Die junge Hanna Leitner (Maresi Riegner) lebt um 1900 in Wien ein typisches Frauenleben. Sie ist verheiratet mit einem Mann, der sein Recht auf ehelichen Geschlechtsverkehr notfalls auch mit Gewalt einfordert, hat zwei kleine Töchter und leidet unter asthmatischen Anfällen. Der Arzt Otto Gross (Max Hubacher) soll sie behandeln, als dieser sich selbst zu einer Kur in die Schweiz begibt, folgt Hanna ihm und erfährt dort, an dem geheimnisvollen Ort Monte Verità im Tessin, was Freiheit und selbstbestimmtes Leben bedeuten können. Sie beginnt zu fotografieren und lebt sich ein in eine Gemeinschaft von Freigeistern, wo sie interessanten Menschen wie der Leiterin der Gemeinschaft Ida Hofman (Julia Jentsch), der Tänzerin Isadora Duncan, der unter Stimmungsschwankungen leidende Lotte Hattemer (Hannah Herzsprung) und dem Schriftsteller Hermann Hesse begegnet. Eines Tages jedoch erscheint ihr Mann mit den beiden Töchtern, um Hanna zurückzuholen…
Der „Berg der Wahrheit“ war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Treff- und
Anziehungspunkt für viele Suchende aus aller Welt, wo Pazifisten, Künstler, Intellektuelle zusammen kamen, um verschiedene alternative Lebensmodelle auszuprobieren. Hierzu gehörten Formen der freien Liebe, vegane oder vegetarische Ernährung, Nutzung der Natur als Heilkraft, aber auch der Versuch, sich von allen bürgerlichen Zwängen zu befreien.
Dieses reale Siedlungsprojekt dient dem Film als Hintergrund für das fiktive Porträt seiner Figur Hanna Leitner. Die Zumutungen ihrer Ehe werden zwar stellenweise ein wenig plakativ abgehandelt, aber dank der überzeugenden Darstellung von Maresi Riegner wirkt ihr Drang nach Ausbruch aus ihren Zwängen, die ihr im wahrsten Sinnes des Worte die Luft abschnüren, absolut überzeugend. Die Suche nach aktuellen Lebensentwürfen ist heute so genau so aktuell wie damals, und es passt ins Bild, dass die treibenden Kräfte hinter Vielem Frauen sind, während die Männer auch an einem solchen Ort oftmals nur an der Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse interessiert sind. Gegenüber dem harten Konflikt, den Hanna mit sich auszutragen hat, hin- und hergerissen zwischen ihrem schlechten Gewissen als Mutter, die ihre Kinder im Stich gelassen hat, und dem übermächtigen Gefühl, dieser Aufgabe nicht gewachsen zu sein, bildet die sich leise entwickelnde Dreiecksbeziehung zwischen Hanna, Ida und Lotte einen reizvollen Gegenpunkt.
Schön bebildert ist „Monte Verità“ ein ruhiger Film über eine Vergangenheit, die so vergangen auch wieder nicht ist, ein emanzipatorisches Drama, eindringlich, wenngleich ohne spektakuläre Höhepunkte, und auch wenn Hanna Leitner nicht wirklich existiert hat, hätte sie ohne weiteres Teil dieser Kolonie sein können.
Regie: Stefan Jäger
Drehbuch: Kornelija Naraks
Kamera: Daniela Knapp
Schnitt: Noemi Katharina Preiswerk
Musik: Volker Bertelmann
Besetzung:
Maresi Riegner, Max Hubacher, Julia Jentsch, Hannah Herzsprung
D/Ch/Au 2021
DCM
116 min.
FSK 12
Deutscher Kinostart: 16. Dezember 2021
Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=2vv66u8DXnQ
Fotomaterial: © tellfilm, Grischa Schmitz, DCM
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