Michael Hartung (Charly Hübner) führt 30 Jahre nach der Wiedervereinigung mehr schlecht als recht eine Kiez-Videothek in Berlin. Eines Tages konfrontiert ihn ein rühriger Reporter (Leon Ullrich) mit seiner Vergangenheit: Hartung soll als Bahnmitarbeiter im Jahr 1984 planvoll einen ganzen Zug über eine verstellte Weiche am Bahnhof Friedrichstraße in den Westen umgeleitet haben und so zum Urheber der größten Massenflucht der DDR-Geschichte geworden sein. Obwohl das Ganze ein bisschen anders war, spielt der gutmütige und in Geldnot befindliche Michael mit, nicht ahnend, welche Wellen die Geschichte gerade pünktlich zum dreißigsten Jahrestag des Mauerfalls schlagen wird…
Regisseur Wolfgang Becker, der mit seiner Wende-Komödie „Good Bye, Lenin“ große Erfolge feiern konnte, knüpft mit diesem seinem letzten Film – er verstarb leider kurz nach Beendigung der Dreharbeiten – satirisch an die Befindlichkeiten dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung an. Was von offizieller Seite mit entsprechenden Feierlichkeiten begangen wird, die notorische Ostalgie mit den üblichen Reden von ehemaligen Dissidenten und die teilweise verklärten Erinnerungen, durch das alles fegt plötzlich mit der bisher unbekannten Geschichte des vermeintlichen stillen Helden Michael Hartung ein frischer Wind.
Dass Hartung damals gar nicht die Absicht hatte, 127 Zuginsassen zur Flucht in den Westen zu verhelfen, sondern dass es sich um ein bloßes Versehen handelte, möchte niemand wissen. Er wird zum Spielball verschiedenster Interessen, angeführt von dem überambitionierten Journalisten auf den Spuren eines Claas Relotius, in Diensten eines Magazins, das in seiner Aufmachung sehr an den SPIEGEL gemahnt. Profilierungssüchtige Politiker, die Filmbranche, immer auf der Suche nach dankbaren Sujets, alle wollen ihren Anteil am verlockenden Kuchen, der Aufmerksamkeit und Profit verspricht, ebenso werden alte DDR-Seilschaften aus der Versenkung gelockt, sie alle stürzen sich auf Hartung, bis dieser den Druck nicht mehr aushält und er die Wahrheit nur noch hinausschreien möchte. Aber da hat die ihn belagernde Meute bereits ein neues, noch vielversprechenderes „Opfer“ gefunden und Hartung ist so schnell raus, wie er gekommen ist.
Dies alles hat Becker zu einer amüsanten Komödie verwoben und dabei eine Schar von erstklassigen Akteuren versammelt, die teilweise in Kurzauftritten glänzen dürfen, während ein liebenswürdig-verschmitzter Charly Hübner den Film wunderbar zu tragen weiß. Vom Verlierer zum Helden und zurück ins normale Leben, er meistert seine Rolle absolut souverän. Ebenso gelingt es seinem Regisseur, alle tückischen Klippen zu umschiffen, die aus einer solchen Geschichte eine allzu seichte Klamotte hätte werden lassen. Dafür sorgen liebevoll arrangierte Szenen, für Nostalgiker angereichert mit netten Anspielungen, wie die Talkshow-Episode, in der Hübners Michael Hartung von der Ost-Ikone Katharina Witte im Stile Romy Schneiders angeflirtet wird („Sie gefallen mir…Sie gefallen mir sehr!).
Zum Abschluss des Jahres auf jeden Fall eine Empfehlung für alle, die eine wirklich gelungene deutsche Komödie erleben möchten und ein wehmütiger Abschied von einem zu früh verstorbenen Wolfgang Becker.
Regie: Wolfgang Becker
Drehbuch: Constantin Lieb, Wolfgang Becker,
b/a auf dem Roman von Maxim Leo
Kamera: Bernd Fischer
Schnitt: Martin Bomke
Musik: Lorenz Dangel
Besetzung:
Charly Hübner, Leon Ullrich, Christiane Paul, Leonie Benesch, Thorsten Merten, Arnd Klawitter, Dirk Martens
sowie: Katarina Witt, Peter Kurth, Daniel Brühl, Wolfgang Becker, Dagmar Berghoff, Dani Levy, Eva Löbau, Leslie Malton, Bernhard Schütz, Jürgen Vogel u.v.m. (Cameos)
Columbia Pictures/ CBS/ X-Verleih
2025
112 min.
FSK 6
Deutscher Kinostart: 11. Dezember 2025
Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=NrLfshGBOCA

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