Als Martina (Leni Deschner) ein
Stipendium für das Johann-Sigismund-Gymnasium in Kirchberg im Alpenvorland erhält, ist sie überglücklich. Aber statt sich voll und ganz auf das Lernen
konzentrieren zu können, wird sie sofort in den seit etlichen Schülergenerationen
herrschenden Konflikt zwischen den Kindern, die im Internat leben und den Externen
aus dem Dorf hineingezogen. Der beliebte Lehrer und Internatsleiter Johann „Justus“
Bökh (Tom Schilling) versucht vergeblich zu vermitteln, ebenso wie der
Sonderling aus einem alten Bauwagen, genannt der „Nichtraucher“ (Trystan Pütter).
Vielleicht kann die Aufführung eines Theaterstücks am Ende des Schuljahres helfen,
die Wogen zu glätten, in dem die schöne Idee thematisiert wird, statt im öden
Klassenzimmer zu sitzen, lieber in einem Flugzeug um die Welt zu reisen, und den
Lehrstoff direkt vor Ort zu erleben…
Das Buch von Erich Kästner „Das fliegende Klassenzimmer“ aus
dem Jahr 1933 gilt schon längst als Klassiker des Jugend- und Schulromans und
wurde bereits mehrfach verfilmt, erstmals 1954, dann 1973 und 2003, vorliegend erhält
also eine weitere Schülergeneration ihre – vierte – Version. Wenn ein Stoff
auch nach neunzig Jahren noch eine aktuelle Relevanz hat – und die muss
er haben, sonst wäre er zu Recht längst abgelegt und als vergessen abgehakt –
dann ist es sicher legitim, einige Dinge aus der Ursprungsgeschichte der
jeweiligen Zeit etwas anzupassen. Allerdings sollte man sich davor hüten, dabei
allzu beliebig wesentliche Elemente so zu verändern, dass sie die Ursprungsintention
des Autors verwässern oder gar verfälschen, denn dann sollte man lieber etwas
ganz Neues schaffen und nicht das Angepasste als vermeintliche Verfilmung der
Vorlage zu präsentieren.
Aus dem ursprünglich reinen Jungeninternat eine Schule mit Mädchen und
Jungen zu machen, ist möglich, aber auch unnötig, denn im Kästner-Universum
gibt es bereits schöne und starke Mädchengestalten, wie Pünktchen, die doppelten
Lotten oder Pony Hütchen. Dass auch im Internat die Diversität Einzug gehalten
hat, ist gut und legitim, ebenso wie die Modifizierung von familiären
Hintergründen einzelner Schülerinnen und Schüler.
Dass man aber aus
dem starken Matz einen reinen Trainingschampion macht, dem Kämpfe ansonsten
aber nicht so liegen, verfremdet diese Figur schon sehr, was sicher der aktuellen
politischen Korrektheit geschuldet ist. Und dass man die Mutprobe des kleinen
Uli, mit einem Regenschirm vom Dach zu springen, was zwar drastisch, aber in
seiner Situation völlig nachvollziehbar ist, zu einem reinen, eigentlich
abgesicherten Kletterabenteuer mit anschließendem Unfall abmildert, wird dessen
Figur so überhaupt nicht gerecht. Auch die Schneeball-„Schlacht“ der Jugendlichen
wird zu einem noch harmloseren Strand- und Sandgeplänkel, nur keine
jugendlichen Zuschauerinnen und Zuschauer unnötig aufwiegeln, möchte man
denken, dabei verwässert man doch einiges, was die Seele der Buchvorlage
ausmacht, vor allem, wenn man bedenkt, was Jugendlichen in der heutigen Zeit
sonst so alles zugemutet wird.
Dann aber, und das
ist vielleicht der schwerwiegendste Makel, wird das Verhältnis zwischen dem
Lehrer Justus und dem Nichtraucher, das auf ursprünglich unbedingter
Freundschaft und Vertrauen fußte, was Justus letztlich zu dem gemacht hat, was
er heute ist, so lapidar abgehandelt, dass es fast schon schmerzt, und
letzteres kann man im Übrigen auch über den Song sagen, der alles wieder
herausreißen soll, was man vorher so lieblos bagatellisiert hat…
Und schließlich – last but not least – irritiert maßlos, dass in diesem
Film, der ja so unbedingt im Jetzt und Hier spielen soll, keiner der Jugendlichen
jemals ein Handy nutzt, außer, um damit Filmaufnahmen zu machen, ansonsten ist
alles so analog, wie es vielleicht zuletzt in den 1980ger Jahren war. Wer sieht,
wie sich Jugendliche heutzutage verständigen, wenn sie vor einem nebeneinandersitzen,
und sich statt zu unterhalten Handy-Nachrichten hin- und herschicken, der muss
sich fragen, in welchem Universum dieser Film eigentlich spielen soll, in diesem
unseren aktuellen kann es jedenfalls nicht sein, und das nach all den sonstigen
Bemühungen, zum Beispiel in Sprache und Attitüde, die Geschichte unbedingt in
die Gegenwart transportieren zu wollen.
Wer die Buchvorlage
nicht kennt, wird sich von diesen Kritikpunkten wahrscheinlich nicht so angesprochen
fühlen, man kann sich den Film unvoreingenommen durchaus als nette Schulgeschichte
anschauen, die zwar mit der Gegenwart – s.o. – trotz aller vorgeblichen
Aktualisierungen nicht so viel zu tun hat und sich auf jeden Fall an der
Leistung der jugendlichen
Darstellerinnen und Darstellern, die durchweg tadellos ist, erfreuen, aber
vielleicht sollte man auch wieder mehr lesen… Mancher Stoff ist tatsächlich so zeitlos,
dass er uns immer noch etwas zu sagen hat und in uns etwas berührt, und das sogar,
wenn er in einem längst vergangenen Umfeld und einer vergangenen Zeit spielt. Unter
Umständen kommt man dann auf den Geschmack, sich auch mit dem weiteren Werk dieses
bedeutenden deutschsprachigen Autors zu beschäftigen, den Kinder- und
Jugendbüchern, aber auch den Texten für Erwachsene. Und es gibt ja noch die
anderen Verfilmungen, von denen tatsächlich die aus dem Jahr 1954 die beste ist, und
dann heißt es, abzuwarten, wie die mögliche nächste Film-Variante ausfallen
wird...
Regie: Carolina Hellsgård
Drehbuch:
Gerrit Hermans, b/a auf dem Jugendbuch von Erich Kästner
Kamera: Moritz
Anton
Schnitt:
Charles Ladmira, Anna Kappelmann
Musik: Freya
Arde
Besetzung:
Tom Schilling, Trystan Pütter, Hannah
Herzsprung, Leni Deschner, Lovena Börschmann Ziegler, Morten Völlger, Wanja
Valentin Kube, Franka Roche, Jördis Triebel
Leonine/ UFA Fiction
Produktion
D 2023
89 min.
FSK 0
Deutscher Kinostart:
12. Oktober 2023
Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=m9WgkyeeKSM