X-Men: Apocalypse
Ein Film mit dem Begriff „Apocalypse“ im Titel impliziert
keinen ruhigen Abend im Kino und so zündet dann auch gleich in der
Anfangssequenz ein Feuerwerk an Spezialeffekten, dass von vorneherein klar ist:
Hier kommt bis zum finalen Showdown – auf den dies natürlich nur hinauslaufen
kann – etwas auf uns zu!
Die Geschichte knüpft zeitlich an den Vorgängerfilm „Days of
Future Past“ an, der die Gemeinschaft der Mutanten vor der Vernichtung in der
Zukunft bewahrt hat, dadurch dass Mystique (Jennifer Lawrence) in den siebziger
Jahren davon abgehalten werden konnte, Präsident Nixon zu ermorden, was
unweigerlich zum Ende aller Mutanten aufgrund der dann erfolgten Entwicklung
der als Mutanten-Killer entwickelten Sentinels geführt hätte. Am Ende von „Days
of Future Past“ finden sich alle die Mutanten zusammen, die im Folgenden die
Geschichte weiterspinnen werden, d.h. die „junge Generation“, die mit „X-Men
First Class“ bereits eingeführt wurde – mit Ausnahme von Wolverine, der quasi
aus der Handlung herauskatapultiert wurde. Magneto (Michael Fassbender)
schließt sich der Gruppe nicht an, spielt aber im aktuellen Film wieder eine
entscheidende Rolle.
Allen Mutanten ist bekanntermaßen zu eigen, dass sie jeweils
über eine besondere Kraft oder Gabe verfügen, manche sind mächtiger, manche
weniger, und um ihre Fähigkeiten auch nutzbringend einzusetzen, wurde seitens
des Militärs wiederholt an einer Bündelung dieser Kräfte gearbeitet, so zum
Beispiel bei der Entwicklung der „Weapon X“ durch William Stryker
Dass es in grauer Vorzeit einen Mutanten namens En Sabah Nur
gab, der bereits die Summe aller nach ihm geborenen in sich vereint, der
demgemäß der mächtigste und kraftvollste Mutant aller Zeiten mit dem
programmatischen Mutanten-Namen Apocalypse ist, war der jetzt lebenden
Mutantengeneration nicht bekannt, weil er seit tausenden von Jahren gefangen in
Ägyptens Erde lag. Dort wartete er auf seine Erweckung, wie der Sage nach
Kaiser Barbarossa in seinem Kyffhäuser Berg, der mit seinen Getreuen bereit
ist, nach dem Erwachen das Reich zu retten und zu neuer Herrlichkeit zu führen.
Ähnliches hat auch Apocalypse (dargestellt von Oscar Isaac) im Sinn, als er
plötzlich im Jahr 1983 zum Leben erwacht, auch seine Wiederkehr soll die Erde
von allem Übel befreien, allerdings um den Preis, dass sie vorher in ihrer
bestehenden Form vollkommen vernichtet wird, um dann ein neues, geläutertes
Reich unter der Herrschaft von Apocalypse aufzubauen.
Apocalypses Erwachen verursacht buchstäblich ein Erdbeben,
das weltweit registriert wird, und somit auch in der von dem noch jungen
Professor Charles Xavier (James McAvoy) aufgebauten Schule, in der wir dem
bereits bekannten Hank McCoy (Nicholas Hoult), dem später dazustoßenden
Quicksilver/ Peter Maxcimoff (Evan Peters) sowie den neu eingeführten jüngeren
Versionen von Jean Grey (Sophie Turner), Cyclops (Tye Sheridan) und
Nightcrawler/ Kurt Wagner (Kodi Smit-McPhee) begegnen.
Um sein Ziel der Weltherrschaft zu erreichen schart auf der
anderen Seite Apocalypse ein paar getreue Anhänger um sich (wem kämen da nicht
die vier apokalyptischen Reiter der Bibel in den Sinn…), Mutanten, denen er auf
seinen ersten Schritten begegnet, deren Fähigkeiten er nach seinem Geschmack
optimiert. Bald ist das Quartett bestehend aus der jungen Storm (Alexandra
Shipp), der neu eingeführten Psylocke (Olivia Munn), Angel (Ben Hardy) und eben
Magneto komplett und bereit, gegen alle Welt, aber eben auch gegen ihre
Mutantenkollegen in den Krieg zu ziehen.
Hinzu kommen noch einige weitere Mutanten auf beiden Seiten,
als einzige Vertreter der Gattung Homo sapiens spielen die CIA-Agentin Moira
MacTaggart (Rose Byrne) und der junge William Stryker (Josh Helman) eine Rolle,
alles in allem eine etwas zu groß geratene Schar an Akteuren.
Damit folgt der Film allerdings seiner Gesamt-Maxime: viel
hilft viel, im Endergebnis leider in allem immer eine Spur zu viel.
Die – durchaus hochklassigen – Action-Szenen folgen der üblichen
Choreographie, aus ruhigen Zwischen-Sequenzen entwickelt sich die
nächste spektakuläre Achterbahnfahrt, Zerstörung und Gemetzel in
gleichbleibend hoher Taktzahl. Leider bleibt dabei stellenweise der
bisherige Charme der X-Men-Reihe auf der Strecke, in der den einzelnen
Charakteren immer auch eine gewisse Tiefe verliehen wurde. Dies ist
besonders eklatant im Falle des Hauptbösewichts Apocalypse, der zu
keinem Zeitpunkt mehr ist, als der Motor, der die Action antreibt. Er
hat keine Ideologie, der er folgt, bleibt seelenlos und bietet keinen
Ansatzpunkt für irgendein Verständnis seiner Mission. Hatte zum Beispiel
Bolivar Trask in „Days of Future Past“ den durchaus ehrenwerten
Gedanken im Hinterkopf, die Menschheit zum ersten Mal in ihrer
Geschichte aus den gegeneinander geführten Kriegen zu befreien und gegen
einen gemeinsamen Feind – die Mutanten – zu vereinen – unabhängig
davon, ob dieser Zeck seine eingesetzten Mittel heiligt – so folgt
Apocalypse nur dem einen Ziel: alles muss vernichtet werden, damit es
neu entstehen kann. Eine solche Prämisse erlaubt nur ein einziges
Gegenmittel, nämlich die Vernichtung des Apolcalypse seinerseits. Hier
haben sich aber Bryan Singer und der wiederum für das Drehbuch
verantwortliche Simon Kinberg selber eine Falle gestellt, in der
eigentlich unlösbaren Aufgabe, einen Mutanten zu vernichten, den sie
selbst als übermächtig und unbesiegbar definiert haben.
Wie dies schließlich natürlich doch gelingt, braucht im
Einzelnen nicht verraten werden, nur soviel: die Botschaft am Ende ist so
schlicht wie unwiderlegbar: gemeinsam können wir es schaffen, eine Gemeinschaft
ist letztlich immer stärker als der potenteste Einzelkämpfer.
Bis dahin ist es bei einer Filmlänge von 144 Minuten
allerdings ein weiter Weg.
Der Verzicht auf einige Handlungsstränge, die zum Teil der
angesprochenen Vielzahl an Mutanten geschuldet sind, hätte dem Film gut getan.
Der gerade in den ersten beiden X-Men-Filmen, aber auch noch in „Days of Future
Past“, so auflockernde Humor kommt dagegen leider zu kurz, man muss zwischen
den tosenden Actionwogen schon sehr genau hinhören, um den einen oder anderen
leisen oder witzigen Zwischenton nicht zu verpassen. Ironischerweise wird
gerade in dieser Hinsicht Wolverine (Hugh Jackman) besonders schmerzlich vermisst, dieser
mürrische, widerborstige Charakter mit dem schlagfertigen Humor hat den
Vorgängerfilmen seine Seele und damit seinen Stempel aufgedrückt. Er hat zwar
tatsächlich einen kleinen, nicht ganz unwichtigen Gastauftritt, in dem er sich
durch eine Reihe von störenden Gegnern metzelt, letztlich spielt er für
den neuen X-Men-Spirit bedauerlicherweise keine Rolle mehr.
Es ist offensichtlich, dass sich die Macher von X-Men
Apocalypse an einem neuen, jüngeren Publikum orientieren, ob dies erfolgreich
sein wird, bleibt abzuwarten. Man riskiert zumindest, das bisherige Publikum zu
verlieren, das mit den vielen jungen Akteuren nicht allzu viel anfangen kann,
und ob man sich auf das jetzige junge Publikum verlassen kann, bleibt
angesichts der Überangebots and Blockbuster- und Superheldenfilmen abzuwarten.
Eine offensichtliche Anbiederung an jüngere Zuschauer ist beispielhaft die Darstellung
der Mystique, die sich fast ausschließlich in ihrer eigentlich doch so
verhassten Raven-Gestalt präsentiert, wohl um ihren Fans keine durchgehend blau
gefärbte Jennifer Lawrence zuzumuten.
Insgesamt ist der Film durchaus unterhaltsam, er bietet er
jede Menge Spektakel in beeindruckender 3D-Optik. Wenn man sich darauf einlässt
können auch die genannten Einschränkungen den Spaß nicht verderben.
Sehenswert aus der großen Riege von Akteuren ist auf jeden
Fall James McAvoy, der den unerschütterlichen Glauben und Optimismus von
Charles Xavier wieder herausragend verkörpert. Evan Peters’ Quicksilver kommt
diesmal ein wenig ernster daher, hat er doch damit zu kämpfen, zu entscheiden,
ob er sich seinem Vater offenbart, der von seiner Existenz nichts weiß. Dies
hindert ihn aber nicht an einem weiteren originellen und spektakulären
Speedauftritt. Obwohl diesmal der Überraschungseffekt aus „Days of Future Past“
fehlt, macht er genauso viel Spaß, wie beim ersten Mal. Kodi Smit-McPhee
schafft den Spagat, seinem Charakter Nightcrawler sowohl furchteinflößende als
auch komische Seiten zu verleihen. Für Michael Fassbender gibt es die
Gelegenheit, in shakespearehafter Manier um den Verlust seiner kitschig-schönen
kleinen Welt zu trauern, in die er sich dach seinem Scheitern in „Days of
Future Past“ geflüchtet hat, dies gerät allerdings eine Spur zu theatralisch.
Hugh Jackman zeigt einmal mehr, welche Präsenz er seinem Charakter Wolverine
über die Jahre verliehen hat. Nach seinem kurzen, sprachlosen Power-Einsatz sorgt
er paradoxerweise für einen der wenigen sehr stillen Momente des Films.
Wer den obligatorischen kurzen Hinweis auf kommende
Ereignisse nicht verpassen will, muss natürlich auch in diesem Film bis zum
letzten Buchstaben des kompletten Abspanns warten, wird hier der neue Schurke
für den finalen Wolverine-Film angekündigt?
Ausdrücklich betont sei zum Schluss, dass die Comicvorlagen
keine Grundlage für diese Rezension darstellen, inwieweit diese Vorlagen
adäquat umgesetzt wurden, bleibt der Beurteilung der Comicexperten vorbehalten.
Titel: X-Men: Apocalypse
Regie: Bryan Singer
Drehbuch: Simon Kinberg, nach einer Story von Bryan
Singer, Simon Kinberg, Michael Dougherty, Dan Harris
Musik: John Ottman
Visuelle Effekte: John Dykstra
Darsteller: James McAvoy, Michael Fassbender, Jennifer
Lawrence, Oscar Isaac, Nicholas Hoult, Rose Byrne, Tye Sheridan, Sophie Turner,
Olivia Munn, Lucas Till, Kodi Smit-McPhee, Evan Peters
Laufzeit: 144 min.
Deutscher Start: 19.Mai 2016