Die junge Pearl (Mia Goth) lebt mit ihren Eltern, einem schwer kranken Vater (Matthew Sunderland) und einer verhärmten, verbitterten Mutter (Tandi Wright), irgendwo im Süden der USA auf einer entlegenen Farm. Es ist das Jahr 1918, Pearls Ehemann kämpft im Krieg in Europa und im Land wütet die Spanische Grippe. Der einzige Weg für die junge Frau, aus diesem freudlosen Leben zu entkommen, sind ihre eskapistischen Träume von einem Leben als Star, dem alle Zuschauer zu Füßen liegen, wie sie es aus dem Kino kennt. Hierfür wäre sie bereit, alles zu geben, und als es im nahen Dorf einen Tanzwettbewerb gibt, ist sie wild entschlossen, diesen zu gewinnen, und so ihr Ticket in die Freiheit zu lösen…
Die ersten Bilder des Films erinnern an Gemälde des amerikanischen Malers Edward Hopper, mit ihren Ansichten von hölzernen Farmhäusern in endlos scheinenden Weiten des ländlichen Amerikas unter flirrend-hellem Sommerlicht, auf denen die wenigen Menschen stets so einsam und verloren wirken. Einsam und verloren fühlt sich auch die Protagonistin, deren Leben nachvollziehbar unausgefüllt und unausgelebt an ihr vorbeiläuft. Ein unterschwellig bedrohliches Gefühl ist von Anfang an spürbar, allerdings lässt sich der Film sehr viel Zeit, dieses dräuende Unheil langsam und genüsslich vorzubereiten.
Dabei wirkt der Film stellenweise wie eine Negativkopie der in den USA so populären Geschichte „The Wizard of Oz“ über die kleine Dorothy aus dem ländlichen Kansas in der zum Weltdokumentenerbe der UNESCO gehörenden Verfilmung. Pearl scheint – ohne die Vorlage zu kennen – dem Bild der jungen unschuldigen Judy Garland nachzueifern, aber darüber schiebt sich immer wieder die verzerrte Fratze des heraufziehenden Wahnsinns. Es gibt eine Vogelscheuche, der allerdings ein ganz spezieller Auftritt vorbehalten ist, aus dem Löwen wird – ein Krokodil? In der strengen, unerbittlichen Mutter könnte man eine Wiedergängerin der bösen Hexe des Westens sehen und statt der roten Schuhe putzt sich Pearl mit einem blutroten Kleid heraus. Hier enden dann aber auch die Vergleiche, denn der Ausbruch aus der ländlichen Monotonie ist vehement und martialisch und das Hopper-Bild gerinnt danach zu einem blutigen Stillleben, dessen Horror der Protagonistin in ihrem Wahn komplett entgeht.
Regisseur Ti West und Hauptdarstellerin Mia Goth, beide zusammen haben auch das Drehbuch verfasst, präsentieren hier so etwas wie die Vorgeschichte des Independent-Horror-Erfolgs „X“, in dem Goth bereits als ikonische Killerin zu sehen war. Mit ihren knapp 30 Jahren wirkt Mia Goth, wenn sie das will, immer noch wie ein Teenager, ihr gelingt mit einer eigenen Mischung aus kindlicher Unbedarftheit und schaurigem Racheengel eine intensive Vorstellung, die noch lange nachwirkt, wofür beispielhaft ihr minutenlanger, grandioser Monolog im letzten Drittel des Films steht, bei dem sich die Kamera geradezu in ihrem von Emotionen bewegten Gesicht festsaugt, während man sich den Horror im Gesicht ihres Gegenübers, das man dabei nicht sieht, nur mit Grausen vorstellen mag.
Wieder ein Film, der nichts für schwache Nerven ist, wer über solche verfügt, und sich nach dem ersten Drittel in einer falschen Sicherheit wiegt, sollte das Kino auf jeden Fall nach der Sache mit der Gans in der Scheune zügig verlassen, andernfalls gibt es ein böses Erwachen… Ansonsten: Fortsetzung folgt – MaXXXine!
Regie: Ti West
Drehbuch: Ti West, Mia Goth
Kamera: Eliot Rockett
Schnitt: Ti West
Musik: Tyler Bates, Tim Williams
Besetzung:
Mia Goth, David Corenswet, Tandi Wright, Matthew Sunderland, Emma Jenkins-Purro, Alistair Sewell, Amelia Reid
A24/ Universal Pictures International
2022
103 min.
FSK18
Deutscher Kinostart: 1. Juni 2023
Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=Y7NtNjV3swE (Deutsch)
https://www.youtube.com/watch?v=CA7nwu5ZwLE (Englisch)
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