Blog-Archiv

Freitag, 28. September 2018

Film-Rezensionen: Werk ohne Autor

Im Jahr 1937 wird der kleine Kurt Barnert (Cai Cohrs) Zeuge verstörender Veränderungen in seinem und dem Leben seiner Familie.
Der Besuch einer Ausstellung über entartete Kunst mit seiner Tante Elisabeth (Saskia Rosendahl) beeindruckt den Jungen sehr und als die Tante später selbst als „entartet“ Opfer eines menschenverachtenden Euthanasieprogramms wird und ihm, bevor sie für immer verschwindet, noch einschärfen kann, niemals wegzusehen, sind die Weichen für sein weiteres Leben gestellt.
Der junge Erwachsene Kurt (Tom Schilling) weiß eines Tages ganz sicher, dass für ihn nur ein Leben als Künstler in Frage kommen kann und, einmal erkannt, widmet er sich diesem Ziel über alle weiteren Zeitläufe hinweg. Kunst wird zu seinem Teil der Geschichte.

Der andere Teil der Geschichte beschäftigt sich mit einem Monster. Das Monster heißt Carl Seeband (Sebastian Koch) und ist eine Koryphäe auf dem Fachgebiet der Gynäkologie. Auch er widmet sich diesem seinem Lebenszweck mit Akribie. Dabei kennt er keine Skrupel, seine hervorragende fachliche Kompetenz stets in den Dienst der jeweiligen Herrschenden zu stellen. Wenn er sich an Verbrechen wie der Euthanasie und den damit verbundenen Entscheidungen über Leben und Tod beteiligt, macht er dies mit derselben Selbstverständlichkeit, wie er bei Kriegsende der Frau eines russischen Kommandanten bei der komplizierten Geburt ihres Babys das Leben rettet, was ihm bei seiner Entnazifizierung hilft. Er praktiziert in der DDR ebenso wie später in der BRD, als es opportun ist, und nie scheint er Zweifel zu haben, das Richtige zu tun.

Kompliziert wird die Geschichte, als seine Tochter Elisabeth, genannt Ellie (Paula Beer) sich in den angehenden Künstler Kurt verliebt, der inzwischen an der Ademie in Düsseldorf mit Professor Antonius van Verten (Oliver Masucci) als Mentor studiert. Kurt steht für alles, was Carl Seeband nicht versteht und letztlich auch verachtet, und so scheut Seeband nicht davor zurück, auch in das Leben seiner Tochter einzugreifen, weil es für ihn das Richtige zu sein scheint. Als Kurt erkennt, wer Carl Seeband ist und was er im dritten Reich getan hat, steht er vor der schwierigsten Entscheidung seines Lebens, aber auch hier weist ihm schließlich die Kunst den für ihn richtigen Weg, mit der Schuld Seebands umzugehen.

Mehr als zehn Jahre sind seit seinem mit vielen Preisen bedachten Film „Das Leben der Anderen“ vergangen, der misslungenen Hollywood-Ausflug „The Tourist“ liegt auch schon wieder acht Jahre zurück. Nun kehrt Florian Henckel von Donnersmarck auf die große Leinwand und zu dem zurück, was er so gut beherrscht: anderen beim Leben zuzuschauen. Diesmal richtet sich sein Blick auf mehrere Jahrzehnte deutscher Geschichte und er lässt uns teilhaben an Schicksalen und Ereignissen, die über die Zeitläufe untrennbar miteinander verwoben sind.

Inspiriert wurde der Film vom Leben des Malers Gerhard Richter, und das zentrale Thema
ist die Kunst, Kunst, die für sich selbst spricht, aber auch die Kunst, die, als Lebenszweck und als Gegengewicht zu allem Schrecklichen, was Menschen einander anzutun imstande sind. Kunst macht den Menschen zum Menschen und kann helfen, auch das schlimmste Trauma in etwas Positives zu verwandeln, solange es Künstler gibt, gibt es Hoffnung scheint die Botschaft zu sein, und diese Hoffnung darf man nie aufgeben.

Von Donnersmarck ist ein außergewöhnliches Werk gelungen, dramatisch und poetisch zugleich, das sich wohltuend vom kalkulierten, glattgebügelten Mainstream abhebt. Machtvolle Bilder werden von der betörenden Musik Max Richters untermalt, die noch lange nach Ende des dreistündigen Films nachhallt. Das hervorragende Ensemble der bis in die kleinste Nebenrolle hervorragend besetzten Schauspieler, allen voran Tom Schilling und Sebastian Koch, die ihren Figuren eine beeindruckende Tiefe geben, machen diesen Film zu einem ganz besonderen Werk, das zu Recht mit dem Prädikat „Besonders Wertvoll“ bedacht wurde und als deutscher Beitrag für den besten nichtenglischsprachigen Film ins Rennen für den Oscar® 2019 geschickt wird.





Regie und Drehbuch: Florian Henckel von Donnersmarck 
Kamera: Caleb Deschanel 
Musik: Max Richter 
Produktion: Pergamon/ Wiedemann & Berg Film Produktion 
Präsentiert von 
Buena Vista International 
In Koproduktion mit 
Beta Cinema
ARD Degeto
Bayrischer Rundfunk
in Zusammenarbeit mit 
Sky Deutschland
Rai Cinema
Arte

Darsteller:
Tom Schilling, Sebastian Koch, Paula Beer, Saskia Rosendahl, Oliver Masucci, Cai Cohrs, Hanno Koffler, Jörg Schüttauf, Hinnerk Schönemann, Ina Weisse, Ulrike C. Tscharre
sowie als Gäste: Ben Becker und Lars Eidinger
im Verleih von Walt Disney Studios Motion Pictures Germany
Bilder und Video: © Walt Disney Motion Pictures 
Prädikat: Besonders Wertvoll
188 min.
Kinostart: 3. Oktober 2018


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen