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Montag, 25. März 2024

Im Kino: Kleine schmutzige Briefe (Wicked Little Letters)

Es ist das Jahr 1920 im kleinen englischen Badeort Littlehampton im Süden Englands, der erste Weltkrieg, den die Briten damals noch den Großen Krieg nannten, ist beendet und die Menschen versuchen, in ein ruhiges Leben zurückzufinden. Mit der Ruhe ist es jedoch vorbei, als Rose Gooding (Jessie Buckley), eine junge, temperamentvolle und alleinerziehende Frau aus Irland in die Nachbarschaft zieht. Kurz darauf erhalten alle Frauen des Ortes, allen voran die biedere Edith Swan (Olivia Colman), äußerst obszöne anonyme Briefe und für die Einwohner des Dorfes ist die Schuldige schnell ausgemacht. Nun obliegt es der jungen Polizistin Gladys (Anjana Vasan), die Täterin auch zu überführen…

Der auf einer wahren Begebenheit beruhende Film über einen Skandal, der seinerzeit landesweit tatsächlich zu erheblichem Aufruhr führte, ergeht sich genüsslich in der Darstellung der spießigen Gesellschaft zu Beginn des vorigen Jahrhunderts. Dabei stehen sich Rose und Edith kontrapunktisch gegenüber, hier die pure Lebensfreude, manchmal chaotisch und immer laut, dort die bigotte Ehrbarkeit in Person, eine ältliche Jungfer, die es nicht geschafft hat, sich von ihrem Elternhaus und dem strengen Vater zu lösen.

Zwischen diesen beiden Hauptfiguren, die sich, obwohl zunächst befreundet, in immer heftigeren Schlammschlachten bekämpfen, versucht sich eine dritte Frau zu behaupten, die Polizistin Gladys, die ihren eigenen Kopf hat und sich demgemäß gegen den dumm-eitlen Widerstand ihrer männlichen Kollegen und Vorgesetzen durchsetzen muss, was sie mit Witz und der nötigen Hartnäckigkeit bewerkstelligt.

Und während man noch denkt, es mit einer altmodischen aus der Zeit gefallenen Geschichte zu tun zu haben, treten auf einmal dieselben Mechanismen zutage, mit denen wir uns heutzutage immer noch herumschlagen. Schnell wird aus einem Verdacht Gewissheit und aus einer Verdächtigen eine Verurteilte, mit Rufmord und übler Nachrede ist man schnell bei der Hand und Neuzugezogene sind immer als Erste verdächtig…

Dass der Film über diese ernsten Aspekte hinaus und neben seiner Krimihandlung auch eine gelungene Komödie ist, die einfach Spaß macht, ist den glänzenden Akteurinnen zu verdanken, die mit sichtlicher Freude ihre jeweiligen Rollen interpretieren ohne sie zu überzeichnen, sowie einer herrlich „britischen“ Inszenierung mit viel Schrulligkeit und ganz viel Witz!

 

  

Regie: Thea Sharrock

Drehbuch: Jonny Sweet

Kamera: Ben Davis

Schnitt: Melanie Oliver

Musik: Nick Angel

 

Besetzung:

Olivia Colman, Jessie Buckley, Timothy Spall, Anjana Vasan, Hugh Skinner, Alisha Weir, Eileen Atkins, Gemma Jones, Joanna Scanlan

 

 Sony Pictures Classics/ StudioCanal Germany

2023

100 min.

FSK 12

Deutscher Kinostart: 28. März 2024

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=-UJTGKH9vLg (OmU)

https://www.youtube.com/watch?v=9KZs9e-yj-k (Englisch)

 

 

Im Kino: One Life

Nicky Winton (Johnny Flynn/ Anthony Hopkins), ein junger Londoner Makler erfährt am Vorabend des Zweiten Weltkriegs von Familien, die vor den Nazis nach Prag geflohen sind und nun erneut in Gefahr sind. Bevor die Nazis am 1. September 1939 in Polen einmarschieren und der Krieg beginnt, gelingt es ihm, unter großem Aufwand zusammen mit einer Gruppe gleichgesinnter Idealisten, wenigstens die Kinder in einzelnen Transporten aus Prag heraus und nach England zu holen. Gedanken an diese Vergangenheit holen ihn auch im hohen Alter immer wieder ein, und trotz allem plagen ihn Schuldgefühle, dass er nicht noch mehr Kinder retten konnte. Erst eine Einladung in eine bekannte Fernsehshow und die Begegnung mit etlichen der Geretteten, nun selber schon Eltern und Großeltern, führt ihm vor Augen, was er damals erreicht hat.

Es ist ein Film über den Mut und Einsatz eines Mannes, der gegen alle Widerstände macht, was er für das Richtige hält und damit für viele Menschen zum Lebensretter wird, nicht nur für die unmittelbar Geretteten, sondern auch deren Nachkommen, die ohne ihn gar nicht das Licht dieser Welt erblickt hätten.

Natürlich ist bei diesem Thema ein gerüttelt Maß an Pathos im Spiel, aber das ist legitim und liegt in der Natur der Sache. Diesen Nicky Winton hat es wirklich gegeben, ebenso die Kindertransporte, und es ist gut und wichtig, solche Geschichten nicht zu vergessen. Ein Spielfilm lässt zudem die Identifikation mit einzelnen Personen und Schicksalen zu, über das bloße Faktenvermitteln einer Dokumentation hinaus, dies gilt gleichermaßen für die Identifikation mit den Opfern, aber auch mit der Person, die durch ihr Handeln zum Helden wird.

Gerade in heutigen Zeiten, als man schon glaubte, Krieg und Vertreibung lägen weit hinter uns, ist es gut, daran zu erinnern, wie wertvoll Mut und Zivilcourage sind, wenn es darum geht, sich einem Unrecht entgegen zu stemmen – keine Leichte Kost, aber ein wichtiger Beitrag zu einem Thema, das leider immer aktuell zu bleiben scheint.

 

 

Regie: James Hawes

Drehbuch: Lucinda Coxon, Nick Drake, b/a dem Buch „If it’s not impossible: The Life of Sir Nicholas Winton“ von Barbara Winton

Kamera: Zac Nicholson

Schnitt: Lucia Zucchetti

Musik: Volker Bertelmann

 

Besetzung:

Anthony Hopkins, Lena Olin, Johnny Flynn, Helena Bonham Carter, Tim Steed, Alex Sharp, Matilda Thorpe, Daniel Brown

 

BBC Film/ / SquareOne Entertainment

2023

110 min.

FSK 12

Deutscher Kinostart: 28. März 2024

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=ova0I2MijJg (Deutsch)

https://www.youtube.com/watch?v=6ethollg-PI (Englisch)

 

 

 

 



Dienstag, 19. März 2024

Im Kino: Dream Scenario

Collegeprofessor Paul Matthews (Nicolas Cage) lebt ein unspektakuläres Leben im Kreise seiner Familie und seiner Studenten. Eines Tages erwähnt seine Tochter, dass Paul in einem ihrer Träume auftauchte, dann werden es immer mehr Menschen, auch völlig fremde, die ihn im Traum sehen. Seine Studenten und das Internet feiern ihn als Helden und Paul beginnt seinen neuen Ruhm zu genießen. Aber dann wandelt sich sein Traum-Alter-Ego von einer passiven zu einer immer aggressiver auftretenden Figur und damit wird die ganze Geschichte für alle, aber vor allem für Paul, zum Alptraum…

Aus der kuriosen Ausgangsidee entwickelt sich ein intelligenter und witziger Film, vor allem dank des großartig agierenden Nicolas Cage. Er lässt seine Figur durch alle Höhen und Tiefen tappen, liebenswert und scheinbar immer ein wenig neben der Spur, bis hin zu seiner völliger Entgeisterung, als aus ihm, dem eben noch gefeierten Helden, plötzlich der Buhmann der Nation wird, dem von allen Seiten nur noch Hass entgegenschlägt und der schmerzvoll erfahren muss, dass der Pakt mit dem Teufel selten zu etwas Gutem führt...

Die Seitenhiebe auf Internet-Hypes und Shitstorms sind gewollt und gelungen, aber natürlich nichts wirklich Neues und man ist gespannt, ob der Regisseur seine Tour der Force auch zu einem pfiffigen Ende bringt. Das ist leider nicht ganz befriedigend gelungen, aber dennoch ist „Dream Scenario“  ein unterhaltsamer Film geworden, der den Gang ins Kino auf jeden Fall lohnt, wenn man Sinn für Verschrobenes und ungewöhnliche Geschichten hat.

 


Regie: Kristoffer Borgli

Drehbuch: Kristoffer Borgli

Kamera: Benjamin Loeb

Schnitt: Kristoffer Borgli

Musik: Owen Pallett

 

Besetzung:

Nicolas Cage, Lily Bird, Julianne Nicholson, Jessica Clement, David Klein, Kaleb Horn

 

A24/ DCM Film Distribution

2023

102 min.

FSK 12

Deutscher Kinostart: 21. März 2024

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=R-7Su4PzUmo (Deutsch)

https://www.youtube.com/watch?v=q3x9iUL-74w (Englisch)

 

 

 

Donnerstag, 14. März 2024

Heimkino: American Fiction

Thelonious “Monk“ Ellison (JeffreyWright) ist ein angesehener Hochschullehrer und Autor guter, aber wenig erfolgreicher Literatur. Obwohl selbst Afroamerikaner, nerven ihn die in seinen Augen stereotypischen Zuschreibungen, wie er als Person, Dozent oder Schriftsteller zu sein hat und er verweigert sich ihnen konsequent. Als das Buch einer jungen schwarzen Kollegin zum Bestseller wird, das genau mit diesen von ihm so verachteten Klischees arbeitet, schreibt er unter Pseudonym und mit erfundener Biographie ein ähnliches Werk, das, für ihn völlig unerwartet und absolut ungewollt, ein Riesenerfolg wird, was ihm ermöglicht, das teure Pflegeheim für seine Mutter zu finanzieren…

Zur Zeit von Vielen beklagt ist die Frage nach dem, was man noch sagen und aussprechen darf, alles ist zu einem weiten und komplett verminten Feld geworden, wie bezeichnet man Minderheiten, gibt es die überhaupt noch und welche Personengruppe wird gerade wieder durch eine unbedarfte Äußerung beleidigt? Wie geht man mit Klischees um, wer bestimmt eigentlich, was eines ist und was nicht?

In diesem Film sieht sich die Hauptfigur davon bedrängt, was ihn als Schwarzen – oder sagt man besser: Afroamerikaner –letztlich ausmacht. Wo er sich eigentlich nur als Mensch mittleren Alters sieht, der beruflich seine Probleme hat und dem privat die gleichen Dinge widerfahren, wie jedem und jeder von uns – die Eltern werden alt, sterben oder werden dement, Geschwister sterben oder sind nicht der Halt, den man von ihnen erwartet – da soll er sich auch noch mit seinen schwarzen Brüdern und Schwestern solidarisieren, die genau wie die die übrige Gesellschaft bestimmte Dinge erwarten, wie er sich zu artikulieren, sich zu kleiden oder sonstwie zu verhalten hat.

Wenn er sich diesen Erwartungen widersetzt, stößt er auf Schwierigkeiten, erst als er aus einer Laune heraus und um diese in seinen Augen lächerlichen Klischees auf die Spitze zu treiben genau damit Erfolg hat, zeigt sich die ganze Absurdität einer solchen Situation.

Der Film beleuchtet dieses Dilemma satirisch, wenn er dabei auch recht zahm bleibt, ist er doch unterhaltsam und mag Anregungen dazu geben, nicht zu viel auf einmal zu wollen. Es soll das Rad zwar nicht wieder zurückgedreht werden, aber Menschen brauchen einfach Zeit, um sich an Neues zu gewöhnen, und manche Gruppen müssten vielleicht darüber nachdenken, ob sie sich mit ihrem unbedingten Betonen ihrer Besonderheiten nicht gerade wieder so abgrenzen, dass eine einheitliche gleichwohl vielfältige Gesellschaft verhindert oder zumindest erschwert wird.

 

 Regie: Cord Jefferson

Drehbuch: Cord Jefferson, b/a Roman „Erasure“ von Percival Everett

Kamera: Cristina Dunlap

Schnitt: Hilda Rasula

Musik: Laura Karpman

 

Besetzung:

Jeffrey Wright, Tracee Ellis Ross, John Ortiz, Leslie Uggams, Sterling K. Brown, Issa Rae, Keith David, Adam Brody

 

Orion/ Amazon MGM Video

2023

117 min.

FSK 12

Ab Februar 2024 bei Amazon Prime

 

Trailer:

https://www.youtube.com/watch?v=i0MbLCpYJPA