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Mittwoch, 20. Februar 2019

Film-Rezensionen: Der Goldene Handschuh


Was wie der Titel eines anheimelnden Märchens klingt, ist tatsächlich ein Trip geradewegs hinab in die Hölle. Die Kiez-Kneipe auf Sankt Pauli mit dem Namen „Zum Goldenen Handschuh" wird als Sammelbecken für Säufer kurz vor und manchmal auch kurz nach dem Delirium tremens gezeigt, für abgehalfterte Huren und Frauen auf der Suche nach einer vollen Flasche und einem Schlafplatz für die Nacht, egal wie heruntergekommen und versifft. Die Stammgäste, die sich dort treffen, tragen programmatische Namen wie Doornkaat-Max, Soldaten-Norbert, Tampon-Günther, Nasen-Ernie, Anus, und sie scheinen ihr Refugium nie zu verlassen, außer für die halbe Stunde, in der der Schankraum kurz durchgeputzt wird, um danach die gewohnten Plätze wieder einzunehmen. Deutsche Schlagermusik aus der Jukebox sorgt für den ein oder anderen sentimentalen Moment, ansonsten herrscht schnapsgeschwängerter Stumpfsinn.

In dieser Kneipe verkehrt auch eine weitere armselige Gestalt, Fritz Honka, genannt Fiete, der eine schaurige Berühmtheit erlangt hat, weil er zwischen 1970 und 1974 vier Frauen ermordet und Teile von ihnen in seiner Wohnung einlagerte, bis man ihm schließlich zufällig auf die Spur kam, weil in der Wohnung unter ihm ein Feuer ausbrach.

Der Stoff diente Heinz Strunk in seinem Roman „Der Goldene Handschuh“ für eine Milieustudie, lakonisch und trocken, die nichts beschönigt, den Serienmörder als ärmstes unter den armen Würstchen darstellt und dabei auch die unappetitlichsten Details nicht ausspart, und diese Vorlage hat sich nun der Regisseur Fatih Akin für seinen Film ausgesucht. Vielleicht weil es eine Hamburger Geschichte ist, vielleicht weil er, wie er sich selbst äußerte, einmal einen Horrorfilm machen wollte, und ein Horrorfilm ist es dann auch geworden. Empfindliche Gemüter sollten unbedingt von einem Kinobesuch absehen, den Hartgesottenen, die diese Warnung ignorieren, bietet sich ein von Akin ausstattungsmäßig präzise und authentisch in Szene gesetztes Panoptikum, das in seinen drastischen Szenen seinen Darstellern eine Menge abverlangt. Fraglich bleibt jedoch, ob sich die Mühe gelohnt hat, denn der Film schafft es nicht, den Zuschauer mitzunehmen, sondern lässt ihn einigermaßen ratlos und angewidert zurück.

Der junge Schauspieler Jonas Dassler schlüpft dank einer kompromisslosen Arbeit der Maskenbildner in die hässliche Haut des Fritz Honka, dessen Gesicht und Gestalt durch einen schweren Unfall arg deformiert wurden, was der Film nicht thematisiert. Trotz einer beeindruckenden Leistung Dasslers überzeugt seine Verwandlung dennoch nicht immer, an manchen Stellen droht sein Honka in eine bloße Karikatur des Schreckens abzugleiten. Zu keinem Zeitpunkt wird die Frage gestellt – geschweige denn beantwortet – wie dieses Monster über einen so langen Zeitraum völlig unbemerkt von aller Welt seine Taten begehen konnte, wie Frauen spurlos verschwinden konnten, während sich in Honkas Wohnung ein unerträglicher Gestank ausbreitete, den er auch mit jeder Menge Tannenduft-Wunderbäumen nicht überdecken konnte. Sein biographischer Hintergrund – zehn Geschwister und eine überforderte Mutter – wird während eines Besäufnisses mit seinem kurz auftauchenden Bruder knapp angerissen, was sonst über die Person des realen Honka bekannt ist, nimmt der Film ebenfalls nicht auf, allein sein – letztendlich gescheiterter – Versuch, über einen neuen Job sein Leben zu ändern, findet Eingang.

Die Faszination, sich aus sicherer Distanz einem Biotop voller gescheiterter Existenzen zu nähern, wird in Gestalt eines Teenagerpaares greifbar: ein junger Mann führt seine Freundin, um diese zu beeindrucken, an den verruchten und deshalb so spannenden Ort, den der „Der Goldene Handschuh“ darstellt, abstoßend und anziehend zugleich, ohne zu ahnen, dass er sie unter Umständen in Gefahr bringt, denn Honka sieht in der blonden jungen Frau einen Engel, der für ihn normalerweise unerreichbar ist. Als er sich ihr auf der Straße zu nähern versucht, macht das Feuer in seinem Haus seinem Treiben ein Ende, denn die Feuerwehr stößt auf der Suche nach Brandnestern auf die Leichenteile in Honkas Wohnung, was dann endlich zu seiner Verhaftung führt.

Natürlich ist es fast unmöglich, einen Menschen wie Honka begreiflich zu machen, aber dann stellt sich die Frage, weshalb man ihn überhaupt zur Hauptperson eines Films macht. Da der künstlerische Ansatz, die dunkelsten Seiten der menschlichen Natur zu beleuchten im Gegensatz zum Buch im Film nicht überzeugt, muss sich Fatih Akin den Vorwurf gefallen lassen, lediglich die niederen und voyeuristischen Gelüste seines Publikums anzusprechen. 


Regie: Fatih Akin
Drehbuch: Fatih Akin, b/a Roman von Heinz Strunk
Szenenbild: Tamo Kunz
Bildgestaltung: Rainer Klausmann
Schnitt: Andrew Bird, Franziska Schmidt-Kärner
Maske: Maike Heinlein, Daniel Schröder, Lisa Edelmann
Musik: FM Einheit

Darsteller:
Jonas Dassler, Margarethe Tiesel, Katja Studt, Marc Hosemann, Tristan Göbel, Uwe Rohde, Hark Bohm Victoria Trauttmansdorff, Adam Bousdoukos, Jessica Kismalla, Marina Eitner-Acheampong, Barbara Krabbe

Warner Bros. Pictures
Bombero International
Warner Bros.Film Productions Germany und Pathé

FSK: Keine Jugendfreigabe
110 min.
Deutscher Kinostart: 21. Februar 2019

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