Im Jahr 1997 sucht der BND-Biowaffenexperte Dr. Arndt Wolf (Sebastian Blomberg) mit anderen internationalen Kontrolleuren wie der US-Amerikanerin Leslie Shearer (Virginia Kull) im Irak vergeblich nach biologischen Massenvernichtungswaffen. Zurück in Deutschland holt man zwei Jahre später seinen Rat ein, als der irakische Asylbewerber Rafid Alwan (Dar Salim) behauptet, im Irak an Experimenten mit Anthrax beteiligt gewesen zu sein. Für Schutz und einen deutschen Pass ist er zum Entzücken von BND-Abteilungsleiter Schatz (Torsten Merten) und Verbindungsoffizier Retzlaff (Michael Wittenborn) bereit, Details zu offenbaren und Dr. Wolf soll diese auf ihre Echtheit prüfen. Aber kommt es darauf überhaupt an, wenn sich der deutsche Nachrichtendienst freut, endlich einmal die CIA hinter sich zu lassen, während die Amerikaner sich ihrerseits freuen, eine Rechtfertigung gefunden zu haben, um gegen Sadam Hussein vorgehen zu können? Am Ende gibt es nur eine von Alwan gekritzelte Skizze von einem rollenden Labor, das angeblich auf LKWs durchs Land gefahren und deshalb von den Kontrolleuren nie gefunden wurde – reicht das, um einen Krieg zu beginnen?
Nun, wir wissen, dass es gereicht hat, denn am 19. März 2003 begann mit der Bombardierung von Bagdad der Irak-Krieg.
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001, erklärten die Amerikaner Sadam Hussein zum Drahtzieher, und um seinem nächsten Angriff zuvorkommen, musste er – der zudem angeblich biologische und andere Massenvernichtungswaffen irgendwo im Irak hortete – unschädlich gemacht werden, wie der amerikanische Außenminister Colin Powell im UN-Sicherheitsrat im Februar 2003 verkündete. Zu diesem Zeitpunkt hatte Deutschland den Vorsitz in dieser Versammlung und Außenminister Joschka Fischer widersprach Powells Darstellung nicht.
Der Film ist kein Dokumentarfilm, aber er stützt sich auf inzwischen bekannt gewordene Fakten und zeigt im Gewand einer bitteren Satire auf, wie der BND, nachdem er herausgefunden hatte, dass Alwans Aussagen komplett erfunden waren, diese Erkenntnis zunächst für sich behielt, währen die Amerikaner, als sie den Schwindel merkten, diesen bereitwillig aufrecht erhielten, um ihre Ziele weiter zu verfolgen und vor allem zu rechtfertigen, nach dem Motto: Truth doesn’t count, justice does, also nicht Wahrheit zählt, sondern Gerechtigkeit. Aber wessen Gerechtigkeit, und nach welchen Fakten wird geurteilt? Man braucht die Fakten nicht zu verändern, wenn man sie gleich selber schafft, und Wahrheit ist eh nur eine Illusion, aber was wären wir ohne das Ringen um Wahrheit? So der zynische Umgang der Politik mit der Lebenswirklichkeit unzähliger Menschen – allein in diesem Krieg sind zwischen 150000 und 600000 Menschen gestorben, die meisten davon Zivilisten – und es wird mit Hilfe der guten Darsteller – allen voran der hervorragende Torsten Merten – deutlich, wie leicht sich ein in seinem Fachgebiet durchaus bewanderter Wissenschaftler von wendigen Akteuren in Politik und anderswo für ihre Zwecke einspannen lässt, ein interessantes Lehrstück, gerade in heutigen Zeiten.
Auch Sebastian Blomberg als eben dieser Wissenschaftler, der etwas dröge aber kompetent seine Arbeit verrichtet und zum Spielball der Politik wird, zeigt die Entwicklung seiner Figur, vom anfangs stoischen Gleichmut bis hin zum verzweifelten Aktionismus, sehr eindring-lich und Dar Salim und Michael Wittenborn setzen die richtigen Akzente, so dass aus diesem eigentlichen Trauerspiel eine fürchterliche Komödie wird, bei der einem das Lachen im Halse stecken bleibt.
Neben der Spielhandlung sorgen zum Schluss eingefügte dokumentarische Szenen aus dem UN-Sicherheitsrat, die als unmittelbare Folge die Bombardierung Bagdads zur Folge hatten, für Authentizität und die ernüchternde Erkenntnis, dass man es tatsächlich nicht mit einer fiktionalen, sondern mit einer wahren Geschichte zu tun hat. Leider.
Regie:
Johannes Naber
Drehbuch: Oliver Keidel, Johannes Naber
Kamera: Sten Mende
Schnitt: Anne Jünemann
Musik: Johannes Naber
Darsteller:
Sebastian Blomberg, Dar Salim, Virginia Kull, Thorsten Merten, Michael Wittenborn, Franziska Brandmeier
Bon Voyage Films/ Filmwelt
D 2020
108 min.
Deutscher Kinostart: nach dem ursprünglichen Starttermin im November 2020 sollte es am 22. April 2021 losgehen, bleibt abzuwarten, wann die Kinos tatsächlich wieder öffnen dürfen… Stay tuned!
Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=UkVIioGzo2M
Copyright Fotos: Sten Mende