael Wittenborn setzen die richtigen Akzente, so dass aus diesem eigentlichen Trauerspiel eine fürchterliche Komödie wird, bei der einem das Lachen im Halse stecken bleibt.

Neben der Spielhandlung sorgen zum Schluss eingefügte dokumentarische Szenen aus dem UN-Sicherheitsrat, die als unmittelbare Folge die Bombardierung Bagdads zur Folge hatten, für Authentizität und die ernüchternde Erkenntnis, dass man es tatsächlich nicht mit einer fiktionalen, sondern mit einer wahren Geschichte zu tun hat. Leider.

 


 Regie: Johannes Naber

Drehbuch: Oliver Keidel, Johannes Naber

Kamera: Sten Mende

Schnitt: Anne Jünemann

Musik: Johannes Naber

 

Darsteller:

Sebastian Blomberg, Dar Salim, Virginia Kull, Thorsten Merten, Michael Wittenborn, Franziska Brandmeier

 

Bon Voyage Films/ Filmwelt

D 2020

108 min.

 

Deutscher Kinostart: nach dem ursprünglichen Starttermin im November 2020 sollte es am 22. April 2021 losgehen, bleibt abzuwarten, wann die Kinos tatsächlich wieder öffnen dürfen… Stay tuned!

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=UkVIioGzo2M

 

Copyright Fotos: Sten Mende

Montag, 19. April 2021

Heimkino: World on Fire - Staffel 1

Die aufwändig gestaltete Serie führt zurück in das Europa des Jahres 1939. Der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen bringt den Krieg zurück nach Europa, in eine Welt, die noch an den Folgen des Großen Krieges, wie der Waffengang von 1914 bis 1918 bis dahin genannt wurde, leidet. Die Handlung setzt kurz vor Kriegsbeginn ein und rückt eine Reihe von Menschen aus verschiedenen Ländern in den Fokus, für die die Welt bald ein weiteres Mal im wahrsten Sinnes des Wortes in Flammen steht.

Vom Fall Warschaus über den Blitzkrieg im Westen mit der Einnahme von Paris bis hin zur Evakuierung britischer Truppen in Dünkirchen spannt sich der Bogen dieser ersten Staffel, daneben werden aber auch die Verwerfungen innerhalb der Zivilgesellschaft thematisiert, so zum Beispiel das Kindereuthanasieprogramm der Nazis, Denunziantentum, Diskriminierung von Juden, Schwarzen und Homosexuellen, Gleichschaltung und Zensur der Presse, Partisanentum und pazifistischer Widerstand, alles in allem eine geballte Mischung, die die Serie insgesamt etwas zu überfrachten droht. Dabei werden einzelne Figuren zu bloßen Schablonen, wie zum Beispiel die taffe amerikanische Kriegsreporterin Nancy Campbell (Helen Hunt), immer am Puls des Geschehens, zwischen Warschau, Berlin und Paris, oder die deutsche Familie Rossler. 

Andererseits gibt es aber auch Charaktere, die helfen, einen allzu trockenen Geschichtskurs mit Leben zu füllen, allen voran der junge britische Übersetzer Harry Chase (Jonah Hauer-King), der eine Entwicklung zum Kriegshelden durchlaufen darf, dabei hin- und hergerissen wird zwischen seiner polnischen Freundin Kasia (Zofia Wichlacz) und dem Mädel an der Heimatfront, Lois (Julia Brown). Für ein paar komische Momente im ernsten Drama darf Harrys Mutter Robina (Lesley Manville) sorgen, einem auf den ersten Blick kaltherzigen britischen Snob, deren mit scharfzüngigem Witz vorgetragenen pointierten Spitzen sich von den ansonsten oft papiernen Dialogen abheben. 

Die erste Staffel dieser Serie hat ihre oben genannten Schwächen, vieles ist geschichtlich bekannt und auch so vorhersehbar inszeniert, dass man meint, manche Dialoge mitsprechen zu können. Dennoch wird der Zuschauer auf unwiderstehliche Weise von Episode zu Episode immer tiefer in die Geschichte und die Schicksale der einzelnen Figuren hineingezogen, so dass trotz aller Vorhersehbarkeit der Handlung Spannung erzeugt und auch immer wieder hoch gehalten wird. Wie ein polnischer Widerständler allein von Ostpolen kommend Deutschland und Frankreich durchquerend, in Dünkirchen und schließlich sogar in England landen kann – geschenkt: das Gesamtpaket überzeugt, und das liegt an den guten Darstellern, die durch die Personalisierung einzelner Schicksale, eingebettet in eine sorgfältig gestaltete und authentisch wirkende Szenerie, abstrakte geschichtliche Fakten und Ereignisse hautnah spüren lassen, das weckt insgesamt auf jeden Fall Lust auf die zweite Staffel.

 



 

 

 

 

 

 

 

 

Regie: Chanya Button, Thomas Napper, Adam Smith, Andy Wilson

Drehbuch: Peter Bowker 

Kamera: Søren Bay, Suzie Lavelle, Mika Orasmaa, John de Borman

Schnitt: Andrew MacRitchie, Jamie Pearson, Mark Trend, Daniel Greenway, Robert Hall, Joel Skinner, Ben Whitehead

Musik: Dan Jones

Darsteller: Jonah Hauer-King, Julia Brown, Sean Bean, Helen Hunt, Zofia Wichlacz, Lesley Manville, Max Riemelt, Blake Harrison, Arthur Darvill, Johannes Zeiler, Bruno Alexander

 

Pandastorm Pictures

UK 2019

FSK 16

 

VÖ: ab 16. April 2021 auf Blu-ray, DVD und digital

 

 

Details DVD:

 

Anzahl Discs: 3

Laufzeit: 420 Min. (7 Folgen à 60 Min.)

Bildformat: 16:9 / 1,78:1

Ton: Deutsch DD 5.1, Englisch DD 5.1

Untertitel: Englisch

Extras: -

 

Details Blu-ray;

 

Anzahl Discs: 2

Laufzeit: 420 Min. (7 Folgen à 60 Min.)

Bildformat: 1,78:1 / 1080p25 / AVC (BD)

Ton: Deutsch DTS 5.1, Englisch DTS 5.1

Untertitel: Englisch

Extras: -

 

Dienstag, 6. April 2021

Heimkino: Pelikanblut

Wiebke (Nina Hoss) lebt mit Adoptivtochter Nikolina (Adelia-Constance Ocleppo) auf ihrem Pferdehof, wo sie eine Reiterstaffel der Polizei trainiert. Nikolina stammt aus einem bulgarischen Weisenhaus und eines Tages erhält Wiebke die Gelegenheit, ein zweites Mädchen, die kleine Raya (Katerina Lipovska), von dort zu bekommen. Ihr Glück scheint vollkommen, aber das niedliche Mädchen entpuppt sich bald als unkontrollierbarer Problemfall, dessen Wutanfälle und Aggressionen das Leben für alle immer unerträglicher machen, bis Wiebke, am Ende ihrer Kraft, sich zu einer ganz besonderen Therapie entschließt.

Ähnlich wie in dem vielbeachteten Werk „Systemsprenger“ von Nora Fingscheidt
bringt ein unangepasstes Kind die Erwachsenen um sich herum an ihre Grenzen. Bei allem Verständnis für die traumatischen Erlebnisse der kleinen Raya scheint es keinen Weg zu geben, zu dem Mädchen durchzudringen, nicht mit Liebe, nicht mit Strenge. Aber genau das kann und will die im Umgang mit störrischen und verstörten Pferden geschulte Wiebke einfach nicht wahrhaben, und es ist aufwühlend, mit anzusehen, wie sie sich und ihr Umfeld quält, obwohl ihr auch Fachleute zum Aufgeben raten. Ist es eine tief verwurzelte Mutterliebe, die ihr keine Wahl lässt, als auch das nicht leibliche Kind bedingungslos und bis zur Selbstaufgabe zu umsorgen, so wie es, der Legende nach Pelikanmütter mit ihren bereits toten Küken machen, oder ist es der eigene brennende Ehrgeiz, sich und aller Welt als starke und unbeugsame Frau zu beweisen, die nie aufgibt, wenn sie eine Aufgabe übernommen hat? Für letzteres sprechen die durchaus gewollten Parallelen zu ihrer Arbeit, bei der sie „Problempferde“ ebenfalls mit unendlicher Geduld führt und trainiert, auch wenn es aussichtslos scheint.

Dass sie, um Raya zu retten, am Ende auch vor irrationalen Methoden nicht zurückschreckt, ist konsequent, aber für den Zuschauer etwas schwer verdaulich. Man kann es als Taschenspielertrick des Films sehen, die offensichtlich ausweglose Situation doch noch zu aufzulösen, oder als Metapher dafür, dass es immer einen Weg gibt, auch wenn es fragwürdig bleibt, ob man diesen wirklich gehen sollte, denn alles hat seinen Preis. Was dies für Wiebke und ihre Familie bedeutet, bleibt letztlich offen, es gibt aber Zeichen für ein gutes Ende.

Der Film bewegt sich in einem durchaus spannenden Cross-Genre zwischen Drama und Horror und lebt von der bewegenden Darstellung seiner Protagonisten Nina Hoss und der sensationellen kleinen Katerina Lipovska. Beide sorgen für eine emotionale Achterbahnfahrt und wer bereit ist, sich auf beide Ebenen einzulassen, erlebt einen spannenden Film, der noch eine Weile nachwirkt.



 Regie: Katrin Gebbe

Drehbuch: Katrin Gebbe

Kamera: Moritz Schultheiß

Schnitt: Heike Gnida

Musik: Johannes Lehniger

 

Darsteller:

Nina Hoss, Murathan Muslu, Katerina Lipovska, Adelia-Constance Ocleppo, Yana Marinova, Daniela Holtz

 

 DCM

D/ BGR 2019

FSK 16

VÖ: EST 02. April 2021; DVD, Blu-ray & digital ab 09. April 2021

 

 Details DVD:

Laufzeit: ca. 122 min.

Bildformat: 2,39:1 (16:9 anamorph)

Audio: DD 5.1

Sprache: Deutsch

Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte

Bonus: Trailer

EAN: 4061229150200

 

Details Blu-ray:

Laufzeit: ca. 127 min.

Bildformat: 2,39:1 (1080p/24)

Audio: DTS-HD MA 5.1

Sprache: Deutsch

Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte

Bonus: Trailer

EAN: 4061229150217

 

Trailer: https://youtu.be/8M8Zq4wgmzE