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Mittwoch, 24. Juli 2024

Im Kino: Die Ermittlung

In einem Prozess 1963 in Frankfurt stehen 18 Angeklagte aus dem Konzentrationslager Auschwitz vor Gericht. Aus den Aussagen von insgesamt 39 Zeugen und Zeuginnen, die ihr eigenes erlebtes Leid, sowie die Zustände in dem Lager schildern, versuchen sich ein Richter (Rainer Bock) und der Staatsanwalt (Clemens Schick) ein Bild von dem Unvorstellbaren zu machen, während der Verteidiger (Bernhard Schütz) zu relativieren versucht, was nicht zu relativieren ist…

Das Theaterstück des Schriftstellers Peter Weiss aus dem Jahr 1965, das dieser mittels der Protokolle des Frankfurter Auschwitzprozesses von 1963 bis 1965 geschrieben hat, dient als Vorlage für diese Verfilmung. Es gibt auch hier einen bühnenartigen Schauplatz, reduziert einzig auf den Gerichtssaal, und seine ganze Wucht bezieht das vierstündige Drama nicht aus gezeigten Bildern, sondern aus jenen, die sich bei den Schilderungen der Zeugen und Zeuginnen im Kopf der Zuschauenden einnisten, Bilder, deren Macht sich niemand entziehen kann, der nur einen Funken Mitgefühl und eine Grundausstattung menschlicher Gefühle besitzt.

Der Film ist, wie auch das Theaterstück, als „ Oratorium in 11 Gesängen“ aufgebaut, quasi einzelne Kapitel, die sich mit den verschiedenen Stadien des Grauens in Auschwitz befassen, angefangen von der Fahrt in Viehwaggons und der Ankunft in Auschwitz mit der Selektion an der berüchtigten Rampe, bis zum finalen Tod im Gas. Auch wenn man glaubt, man wüsste bereits alles über Auschwitz, die Schilderungen der einzelnen Zeugen, die nacheinander vor ein Mikrofon treten, fügen diesem Grauen immer noch weitere, weil persönliche, Dimensionen hinzu, bis man glaubt, es nicht mehr aushalten zu können.

Keine ausgeschmückten Szenenbilder oder womöglich visualisierte Rückblenden lenken von dem Gesagten ab, jedes Wort, und sei es noch so leise oder gequält hervorgebracht, ist wie ein Dolchstoß in unser aller Gewissen, und spätestens bei den jeweiligen Reaktionen der Angeklagten, die von allem nichts gewusst und schon gar nicht mit irgendetwas zu tun gehabt haben wollen, fragt man sich, wie Menschen immer noch von sich glauben können, sie seien Teil eine höheren Zivilisation, während sie sich der unaussprechlichsten Barbareien schuldig machen.

Man vergisst leicht, dass es sich hier nicht um eine Dokumentation handelt, denn gerade die als Zeugen auftretenden Schauspieler verleihen ihren Worten trotz aller reduzierter Schlichtheit eine Intensität, der sich wohl niemand entziehen kann. Trotz des scheinbar statischen Aufbaus gelingt es, durch ganz diskreten Einsatz filmischer Mittel, wie dem geschickten Einsatz von Beleuchtung oder einer unterschwelligen musikalische Untermalung den Eindruck von abgefilmtem Theater zu vermeiden, ohne vom eigentlichen Konzept der Vorlage abzuweichen.

Niemand sollte sich von der Laufzeit abhalten lassen, durch die Aufteilung in die einzelnen „Gesänge“ merkt man nicht einmal, wie die die Zeit vergeht und jede einzelne Minute dieses Films ist gerechtfertigt. Jede (neue) Generation sollte sich mit diesem gewaltigen Unrecht immer wieder auseinandersetzen, und dieser Film bietet hierfür eine berührende Möglichkeit, alles, was es dafür braucht, ist sich darauf einzulassen.

 


 Regie: RP Kahl

Drehbuch: Peter Weiss

Kamera: GuidoFrenzel

Schnitt: Peter R. Adam, Anne Fabini, Christoph Strothjohann

Musik: Matti Gajek

 

Besetzung:

Rainer Bock, Clemens Schick, Bernhard Schütz, Wilfried Hochholdinger, Tom Waschiha, Christiane Paul, Karl Markovics, Nicolette Krebitz, André Hennicke, Peter Schneider, Arndt Schwering-Sohnrey, Peter Lohmeyer, Barbara Philipp, Roland Kukulies, u.v.a.

 

Leonine Studios

2024

241 min.

FSK 12

Deutscher Kinostart: 25. Juli 2024

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=PzLtaF6dYMI

 

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