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Donnerstag, 28. Oktober 2021

Im Kino: Dear Evan Hansen

Der unter massiven Angststörungen leidende Evan Hansen (Ben Platt) bekommt von seinem Therapeuten die Aufgabe, einen Brief an sich selbst zu schreiben, in dem er sich selber Mut für sein letztes Schuljahr zuspricht. Ohne wirkliche Freunde und mit einer völlig überarbeiteten Mutter wird Evan beim Schreiben erst recht bewusst, was alles falsch läuft in seinem Leben und genauso formuliert er seinen Brief dann auch. Fatalerweise gerät dieser in die Hände eines anderen Problemschülers, Connor (Colton Ryan). Als dieser sich das Leben nimmt, findet man als dessen vermeintlichen Abschiedsbrief Evans an sich selbst adressierte Zeilen und schießt daraus, dass Evan und Connor befreundet waren. Evan ist zu verstört und möchte Connors Eltern nicht die Illusion rauben, dass ihr Sohn einen guten Freund hatte, außerdem ist Evan heimlich in Connors Schwester Zoe (Kaitlyn Dever) verliebt, der er nun auf diese Weise näher kommt. Das Lügengespinst, einmal begonnen, wird immer größer und Evan wird plötzlich zum Mittelpunkt an seiner Schule. Er entwickelt ein nie gekanntes Selbstbewusstsein, aber er weiß, dass alles in sich zusammenbrechen wird, wenn eines Tages die Wahrheit ans Licht kommen sollte...

Der Film basiert auf einem äußerst erfolgreichen Musical, das am Broadway mit vielen Preisen bedacht wurde und ist nun auch als Film-Musical mit den bekannten Bühnensongs und der Musik des Erfolgsduos Pasek & Paul inszeniert worden. Beide standen auch hinter dem Sound der Erfolge "La La Land" und " The Greatest Showman“ und haben offensichtlich ein Händchen für ins Ohr gehende Melodien und griffige Texte. Der Bühnen-Darsteller des Evan durfte auch die Filmrolle übernehmen und entgegen vielen kritischen Stimmen ist sein vermeintlich für einen Highschool-Schüler nicht mehr passendes Alter kein wirkliches Problem. Seine Darstellung ist anrührend und sein Gesang überzeugt ebenso, und er ist wahrhaftig nicht der erste, der in Wirklichkeit älter als die dargestellte Figur ist (Benjamin Braddock lässt grüßen...).

Das eigentliche Problem des Films dagegen ist ein anderes, und ein noch größeres verbirgt sich hinter dessen deutscher Fassung.

Es erstaunt, wie ein solch schwieriges Thema – psychische Probleme und Suizid – überhaupt den Stoff für die ansonsten so heile Broadway-Welt abgeben konnten, aber offensichtlich hat das Bühnenstück, gepaart mit den gefühlvollen und ansprechenden Songs, einen Nerv berührt. Kein Außenseiter sondern Teil einer Gemeinschaft zu sein, wenn sich die Zuschauer von diesem Motiv aufgrund einer starken Bühneninszenierung mitreißen ließen, so springt dieser Funke im Film nicht so ganz über, insbesondere stehen die Gesangseinlagen immer wieder wie ein Fremdkörper dem eigentlichen Drama im Weg. Die Figur des Connor wird ein paar Mal kurz in Rückblenden eingebunden, hier hätte für die filmische Umsetzung noch einiges mehr an Potenzial gesteckt, das leider verschenkt wurde, um daraus vielleicht sogar einen richtig guten Teenager-Film zu machen, so ist es leider nur die nicht ganz so gelungene Umsetzung eines Bühnen-Dramas.

Wenn dann allerdings in der synchronisierten Fassung die in die Handlung eingebundenen Songs auf deutsch eingesungen werden, entwickelt sich das Ganze zu einem Desaster, denn dann stimmt plötzlich nichts mehr. Die Kenner des Bühnenmusicals werden ihre Originalsongs vermissen und Fans des Hauptdarstellers Platt dürften ebenso wenig entzückt sein, ihn plötzlich mit einer fremden Stimme singen zu hören, warum nur erkennt niemand, dass man Gesang nicht einfach durch anderen Gesang ersetzen kann? Wenn man Ed Sheeran auf der Bühne erleben will, möchte man Ed Sheeran hören und nicht einen danebenstehenden Sänger, der seine Songs auf Deutsch vorträgt, auch wenn er dabei noch so schön singt. Wer die Texte nicht versteht: es gibt Untertitel oder die Möglichkeit, sich vor- oder nachher mit den Inhalten zu beschäftigen, aber bitte, verhunzt allen anderen nicht den Film!

 



Regie: Stephen Chbosky

Drehbuch: Steven Levenson, b/a dem Bühnen-Musical von Steven Levenson, Benj Pasek & Justin Paul

Kamera: Brandon Trost

Schnitt: Anne McCabe

Musik & Songtexte: Benj Pasek & Justin Paul

 

Besetzung:

Ben Platt, Amy Adams, Julianne Moore, Kaitlyn Dever, Amandla Stenberg, Nik Dodani, Danny Pino, Colton Ryan, DeMarius Copes

 

Universal Pictures

USA 2021

137 min.

FSK 6

Deutscher Kinostart: 28. Oktober 2021

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=R_DKb-TA4-g (Deutsch)

https://www.youtube.com/watch?v=dN7md7yl6mc (Englisch)

 

 

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