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Mittwoch, 31. Mai 2023

Im Kino: Pearl

Die junge Pearl (Mia Goth) lebt mit ihren Eltern, einem schwer kranken Vater (Matthew Sunderland) und einer verhärmten, verbitterten Mutter (Tandi Wright), irgendwo im Süden der USA auf einer entlegenen Farm. Es ist das Jahr 1918, Pearls Ehemann kämpft im Krieg in Europa und im Land wütet die Spanische Grippe. Der einzige Weg für die junge Frau, aus diesem freudlosen Leben zu entkommen, sind ihre eskapistischen Träume von einem Leben als Star, dem alle Zuschauer zu Füßen liegen, wie sie es aus dem Kino kennt. Hierfür wäre sie bereit, alles zu geben, und als es im nahen Dorf einen Tanzwettbewerb gibt, ist sie wild entschlossen, diesen zu gewinnen, und so ihr Ticket in die Freiheit zu lösen…

Die ersten Bilder des Films erinnern an Gemälde des amerikanischen Malers Edward Hopper, mit ihren Ansichten von hölzernen Farmhäusern in endlos scheinenden Weiten des ländlichen Amerikas unter flirrend-hellem Sommerlicht, auf denen die wenigen Menschen stets so einsam und verloren wirken. Einsam und verloren fühlt sich auch die Protagonistin, deren Leben nachvollziehbar unausgefüllt und unausgelebt an ihr vorbeiläuft. Ein unterschwellig bedrohliches Gefühl ist von Anfang an spürbar, allerdings lässt sich der Film sehr viel Zeit, dieses dräuende Unheil langsam und genüsslich vorzubereiten.

Dabei wirkt der Film stellenweise wie eine Negativkopie der in den USA so populären Geschichte „The Wizard of Oz“ über die kleine Dorothy aus dem ländlichen Kansas in der zum Weltdokumentenerbe der UNESCO gehörenden Verfilmung. Pearl scheint – ohne die Vorlage zu kennen – dem Bild der jungen unschuldigen Judy Garland nachzueifern, aber darüber schiebt sich immer wieder die verzerrte Fratze des heraufziehenden Wahnsinns. Es gibt eine Vogelscheuche, der allerdings ein ganz spezieller Auftritt vorbehalten ist, aus dem Löwen wird – ein Krokodil? In der strengen, unerbittlichen Mutter könnte man eine Wiedergängerin der bösen Hexe des Westens sehen und statt der roten Schuhe putzt sich Pearl mit einem blutroten Kleid heraus. Hier enden dann aber auch die Vergleiche, denn der Ausbruch aus der ländlichen Monotonie ist vehement und martialisch und das Hopper-Bild gerinnt danach zu einem blutigen Stillleben, dessen Horror der Protagonistin in ihrem Wahn komplett entgeht.

Regisseur Ti West und Hauptdarstellerin Mia Goth, beide zusammen haben auch das Drehbuch verfasst, präsentieren hier so etwas wie die Vorgeschichte des Independent-Horror-Erfolgs „X“, in dem Goth bereits als ikonische Killerin zu sehen war. Mit ihren knapp 30 Jahren wirkt Mia Goth, wenn sie das will, immer noch wie ein Teenager, ihr gelingt mit einer eigenen Mischung aus kindlicher Unbedarftheit und schaurigem Racheengel eine intensive Vorstellung, die noch lange nachwirkt, wofür beispielhaft ihr minutenlanger, grandioser Monolog im letzten Drittel des Films steht, bei dem sich die Kamera geradezu in ihrem von Emotionen bewegten Gesicht festsaugt, während man sich den Horror im Gesicht ihres Gegenübers, das man dabei nicht sieht, nur mit Grausen vorstellen mag.

Wieder ein Film, der nichts für schwache Nerven ist, wer über solche verfügt, und sich nach dem ersten Drittel in einer falschen Sicherheit wiegt, sollte das Kino auf jeden Fall nach der Sache mit der Gans in der Scheune zügig verlassen, andernfalls gibt es ein böses Erwachen… Ansonsten: Fortsetzung folgt – MaXXXine!

 

 

Regie: Ti West

Drehbuch: Ti West, Mia Goth

Kamera: Eliot Rockett

Schnitt: Ti West

Musik: Tyler Bates, Tim Williams

 

Besetzung:

Mia Goth, David Corenswet, Tandi Wright, Matthew Sunderland, Emma Jenkins-Purro, Alistair Sewell, Amelia Reid

 

A24/ Universal Pictures International

2022

103 min.

FSK18

Deutscher Kinostart: 1. Juni 2023

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=Y7NtNjV3swE (Deutsch)

https://www.youtube.com/watch?v=CA7nwu5ZwLE (Englisch)

 

Im Kino: Spider-Man: Across The Spider-Verse

Miles Morales, der Teenage-Mutant-Spider-Boy, der sich eigentlich darauf konzentriert hat, in Brooklyn für Recht und Ordnung zu sorgen, findet sich plötzlich im Multiversum wieder, mit vielen neuen Herausforderungen und vor allem vielen unterschiedlichen Spinnen-Leuten, die ihm nicht alle freundlich gegenüberstehen, außerdem sind Menschen, die ihm viel bedeuten, in Gefahr…

Nach dem oscarprämierten „Spider-Man: A New Universe“ geht die animierte Spinnengeschichte in die nächste (und, wie bereits angekündigt, noch nicht letzte) Runde. Was diese Reihe auszeichnet, ist ihr absolut furioser Style, wo ein gezeichneter Comic sich bei allen zeichnerischen und lautmalerischen Möglichkeiten am Ende doch immer als statisch erweist, erwacht hier alles zum Leben und explodiert förmlich auf der Leinwand, atemlos und bunt wie ein psychedelischer Trip, perfekt untermalt von einem großartigen Soundtrack.

Die grandiose Optik lässt die Gesichter der Figuren zwar einerseits immer noch wie gezeichnet wirken, gleichzeitig scheinen deren Gestik und Mimik auf faszinierende Weise real, und Action-Szenen unterliegen keinerlei physikalischen Beschränkungen, die eine Realverfilmung unter Umständen immer etwas ausbremsen können, was sich vor allem bei den Sequenzen quer durch das Multiversum zeigt. Hier fließt alles und es ist ein Augenschmaus, wie sich Miles und seine Freundin, durch die Lüfte bewegen, zwei Teenager auf einem schwerelosen Ausflug durch die Häuserschluchten ihrer Stadt. 

Bei all diesem optischen Feuerwerk gibt es aber auch eine stimmige Geschichte mit viel Witz, Herz und Gefühl, bei der Helden mit Superkräften manchmal auch nur Jugendliche mit ganz normalen familiären Problemen sind…

Um das Ganze noch ein weiteres Mal auszureizen – hoffentlich nicht den einen Tick zu viel – wird es eine Fortsetzung geben, weil die Geschichte, trotz der wieder einmal zu üppigen Länge, nicht zu Ende erzählt wurde, warum eigentlich nicht? Ach ja, um das Ganze noch ein weiteres Mal auszureizen.

 

 

Regie: Joaquim Dos Santos, Kemp Powers, Justin K. Thompson

Drehbuch: Phil Lord, Christopher Miller, Dave Callaham, b/a den Figuren von Stan Lee

Kamera:

Schnitt: Mike Andrews

Musik: Daniel Pemberton

 

Besetzung/Stimmen:

Original: Shameik Moore, Hailee Steinfeld, Oscar Isaac, Jake Johnson, Issa Rae, Brian Tyree Henry, Luna Lauren Velez, Rachel Dratch, Daniel Kaluuya, Jason Schwartzman, Karan Soni

Deutsch: Marco Eßer, Jule Brand, Alphonso Davies, Lara Loft

 

Sony Pictures

2023

140 min.

FSK 12

Deutscher Kinostart: 1. Juni 2023

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=DCYDSyI_IT0 (Deutsch)

https://www.youtube.com/watch?v=Etv-L2JKCWk (Englisch)

Donnerstag, 25. Mai 2023

Im Kino: Und dann kam Dad (About my Father)

Sebastian (Sebastian Maniscalco),  Sohn italienischer Einwanderer,  möchte seiner Ellie (Leslie Bibb) so bald wie möglich einen Heiratsantrag machen. Hierfür scheint sich eine Wochenendeinladung ins Landhaus von Ellies superreichen Eltern anzubieten, deren Vorfahren einst mit der „Mayflower“ auf dem amerikanischen Kontinent anlandeten, allerdings soll unbedingt auch Sebastians Vater Salvo (Robert De Niro) dabei sein, für Sebastian ein Wagnis, denn beide Familien scheinen so gar keine Gemeinsamkeiten zu haben und Sebastian sieht seine Zukunft mit Ellie in höchster Gefahr…

Sebastian Maniscalco ist in den USA ein erfolgreicher Comedian und zeichnet sich in seinen Stand-up-Shows als Meister großer Körperlichkeit beim Witzeerzählen aus. Hier verlässt er seine gewohnte Zone, indem er sich selbst mitten hinein begibt in seine Geschichten. Dabei bilden seine aus dem Off eingesprochenen Kommentare genau das ab, was er normalerweise auf der Bühne erzählt, schauspielerisch allerdings stößt er, auch wenn er seine Sache insgesamt recht ordentlich macht, immer mal wieder an seine Grenzen. Dass der Film dennoch Spaß macht, liegt am Witz seiner Clash-of-Cultures-Geschichte und den anderen gut aufgelegten Darstellern, allen voran Robert De Niro, der eine angenehm zurückhaltende Vorstellung gibt und seiner Figur eine wohltuende Würde verleiht, so wie auch sämtliche Macken der einzelnen Familienmitglieder mit einem Augenzwinkern gezeigt werden, ohne diese als bloße Witzfiguren zu denunzieren.

Kein tiefgründiges Stück, das in die Kinogeschichte eingehen wird, aber eine locker-flockige Komödie mit netten Gags und natürlich einer zu Herzen gehenden Botschaft über den Zusammenhalt von Familie, der zwar das Wichtigste ist, aber im besten Fall auch Raum gibt für Offenheit gegenüber unterschiedlichen Lebensweisen und auch Außenseiter innerhalb der eigenen Sippe, die es schließlich immer gibt, toleriert – die Familie als Keimzelle der multikulturellen Gesellschaft...

 


Regie: Laura Terruso

Drehbuch: Austen Earl, Sebastian Maniscalco

Kamera: Rogier Stoffers

Schnitt: Scott D. Hanson

Musik: Stephanie Economou

 

Besetzung:

Sebastian Maniscalco, Robert De Niro, Leslie Bibb, Kim Cattrall, David Rasche, Anders Holm, Brett Dier

 

Lionsgate/ Leonine

USA 2023

89 min.

FSK 12

Deutscher Kinostart: 25. Mai 2023

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=CS6loG4R96Q (Deutsch)

https://www.youtube.com/watch?v=txLSE7tpgr0 (Englisch)

 

 

Mittwoch, 24. Mai 2023

Im Kino: Arielle, die Meerjungfrau (The Little Mermaid)

König Triton (Javier Bardem) hat eigentlich viel Freude an seinen wohlgeratenen Meeres-Töchtern, nur Arielle (Halle Bailey) macht ihm mit ihrer Vorliebe für die Menschen und ihre Welt immer wieder Kummer. Als sie eines Tages den schiffbrüchigen Prinzen Eric (Jonah Hauer-King) vor dem Ertrinken rettet und sich in ihn verliebt, lässt sie sich auf einen Handel mit der Meerhexe Ursula (Melissa McCarthy) ein, die ihr Beine anstelle ihrer Meerjungfrauenflosse verspricht und, wenn es ihr gelingt, innerhalb von drei Tagen von Eric geküsst zu werden, ein Leben an seiner Seite. Aber der Preis hierfür ist hoch und Ursulas Spiel ist alles andere als fair…

Der gleichnamige Zeichentrickfilm aus dem Jahr 1989 war ein Riesenerfolg, der einer ganzen Generation von jungen, aber auch älteren Kinogängerinnen und –gängern viel Freude bereitet hat, durch die zu Herzen gehende Geschichte, die auf einem Märchen des dänischen Dichters Hans Christian Andersen basiert, aber auch durch die liebevoll gestalteten Bilder sowie die Musik und die bei Disney-Animationsfilmen stets so beliebten Songs.

Nun gibt es „Arielle“ als Realverfilmung, mit einer wahrhaft zauberhaften Meermädchen-Darstellerin, einem schnieken und charismatischen Prinzen, dem würdevollen Triton und einer oberfiesen Meerhexe mit teuflischen Tentakeln, die allesamt spürbar mit Lust und Laune bei der Sache sind. Ausgestattet mit neuester Technik, die auch die tierischen Nebenfiguren liebevoll animiert zum Leben erweckt, ist die bekannte Geschichte schöner und bunter wieder auferstanden, und mit bunt ist durchaus auch die Besetzung der Figuren mit Akteuren aller Länder und Hautfarben gemeint. Dieses sichtbare Zeichen von Diversität hat sich Disney seit einiger Zeit auf die Fahnen geschrieben und bei einer zeitlosen Geschichte wie dieser sollte das kein Problem, ja nicht einmal ein ernster Diskussionspunkt sein, egal, wie das Meermädchen in der Vorlage beschrieben wird, an die man sich schließlich auch in anderen Punkten nicht so genau hält.

Es gibt wieder eingängigen Songs, alte und ein paar neue, durchweg gefühlvoll bis schmissig vorgetragen, im Gegensatz zur düstereren Märchen-Vorlage (siehe oben…) bleibt es beim obligatorische Happy End, aber das muss für einen familientauglichen Kinospaß wohl so sein. Nicht ganz so familien- bzw. kindertauglich ist vielleicht die Länge des Films, hier hätte eine Kürzung der ein oder anderen etwas zu breit und ausufernd (kein Wortwitz beabsichtigt…) geratenen Szene nicht geschadet, außerdem sind einige Szenen mit der bösen Ursula durchaus heftig und für kleinere Kinder unter Umständen recht bedrohlich geraten.

Alles in allem aber eine schöne und sehenswerte Neuauflage, die zwar der alten Verfilmung nichts wesentlich Neues hinzufügt, aber als Realverfilmung zumindest einen veränderten Sehspaß bietet.

Eine kleine persönliche Anmerkung noch zum Schluss: Nach Sichtung der Originalfassung des Films und anschließender Sichtung des deutschen Trailer gibt es für mich als Verfechterin des Lasst-von-Original-Gesängen-die-Finger-und-deutscht-sie-auf-keinen-Fall-ein-Dogmas einen persönlichen und schmerzlichen Wermutstropfen. Wenn man schon das Zugeständnis macht, dass deutsche Zuschauer des besseren – und bequemeren – Verständnisses wegen nie die Original-Sprechstimmen ausländischer Schauspieler kennen lernen, so ist dies bei Gesangsstimmen einfach nur unverzeihlich, niemand wäre schließlich auf die Idee gekommen, bei einem Pavarotti-Abend dem Sänger ein deutsches Stimmdouble überzustülpen, mag dessen Stimme auch noch so gut sein, wer für Pavarotti – oder wen auch immer – bezahlt, will auch das Original und nichts anderes…

 

 

Regie: Rob Marshall

Drehbuch: David Magee, b/a Drehbuch von Ron Clements und John Musker, b/a dem Märchen von Hans Christian Andersen

Kamera: Dion Beebe

Schnitt: Wyatt Smith

Musik: Alan Menken

 

Besetzung:

Halle Bailey, Jonah Hauer-King, Javier Bardem, Melissa McCarthy, Noma Dumezweni, Jude Akuwudike

 

Walt Disney Studio Motion Pictures Germany

2023

135 min.

FSK 12

Deutscher Kinostart: 25. Mai 2023

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=goL3_go8epo (Deutsch)

https://www.youtube.com/watch?v=kpGo2_d3oYE (Englisch)

 

Dienstag, 23. Mai 2023

Im Kino: All the Beauty and the Bloodshed

Die amerikanische Star-Fotografin Nan Goldin hat die Kunst der Fotografie maßgeblich beeinflusst, ihr Blick auf Themen wie Sexualität, Sucht und Tod war und ist revolutionär. Nach eigenen Erfahrungen mit einem starken Schmerzmittel, aus dessen süchtig machenden Fesseln sie sich im Gegensatz zu unzähligen Anderen befreien konnte, engagiert sie sich mit Gleichgesinnten im Kampf gegen die Milliardärsfamilie Sackler, Eigner der Pharmafirma Purdue, die mit ihrem als harmloses Schmerzmittel vertriebenen Produkt OxyContin hauptverantwortlich für den gigantischen Opioid-Skandal in den USA war und ist, und erreicht, dass zahlreiche bedeutende Museen weltweit mit so klingenden Namen wie Louvre, Tate, Guggenheim und Met, die die Sacklers als Mäzene unterstützt haben, sich von diesen distanzieren.

Der Dokumentarfilm bewegt sich in zwei Strängen, die lange Zeit eher unverbunden nebeneinander herlaufen, einerseits das mit privatem Film- und Fotomaterial aus den Archiven Goldins erzählte Leben der Künstlerin und ihr Werdegang unter schwierigsten familiären Verhältnissen, und andererseits der öffentliche und lautstarke Kampf gegen die Familie Sackler und ihren Einfluss in der Kunstwelt. Dabei entsteht lange keine durchgehend harmonische Einheit, aber der Blick auf die private Nan Goldin und ihre Familiengeschichte hilft, die spätere Kämpferin und Aktivistin besser zu verstehen, so dass am Ende doch so etwas wie ein Gesamtbild entsteht, das sich dann allerdings fast ausschließlich auf die Künstlerin konzentriert.

Wer mehr über die gesamtgesellschaftliche Katastrophe der Opioid-Krise erfahren möchte, wird am Ende leider enttäuscht, denn dieser Skandal, sein Beginn und die genauen Zusammenhänge wird nur gestreift, hier vermisst man einen tieferen Blick auf die Familie Sackler, die seltsam gesichtslos bleibt. Deren Schuld und Verantwortung scheint am Ende mit Entfernung der Plaketten aus den Museen dieser Welt, auf denen sie als Mäzene benannt waren, getilgt zu sein, hier endet der Kampf der Künstlerin Goldin, aber der gegen die Familie Sackler ist damit eigentlich noch lange nicht zu Ende.

Dennoch bietet „All the Beauty and the Bloodshed“ ein starkes Porträt einer starken Frau, das bei den Filmfestspielen in Venedig 2022 mit dem Goldenen Löwen belohnt wurde – unter Vorsitz der Jurypräsidentin Julianne Moore sicher auch als politisches Statement gedacht – mit einem ebenso starken Filmtitel, der aber vielleicht etwas mehr verspricht, als er am Ende hält.

 

 

Regie: Laura Poitras

Kamera: Nan Goldin

Schnitt: Joe Bini, Amy Foote, Brian A. Kates

Musik: Soundwalk Collective

 

Beteiligte:

Nan Goldin, David Velasco, Megan Kapler, Marina Berio, Harry Cullen u.v.m.

 

Plaion Pictures/ Studiocanal

USA 2022

117 min.

FSK

Deutscher Kinostart: 25. Mai 2023

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=cHLLOf-rCHs&feature=youtu.be (Deutsch)

https://www.youtube.com/watch?v=YD5pYQiT1D4 (Englisch)

 

Dienstag, 16. Mai 2023

Im Kino: Living – Einmal wirklich leben

Mr. Williams (Bill Nighy), ein Beamter des County Council im London der frühen 1950ger Jahre, einer Stadt, in der die Folgen des Krieges noch überall spürbar sind, versieht seinen Job mit Akribie, aber ohne Leidenschaft. Was heute nicht erledigt wird, hat auch noch Zeit bis morgen, so schleppen sich die Tage dahin, bis ihm sein Arzt eröffnet, dass er bald sterben wird. Dieser Schicksalsschlag und die (platonische) Beziehung zu der jungen Margaret Harris (Aimee Lou Wood) verändert plötzlich alles, und Mr. Williams entdeckt für sich, was ein Leben wirklich lebenswert macht…

In ruhigen Bildern führt der Film zurück in eine bleierne Zeit, die Swinging Sixties sind noch weit entfernt und die Umgangsformen sind so steif und britisch, wie man sich das hierzulande vorstellt, dabei handelt es sich bei der Geschichte um das Remake einer japanischen Vorlage aus dem Jahr 1952. Die gesellschaftlichen Verhältnisse scheinen jedoch durchaus vergleichbar, Bürokratismus und Einsamkeit gibt es schließlich immer und überall.

Wer sich die Frage stellt, was er mit den letzten Tagen seines Lebens anfangen würde, hat heute sicher wesentlich mehr Möglichkeiten, als damals, aber vielleicht kommt man dennoch zu einem ähnlichen Ergebnis wie Mr. Williams, der zunächst das scheinbar Nahliegende versucht, Geld und Zeit an oberflächliches Vergnügen zu verschwenden, wenn nicht jetzt, wann dann? Aber nachdem er erkannt hat, dass ihm dies nichts bedeutet, findet er einen für sich erfüllenderen Weg und es ist berührend, ihm dabei zuzusehen.

Bill Nighy verkörpert seinen Mr. Williams zurückhaltend, aber mit Tiefe und einer zu Herzen gehenden Wärme, allein seine Präsenz macht den leicht altmodisch anmutenden Film sehenswert, schließlich handelt es sich um ein zeitloses Thema, das auch oder gerade in diesen hektischen Zeiten seine Relevanz hat, denn früher oder später wird sich jeder einmal damit auseinandersetzten, ob er sein Leben richtig gelebt hat.

 

 

Regie: Oliver Hermanus

Drehbuch: Kazuo Ishiguro; b/a Script von Shinobu Hashimoto, Kideo Oguni, Akira Kurosawa für Film „Ikiru“

Kamera: Jamie Ramsay

Schnitt: Chris Wyatt

Musik: Emilie Levienaise-Farrouch

 

Besetzung:

Bill Nighy, Alex Sharp, Adrian Rawlins, Aimee Lou Wood

 

BFI/ Sony Pictures Classics

2022

 102 min.

FSK 12

Deutscher Kinostart: 18.Mai 2023

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=qDbrGGtER2o (Deutsch)

https://www.youtube.com/watch?v=OVo5kLt_-BU (Englisch)

 

 

 

 

Im Kino: A Thousand and One

Inez de la Paz (Teyana Taylor) ist schwarz, lebt im New York der 1990ger Jahre und hat in ihrem Leben noch nicht viel Positives erfahren. Nach einem Gefängnisaufenthalt entführt sie ihren kleinen Sohn Terry (Aaron Kingsley Adetola), der eigentlich bei Pflegeeltern aufwachsen soll. Gegen alle Widerstände und ohne legale Papiere für den Jungen, versucht sie, ihm das Zuhause zu schaffen, das sie selbst nie hatte. Es gelingt ihr auch tatsächlich, bis Terrys Leben mit 17 Jahren noch einmal völlig auf den Kopf gestellt wird…

Der Film führt zurück in eine Zeit, als der damalige Bürgermeister von New York, Rudy Giuliani, versucht, in seiner Stadt der Kriminalität Herr zu werden, die das Leben der New Yorker seit den 1970ger Jahren massiv belastet. Dies gelingt Schritt für Schritt, allerdings vielfach durch hartes Durchgreifen der Polizei, was vor allem die schwarze Bevölkerung zu spüren bekommt. Hier setzt Regisseurin Rockwell in ihrem bemerkenswerten Debütfilm zwar an, durch im Hintergrund immer wieder eingespielte Original-TV- und Radioaufnahmen wird die Stimmung jener Zeit spürbar, ebenso in den Szenen, die den jungen Terry in Polizeirazzien geraten lassen. Viel stärker fokussiert sich der Film aber auf Inez selbst und ihren Kampf um ein geordnetes Leben, auf ihre Stärke und ihren Willen, sich allem entgegenzustemmen, was sich ihr in den Weg stellt.

Es bleibt ihr Geheimnis, wer der Vater des kleinen Terry ist, aber da zu Inez‘ Vorstellung von einem Zuhause auch ein Mann gehört, wird ihr Freund Lucky (William Catlett) zum Ersatzvater, der diese Rolle dann wider Erwarten gut ausfüllt, und beinahe scheint sich der Traum von einem harmonischen Familienleben und vom gesellschaftlichen Aufstieg für Ines und vor allem Terry zu erfüllen. Aber so leicht macht es Rockwell ihrer Ines dann doch wieder nicht, am Ende steht sie sich immer wieder selbst im Weg und das Schicksal ist oft tatsächlich ein mieser Verräter…

Ein starker Film über eine starke Frau, und ein Plädoyer dafür, egal in welcher Gesellschaft und in welchem Land, mit allen Mitteln Mütter und ihre Kinder, die von Vätern und Männern verlassen wurden, zu unterstützen und sie nicht ebenso im Stich zu lassen, da nur so ein Weg aus Armut und Kriminalität mögich ist.

 



Regie: A.V. Rockwell

Drehbuch: A.V. Rockwell

Kamera: Eric Yue

Schnitt: Sabine Hoffman, Kristan Sprague

Musik: Gary Gunn

 

Besetzung:

Teyana Taylor, Aaron Kingsley Adetola (Terry 6 Jahre), Aven Courtney (13 Jahre), Josiah Cross (17 Jahre), William Catlett, Terri Abney, Melissa Reynolds

 

Universal Pictures Germany

2023

117 min.

FSK

Deutscher Kinostart: 18. Mai 2023

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=GZW21oit3pU