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Mittwoch, 31. Juli 2024

Im Kino: Vanya

Vanya (alle Namen hier folgen der Schreibweise in dieser britischen Adaption) verwaltet seit Jahren das Gut seiner verstorbenen Schwester für deren Tochter Sonja und finanziert damit Karriere und Stadtleben seines Schwagers, Alexander, dem Vater Sonjas, den er lange verehrt hat. Sonja ist heimlich verliebt in den regelmäßig zu Besuch kommenden Arzt Michael, der wiederum verehrt die neue junge Frau von Alexander, Helena. Als Alexander eines Tages mit Helena erscheint und verkündet, dass er beabsichtigt, das Gut zu verkaufen, eskaliert die Situation, die vorher von einer gewissen Sommerträgheit geprägt war…

Anton Tschechows Drama „Onkel Wanja“ dürfte vielen ein Begriff sein, aber so hat man es noch nie gesehen: Unter der Regie von Sam Yates in der Adaption von Simon Stephens werden alle Figuren von dem brillanten Andrew Scott als einzigem Schauspieler dargestellt!

Er schafft es, spielerisch und ohne große (technische) Hilfsmittel, glaubhaft in die Haut sämtlicher acht auftretenden Figuren zu schlüpfen, kleine Gesten und Erkennungszeichen – mal ist es eine Sonnenbrille, mal ein Ball, mal das Spielen mit einer Halskette – man weiß sofort, welche Figur gerade agiert und es ist ein großes Vergnügen, ihm dabei zuzusehen.

Die Elemente des ursprünglichen Stücks, die Emotionen der Figuren, deren (enttäuschte) Hoffnungen, Träume und Versäumnisse werden mühelos aufgefächert, wer Lust auf ein außergewöhnliches Theatererlebnis hat, ist hier genau richtig, und wer es nicht geschafft hat, bei einer der Vorführungen in den durchweg ausverkauften Vorstellungen im Londoner West End dabei zu sein, hat mit dem Liveschnitt einer Vorführung in den Kinos der Cineplex-Gruppe bei die Gelegenheit, das Versäumte nachzuholen.

 

Die nächsten Daten für Köln sind der 01.08. 2024 um 19:30 Uhr und der 04.08.2024 um 11 Uhr im Filmpalast, es lohnt sich, immer wieder Ausschau nach weiteren Terminen bei der genannten Kinogruppe auch in anderen Städten Ausschau zu halten.

 


 

Im Kino: Berlin Nobody

Ben Monroe (Eric Bana), Sozialpsychologe aus den USA, der sich in seinem Fachgebiet mit Fragen zur Macht des Kollektivismus und sich freiwillig von der Gesellschaft isolierenden Menschen beschäftigt, lebt nach seiner Scheidung in Berlin. Über einen bei der Polizei arbeitenden ehemaligen Studienkollegen erhält er Einblicke in die Ermittlungen nach dem rätselhaften Gruppenselbstmord innerhalb einer Sekte. Zusammen mit der Ermittlerin Nina Hoffmann (Sylvia Hoeks) dringt er in die Strukturen dieser Sekte ein, dabei vernachlässigt er ein wenig seine ihn besuchende Tochter Mazzy (Sadie Sink), die sich in die Zufallsbekanntschaft Ben (Jonas Dassler) verliebt, der in einer von einer gewissen Hilma (Sophie Rois) geleiteten Umweltgruppe aktiv ist. Aber Ben ist nicht das, was er vorgibt zu sein …

Als Psycho-Thriller gestartet verliert der Film mehr und mehr seinen Ansatz, wirkliche Spannung will irgendwann nicht mehr aufkommen, da die Entwicklung der Geschichte allzu vorhersehbar ist. Die Bösen sind alsbald erkennbar, die Guten verhalten sich, der Dramaturgie geschuldet, ungeschickt und bleiben als Figuren blass. Zum großen Finale muss, wie so oft und auch hier bereits zu Beginn mit deutlichem Fingerzeig angesagt, das übliche Trauma bewältigt werden, hinzu kommen einige seltsame Sprünge, so ist es beispielsweise gerade noch hell und in der nächsten Einstellung plötzlich stockdunkel, die Sprengung eines Hauses verläuft, gelinde gesagt, etwas realitätsfremd. Hier hätte man der Regisseurin Jordan Scott – immerhin die Tochter des großen Ridley Scott – etwas mehr Sorgfalt gewünscht.

Dass das Ergebnis insgesamt nicht befriedigt, ist insofern schade, als der Film immerhin ein so wichtiges Thema wie die Einsamkeit von Menschen – jungen wie alten – thematisiert, ohne hierfür die notwendige emotionale Tiefe zu erreichen, und der ebenso wichtige Aspekt der Gefährlichkeit von Sekten ist leider viel zu plakativ und beschränkt sich auf oberflächliche Gemeinplätze.

 

 

Regie: Jordan Scott

Drehbuch: Jordan Scott, b/a auf dem Roman „Tokyo Nobody“ von Nicholas Hogg

Kamera: Julie Kirkwood

Schnitt: Rachel Durance

Musik: Volker Bertelmann

 

Besetzung:

Eric Bana, Sadie Sink, Sylvia Hoeks, Jonas Dassler, Sophie Rois, Stephan Kampwirth, Alexander Schubert

 

SquareOne Entertainment

2024

94 min.

FSK 16

Deutscher Kinostart: 01. August2024

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=-eJ4GDgw1XY

 

 

Mittwoch, 24. Juli 2024

Im Kino: Die Ermittlung

In einem Prozess 1963 in Frankfurt stehen 18 Angeklagte aus dem Konzentrationslager Auschwitz vor Gericht. Aus den Aussagen von insgesamt 39 Zeugen und Zeuginnen, die ihr eigenes erlebtes Leid, sowie die Zustände in dem Lager schildern, versuchen sich ein Richter (Rainer Bock) und der Staatsanwalt (Clemens Schick) ein Bild von dem Unvorstellbaren zu machen, während der Verteidiger (Bernhard Schütz) zu relativieren versucht, was nicht zu relativieren ist…

Das Theaterstück des Schriftstellers Peter Weiss aus dem Jahr 1965, das dieser mittels der Protokolle des Frankfurter Auschwitzprozesses von 1963 bis 1965 geschrieben hat, dient als Vorlage für diese Verfilmung. Es gibt auch hier einen bühnenartigen Schauplatz, reduziert einzig auf den Gerichtssaal, und seine ganze Wucht bezieht das vierstündige Drama nicht aus gezeigten Bildern, sondern aus jenen, die sich bei den Schilderungen der Zeugen und Zeuginnen im Kopf der Zuschauenden einnisten, Bilder, deren Macht sich niemand entziehen kann, der nur einen Funken Mitgefühl und eine Grundausstattung menschlicher Gefühle besitzt.

Der Film ist, wie auch das Theaterstück, als „ Oratorium in 11 Gesängen“ aufgebaut, quasi einzelne Kapitel, die sich mit den verschiedenen Stadien des Grauens in Auschwitz befassen, angefangen von der Fahrt in Viehwaggons und der Ankunft in Auschwitz mit der Selektion an der berüchtigten Rampe, bis zum finalen Tod im Gas. Auch wenn man glaubt, man wüsste bereits alles über Auschwitz, die Schilderungen der einzelnen Zeugen, die nacheinander vor ein Mikrofon treten, fügen diesem Grauen immer noch weitere, weil persönliche, Dimensionen hinzu, bis man glaubt, es nicht mehr aushalten zu können.

Keine ausgeschmückten Szenenbilder oder womöglich visualisierte Rückblenden lenken von dem Gesagten ab, jedes Wort, und sei es noch so leise oder gequält hervorgebracht, ist wie ein Dolchstoß in unser aller Gewissen, und spätestens bei den jeweiligen Reaktionen der Angeklagten, die von allem nichts gewusst und schon gar nicht mit irgendetwas zu tun gehabt haben wollen, fragt man sich, wie Menschen immer noch von sich glauben können, sie seien Teil eine höheren Zivilisation, während sie sich der unaussprechlichsten Barbareien schuldig machen.

Man vergisst leicht, dass es sich hier nicht um eine Dokumentation handelt, denn gerade die als Zeugen auftretenden Schauspieler verleihen ihren Worten trotz aller reduzierter Schlichtheit eine Intensität, der sich wohl niemand entziehen kann. Trotz des scheinbar statischen Aufbaus gelingt es, durch ganz diskreten Einsatz filmischer Mittel, wie dem geschickten Einsatz von Beleuchtung oder einer unterschwelligen musikalische Untermalung den Eindruck von abgefilmtem Theater zu vermeiden, ohne vom eigentlichen Konzept der Vorlage abzuweichen.

Niemand sollte sich von der Laufzeit abhalten lassen, durch die Aufteilung in die einzelnen „Gesänge“ merkt man nicht einmal, wie die die Zeit vergeht und jede einzelne Minute dieses Films ist gerechtfertigt. Jede (neue) Generation sollte sich mit diesem gewaltigen Unrecht immer wieder auseinandersetzen, und dieser Film bietet hierfür eine berührende Möglichkeit, alles, was es dafür braucht, ist sich darauf einzulassen.

 


 Regie: RP Kahl

Drehbuch: Peter Weiss

Kamera: GuidoFrenzel

Schnitt: Peter R. Adam, Anne Fabini, Christoph Strothjohann

Musik: Matti Gajek

 

Besetzung:

Rainer Bock, Clemens Schick, Bernhard Schütz, Wilfried Hochholdinger, Tom Waschiha, Christiane Paul, Karl Markovics, Nicolette Krebitz, André Hennicke, Peter Schneider, Arndt Schwering-Sohnrey, Peter Lohmeyer, Barbara Philipp, Roland Kukulies, u.v.a.

 

Leonine Studios

2024

241 min.

FSK 12

Deutscher Kinostart: 25. Juli 2024

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=PzLtaF6dYMI

 

Im Kino: Deadpool & Wolverine

Wade Wilson (Ryan Reynolds) lebt im Kreis alter Freunde als Autoverkäufer ein unspektakuläres Leben, bis eines Tages die TVA (Time Variance Authority) vor seiner Tür steht und ihm eröffnet, dass nach dem Tod von Logan (Hugh Jackman) die gesamte Timeline, in der er sich befindet – und möglicherweise auch alle anderen – in höchster Gefahr ist, ausgelöscht zu werden. Was tun? Man kann Logan ja schlecht wieder ausgraben. Oder vielleicht doch? Oder doch besser in den Tiefen des Multiversums nach einem noch brauchbaren Wolverine suchen? Klingt genauso bescheuert, aber einen Versuch ist es immerhin wert…

Zugegeben, dieser Plot klingt auf den ersten Blick nicht so wahnsinnig intelligent – und auf den zweiten auch nicht – aber wenn es sonst immer um die Rettung der Welt, der Menschen oder des Universums geht, warum sollten die (Comic)Figuren sich nicht mal um ihre eigene Welt und die immer sehr kompliziert gestalteten Zeitschienen kümmern, wenn diese in Gefahr sind.

Damit fällt der Startschuss für eine irrwitzige und – zumindest für Fans der Metaebene, die die vielen offenen und versteckten Hinweise erkennen und einordnen können – auch irrsinnig komische Tour-de-Force durch alle Höhen und Tiefen des MCU, wobei letzteres zwar leider den aktuellen Stand beschreibt, was sich aber hoffentlich mit diesem Film wieder ändern wird.

Hier bekommt jeder sein Fett weg, gleichzeitig ist es aber auch eine liebevolle Aufarbeitung von mehr als zwanzig Jahren Marvel-Geschichte, der seinerzeit die erste X-Men-Verfilmung als Initialzündung diente, damals noch unter der Ägide der 20th-Century-Fox, die mittlerweile ja auch vom Disney-Konzern kannibalisiert wurden, was ebenfalls viel Raum für böse Witze und Anspielungen bietet. Viele Charaktere bekommen einen Gastauftritt, mehr oder weniger lang und manchmal mit einem abrupten Ende, allein für die Durchdringung dieses irrwitzigen Wimmelbildes lohnt mit Sicherheit ein zweiter Kinobesuch, wir tauchen sogar in fremde Welten ein, wie zum Beispiel solche mit ganz starken madmaxischen Bezügen, schaut einfach selbst und staunt!

Da wir uns aber eben auch im Deadpool Universum bewegen, gibt es etliche krasse Kampfszenen, da wo Wolverine früher mit seinen Krallen zwar auch schnitzeln durfte, aber aus Gründen der FSK-12-Freigabe nie auch nur ein Tropfen Blut zu sehen war, wird dieses nun zusammen mit jeder Menge Körperteilen großzügig über die Leinwand verteilt, das ist sich der Held mit der großen Klappe einfach schuldig.

Das Highlight dieses Films ist aber das großartige Team der beiden so unterschiedlichen Superhelden Deadpool und Wolverine, vor allem weil sie von Ryan Reynolds und Hugh Jackman, deren Chemie anscheinend auch im privaten Bereich stimmt, so unwiderstehlich verkörpert werden, dass man von diesem Traum-Duo nicht genug bekommen kann, da bleiben die beiden den Erwartungen, die durch die etwas dünne Handlung vielleicht etwas enttäuscht wird, am Ende nichts schuldig!

Und natürlich, nicht gleich beim Abspann aufspringen, der dabei gleichzeigt ablaufende nostalgische Blick zurück auf alte X-Men-Szenen ist wie ein Blättern im Familienalbum, das mehr als nostalgische Gefühle weckt – und vielleicht gibt es ja ganz am Ende auch noch eine nette Überraschung…

 


 Regie: Shawn Levy

Drehbuch: Shawn Levy, Rhett Reese, Ryan Reynolds, Zeb Wells, Paul Wernick, b/a auf den Charakteren von Rob Liefeld und Fabian Nicieza

Kamera: George Richmond

Schnitt: Shane Reid, Dean Zimmerman

Musik: Rob Simonsen

 

Besetzung:

Ryan Reynolds, Hugh Jackman, Emma Corrin, Morena Baccarin, Rob Delaney, Karan Soni, Leslie Uggams, Matthew Macfadyen, Blake Lively, Shioli Kutsuna, Dafne Keen, Tyler Mane, Jennifer Garner, Henry Cavill, Chris Evans, Kelly Hu, Channing Tatum, Wesley Snipes

 

Marvel Studios/ 20th Century Studios/ Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

127 min.

FSK 16

Deutscher Kinostart: 24. Juli 2024

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=7FaB2ePAwcc (Deutsch)

https://www.youtube.com/watch?v=73_1biulkYk (Englisch)

Mittwoch, 17. Juli 2024

Im Kino: Twisters

Kate Carter (Daisy Edgar-Jones) hat als Meteorologie-Studentin eine Theorie entwickelt, um die in ihrer Heimatregion wütenden Tornados besser in den Griff zu bekommen. Als bei der Umsetzung in die Praxis drei ihrer Mitstreiter sterben, zieht sie sich aus dem Sturmjäger-Business zurück. Erst Jahre später lässt sie sich noch einmal zu einer Mission bewegen, bei der sie auf ein konkurrierendes Team voller durchgeknallter Abenteurer mit dem charmanten Tyler (Glen Powell) als Anführer trifft, und das Ganze entwickelt sich zu einem tödlichen Wettbewerb auf der Jagd nach dem perfekten Sturm, um Kates Methode vielleicht doch noch zum Erfolg zu verhelfen…

Als Fortsetzung zu dem Sturm-Blockbuster „Twister“ aus dem Jahr 1996 hat dieser Film nur noch – ansatzweise – den Namen und die Tornado-Action gemeinsam, ansonsten gibt es keinen direkten Bezug zu dem Vorgänger. Allerdings sind die Effekte um Vielfaches beeindruckender, wer also schon immer einmal das Gefühl haben wollte, mitten in einen Tornado zu geraten ohne hierbei Schaden zu nehmen, der ist hier richtig. Packende Bilder und ein bombastischer Sound sorgen für das visuelle und akustische Erlebnis, für das man eben auch ins Kino geht.

Dafür fällt die Annäherung and die Figuren schwerer, hier geht leider nichts wirklich in die Tiefe und die Zeichnungen der einzelnen Charaktere bleiben letztlich bloße Behauptungen. Daran kann auch der Einbau eines „Twists“ hinsichtlich der Chaos-Truppe und des Hallodris Tyler nichts ändern, und die Beziehung zwischen Kate und Tyler bleibt leider allzu oberflächlich und beliebig, trotz der wieder einmal schamlosen Ausbeutung des fast schon ein wenig zu aufdringlich zur Schau gestellten Charmes des zurzeit so angesagten Glen Powell.

Wer auf ein ordentliches Sturmspektakel steht, furios bis dass das Popcorn durch die Hütte fliegt, wird sicher auf seine Kosten kommen, muss dafür aber bereit sein, auf eine ebenso packende Geschichte mit ausgefeilten Charakterzeichnungen zu verzichten, aber irgendwas ist ja immer.

 

 

 

Regie: Lee Isaac Chung

Drehbuch: Mark L. Smith, b/a Story von Joseph Kosinski, b/a der Vorlage von Michael Crichton und Anne-Marie Martin

Kamera: Dan Mindel

Schnitt: Terilyn A. Shropshire

Musik: Benjamin Wallfisch

 

Besetzung:

Daisy Edgar-Jones, Glen Powell, Anthony Ramos, Brandon Perea, Maura Tierney, Daryl McCormack, Kiernan Shipka, David Corenswet

 

Universal Pictures/ Warner Bros. Germany

2024

117 min.

FSK 12

Deutscher Kinostart: 18. Juli 2024

 

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=oZ2My9z40JI (Deutsch)

https://www.youtube.com/watch?v=wdok0rZdmx4 (Englisch)