Blog-Archiv

Mittwoch, 25. Oktober 2023

Im Kino: Die Theorie von Allem

Der junge Johannes Leinert (Jan Bülow) reist im Jahr 1962 mit seinem Doktorvater (Hanns Zischle) in die Schweizer Alpen, wo ein iranischer Physiker auf einem Kongress etwas Bahnbrechendes im Bereich der Quantenmechanik vorstellen soll. Als der Iraner nicht erscheint, genießen die anderen angereisten Teilnehmer die Vorzüge der Bergwelt, während sich Johannes seiner Doktorarbeit widmet, die sich mit einem von der Fachwelt und auch seinem Doktorvater eher belächelten Grenzbereich, der möglichen Existenz von sogenannten Vielwelten, beschäftigt. Eines Tages begegnet Johannes einer jungen Pianistin, die viel über ihn zu wissen scheint, dann gibt es einen Toten und rund um das Hotel geschehen immer mysteriösere Dinge…

Erzählt wird hier etwas, das zunächst wie eine eher trockene Wissenschaftsgeschichte beginnt, die sich dann mehr und mehr in faszinierende Grenzbereiche vorwagt, dies gilt sowohl für die Theorie des jungen Physikers zwischen etablierter Physik und neuen Visionen, als auch für die ansonsten ineinander verwobenen Themen, die sich keinem Genre eindeutig zuordnen lassen. Elemente des (Polit)Krimis wechseln mit solchen der Science-Fiction, dabei wird die Idee eines möglichen Multiversums auf so ungewöhnliche Weise präsentiert, wie man es noch nicht gesehen hat. Es gibt eine Liebesgeschichte und dazwischen mystische Momente und Augenblicke von poetischer Schönheit, die es schwer machen, alles auf Anhieb passend einzuordnen, das Ganze untermalt von betörender Musik und wunderschönen, kontrastreichen Schwarz-Weiß-Bildern.

Der Film "Die Theorie von Allem" macht seinem Titel tatsächlich alle Ehre und erweist sich in jeder Hinsicht als ungewöhnlich, sperrig, poetisch und faszinierend, weitab vom gängigen Mainstream, ein Film, den man mehrfach sehen und immer wieder neue Dimensionen darin entdeckt kann.

 


 Regie: Timm Kröger

Drehbuch: Roderick Warich, Timm Kröger

Kamera: Roland Stuprich

Schnitt: Jann Anderegg

Musik: Diego Ramos Rodriguez, David Schweihard

 

Besetzung:

Jan Bülow, Olivia Ross, Hanns Zischler, Gottfried Breitfuss, David Bennent, Philippe Graber, Imogen Kogge, Dominik Graf (Erzähler)

 

Neue Visionen

2023

118 min.

FSK 6

Deutscher Kinostart: 26. Oktober 2023

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=X033YCVIH9M

 

Mittwoch, 18. Oktober 2023

Im Kino: Killers of the Flower Moon

Anfang der 1920ger Jahre residiert der Rinderbaron William Hale (Robert De Niro) in einem Landstrich von Oklahoma, der ansonsten vom stolzen Stamm der Osage bewohnt wird. Hale geriert sich als Freund der Osage, spricht sogar ihre Sprache, und er sieht es gern, dass sein gerade aus dem ersten Weltkrieg heimgekehrter Neffe Ernest Burkhart (Leoardo DiCaprio) die indigene Mollie (Lily Gladstone) heiratet. Als sich seltsame Todesfälle unter den Osage häufen, nimmt zunächst niemand groß Notiz davon, bis ein gewisser J. Edgar Hoover, der gerade in Washington dabei ist, eine neue Polizeieinheit zu gründen, einen Agenten (Jesse Plemons) schickt und erst dadurch eines der bemerkenswertesten Verbrechen der US-Geschichte aufgeklärt wird.

Die Geschichte ist wahr: Anfang des letzten Jahrhunderts erhielt der indigene Stamm der Osage von der US-Regierung ein Siedlungsgebiet im Bundesstaat Oklahoma zugewiesen. Eigentlich ein öder Landstrich, doch dann sprudelten dort unerwartet mächtige Ölquellen und die Osage wurden plötzlich zum Volk mit dem zeitweise höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt. Klugerweise wurde festgelegt, dass die jeweiligen Anteile an den Ölvorkommen von den Eigentümern und Eigentümerinnen nicht verkauft, sondern nur innerhalb der Familie vererbt werden konnten, um einen Ausverkauf der Rechte zu verhindern. Leider hatte der immense Reichtum der Osage eine Anziehungskraft auf (weiße) Glücksritter, Gauner und Diebe wie ein Scheißhaufen auf Schmeißfliegen. Durch Heirat mit Osage-Frauen und deren nicht weiter hinterfragtes anschließendes Ableben konzentrierten sich irgendwann die Öl-Anteile in nur noch wenigen Händen und erst das Einschreiten des neugegründeten FBI konnte den Skandal zumindest aufdecken, der sich hier über Jahre fast unbemerkt vollzogen hatte.

Scorsese hat aus diesem Stoff ein episches Werk geschaffen, das er detailreich ausbreitet und wofür er sich fast 3 ½ Stunden gönnt. Dies ist am Ende dann doch etwas zu viel des Guten, denn er hält nicht lange hinter dem Berg, wer hinter diesem einmaligen Verbrechen steckt, so dass eine spannende Tätersuche erst gar nicht stattfindet, wie es wohl zu Beginn des Projekts vorgesehen war, als Scorseses Leib- und Magenschauspieler DiCaprio noch als Ermittler vorgesehen war. Nachdem dieser nun die Rolle des Kriegsheimkehrers Burkhart spielt, wird das Ganze zu einer Charakterstudie über Menschen, die gar keinen Charakter haben, was auf Dauer dann eben ein wenig ermüdend ist. Dabei erklärt der Film trotz seiner Länge nie die oben beschriebenen genauen Details des Ölrechte-Hintergrunds, ebenso wenig gibt er Aufschluss darüber, weshalb die Osage-Frauen reihenweise zwielichtige weiße Männer ehelichten und weshalb dies nicht zu irgendeinem Zeitpunkt von den Osage selbst hinterfragt wurde.

Der labile Burkhart, der von seinem Onkel manipuliert wird, sowie der smarte und gerissene Rinderbaron Hale, den man gerne auch einmal „King“ nennen darf, weil er sich genauso geriert, das sind vordergründig durchaus interessante Charaktere, die von beiden Darstellern auch sehenswert dargestellt werden. Allerdings haben sie nicht die im Vorfeld immer mal wieder angedeutete Vielschichtigkeit, ihre vorgebliche Liebe und Achtung für die Osage ist nur vorgetäuscht, beide sind und bleiben schlechte Menschen, die zu ihrem eigenen Vorteil Schlechtes tun, schlicht und einfach, da hilft es auch nicht, dass sie von zwei so beliebten Heroen des Scorsese-Universums verkörpert werden, und es ist anstrengend, diesen durchgehend unsympathischen Figuren über die gesamte Länge des Films zuzusehen, dies gilt ebenso für die übrigen Weißen Halunken, die sich im Dunstkreis von Hale tummeln, die tumb und primitiv sind und demgemäß genauso handeln, wie man es von dieser Art Menschen erwartet.

Ansonsten gibt es breit angelegte pittoresken Szenen des Alltags der Osage, unterfüttert mit immer wieder eingestreuten authentischen alten Bildern, aber weitergetrieben wird die Handlung dabei nicht, so dass man irgendwann nur noch darauf hofft, dass die Verbrechen, die hier offensichtlich so lange unentdeckt geschehen sind, endlich aufgedeckt und gesühnt und die dafür Verantwortlichen ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. Hierfür hat sich Scorsese dann einen recht originell gestalteten Schlussakkord ausgedacht, in dem er selbst sogar mit einstimmt, wobei es natürlich, aber das wusste man (leider) auch schon vorher, eine wahre Gerechtigkeit hier auf Erden sowieso nicht gibt.

Ein Film für Menschen mit Sitzfleisch, die Lust auf eine außergewöhnliche, in epischer Breite erzählte (wahre) Geschichte haben, für DiCaprio-Fans, die sich nicht daran stören, dass ihr Held fast durchgehend mürrisch und tumb herumläuft und DeNiro-Fans, die ihren Held vergangener Tag noch einmal mit einigem Engagement bei der Arbeit sehen wollen, und alle diejenigen, die sich zu Hause beim Serien-Gucken schon wieder langweilen und sich stattdessen einen langen Kinoabend unter Gleichgesinnten gönnen möchten.

 

 

Regie: Martin Scorsese

Drehbuch: Eric Roth, Martin Scorsese, b/a Buch von David Grann

Kamera: Rodrigo Prieto

Schnitt: Thelma Schoonmaker

Musik: Robbie Robertson

 

Besetzung:

Leonardo DiCaprio, Robert De Niro, Lily Gladstone, Jesse Plemons, Tantoo Cardinal, Cara Jade Myers, Jillian Dion, William Belleau, Scott Shepherd, Yancey Red Corn, Tatanka Means, Brendan Fraser, John Lithgow,

 

Apple Studios/ Paramount Pictures

USA 2023

206 min.

FSK 12

Deutscher Kinostart: 19. Oktober 2023

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=suOAO57pGSQ (Deutsch)

https://www.youtube.com/watch?v=EP34Yoxs3FQ (Englisch)

 

 

 

Im Kino: Ein Fest fürs Leben

Dieter Salzmann (Christoph Maria Herbst) organisiert mit seinem Team Veranstaltungen und verspricht, jede Hochzeitsfeier zu einem einmaligen Erlebnis und zum schönsten Tag im Leben eines Brautpaares werden zu lassen. Leider klaffen zwischen Theorie und dem realen Leben oft Welten, und so steht das Fest für die zukünftigen Eheleute Lasse (Ulrich Brandhoff)) und Leonie (Mira Benser) trotz der tollen Location auf einem Schloss unter keinem guten Stern. Insgeheim hat Dieter bereits beschlossen, sich nach diesem Event aus dem Business zurückzuziehen, allerdings steht ihm bis dahin noch ein gewaltiges Stück Arbeit bevor, aber diese Feier wird auf jeden Fall eins: unvergesslich…

Wer von deutschen Komödien normalerweise eher nicht so begeistert ist, sollte hier einmal die Vorurteile beiseiteschieben, denn es darf gelacht werden, die meisten Gags zünden, Timing und Darbietung stimmen, alles ist wunderbar aufeinander abgestimmt, die Running-Gags sind hervorragend platziert und alle Akteure liefern in diesem ausgewiesenen Ensemblefilm allesamt eine wunderbare Arbeit ab. Allen voran bietet Christoph Maria Herbst eine gleichermaßen zurückhaltende, berührende aber auch die Handlung vorantreibende Darstellung, weit weg von seinem auf Dauer doch ermüdenden Stromberg-Charakter. Ihm ist es zu verdanken, dass das Ensemble funktioniert, er hält die Fäden in der Hand und bietet gleichzeitig Raum für Nebenfiguren wie den sich durchs Buffet fressenden Fotografen (Jörg Schüttauf) und den leicht durchgeknallten Band-Chef (Marc Hosemann), der sich nicht immer an alle Vorgaben hält.

Ein Grund, dass die Komödie funktioniert, liegt sicher daran, dass es bereits eine gute Vorlage gab, nämlich den französischen Film „Das Leben ist ein Fest“ (2017) von den Machern von „Ziemlich beste Freunde“, Olivier Nakache und Eric Toledano, an dem man sich hier sehr stark orientiert. Wer jenen Film gesehen hat, wird Vieles wiedererkennen, aber dennoch entwickelt die deutsche Fassung ihren eigenen Stil, der dem Original in nichts nachsteht, an manchen Stellen sogar etwas darüber hinausgeht.

Eine von einer klugen Regiehand geleitetet humorige Komödie, die die sonst häufig anzutreffende Überspanntheit vermeidet, die mit Witz das zeigt, was hinter den Kulissen eines scheinbar gutgeölten Ablaufs alles schief gehen kann, ohne die üblichen Schenkelklopfwitze und peinlichen Entgleisungen, getragen von einer Riege von Darstellern mit Gefühl für Situationskomik: so sollte Komödie sein.

 


 Regie: Richard Huber

Drehbuch: Richard Huber

Kamera: Jörg Widmer

Schnitt: Knut Hake

Musik: Regina Reis

 

Besetzung:

Christoph Maria Herbst, Marc Hosemann, Cynthia Micas, Jasmin Shakeri, Anne Schäfer, Jörg Schüttauf, Pit Bukowski, Johannes Allmayer, Ben Münchow, Sahin Eryilmaz, Ulrich Bradhoff, Mira Benser, Piet Fuchs, Rainer Bock, Ernst Stötzner, sowie Wotan Wilke Möhring und  Bettina Lamprecht

 

Warner Bros. Germany

2023

105 min.

FSK 0

Deutscher Kinostart: 19. Oktober 2023

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=ng60bzRF2NU

 

 

Mittwoch, 11. Oktober 2023

Im Kino: DogMan

Als Kind wird Doug (Linoln Powell/ später Caleb Landry Jones) von seinem Vater (Clemens Schick) brutal misshandelt und für lange Zeit mit einer Meute aggressiver Hunde in einem Zwinger eingesperrt. Wider Erwarten gelingt es ihm, auf wundersame Weise zu diesen ebenfalls von seinem Vater geschundenen Tieren eine innige Beziehung zu entwickeln. Als Erwachsener gründet er, der menschliche Außenseiter, ein Tierheim für ausgesetzte Hunde, die von ihm gehegt und gepflegt werden, bis sie ihm bedingungslos gehorchen und zu Freunden, Vertrauten, Beschützern und sogar Komplizen bei einem einzigartigen Beutezug werden…

So merkwürdig verschroben der Plot klingen mag, alles an dem Film überzeugt in jedem einzelnen Moment. Das Schicksal des vom Leben gezeichneten, meistenteils im Rollstuhl sitzenden Doug ist mitreißend erzählt, es gibt tragische, melancholische, aber durchaus auch humorvolle Momente, und Luc Besson gelingt es, das Bild eines innerlich zerrissen Mannes zu zeichnen, in dem jeder einen Freak sieht, der außer von seinen Hunden niemals Zuwendung erfahren hat, aber dennoch, nachdem er seine Bestimmung im Leben gefunden zu haben scheint, endlich in sich ruht.

Erzählt wird die ganze Geschichte von Doug selbst, als er sich einer Psychologin (Jojo T. Gibbs) öffnet und in Rückblenden sein ganzes Leben Revue passieren lässt, wobei die verschiedenen Zeitebenen geschickt miteinander verwoben werden, bis am Ende ein Bild aus einem Guss entsteht. Die tierischen Darsteller agieren dabei so überzeugend, dass es eine wahre Freude ist, ihnen zuzuschauen, wie sie aufs Wort gehorchend, immer aber auch über das innere Band mit ihrem menschlichen Freund verbunden, dessen Wünsche und Befehle erfassen, um sie dann sogleich perfekt umzusetzen, das macht, bei aller Tragik der übrigen Handlung, einfach nur Spaß. Aber vor allem der grandiose Caleb Landry Jones lässt diesen Film zu einem Erlebnis werden, seine Darstellung ist absolut berührend und, bisher zumindest, die beste Leistung eines Akteurs in diesem Jahr. Er scheint seine Figur mit jeder Faser seines Körpers zu spüren und die Ausdruckskraft seiner Mimik und Gestik sollte mindestens eine Oscar-Nominierung wert sein, falls es nicht zumindest dazu kommt, wäre dies ein Grund, den Wert dieser Auszeichnung endgültig in Frage zu stellen.

Wer Hunde mag, nicht vor drastischen Bildern zurückschreckt, von denen es durchaus einige gibt, und wer einen außergewöhnlichen Film mit einem überragenden Protagonisten sehen möchte, sollte sich diesen in jeder Hinsicht berührenden Film auf keinen Fall entgehen lassen!

 

Über Hunde: "Soweit ich das beurteilen kann, haben sie nur einen Fehler: Sie vertrauen Menschen" (Douglas Munrow)

 

Regie: Luc Besson

Drehbuch: Luc Besson

Kamera: Colin Wandersman

Schnitt: Julien Rey

Musik: Éric Serra

 

Besetzung:

Caleb Landry Jones, Jojo T. Gibbs, Christopher Denham, Clemens Schick, Adam Speers, Lincoln Powell

 


Alamode Film

2023

113 min.

FSK

Deutscher Kinostart: 12. Oktober 2023

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=S3nHBJo_nH8 (Deutsch)

https://www.youtube.com/watch?v=Ee8M92BxMZg (Englisch)

 

 

 

Im Kino: Das Fliegende Klassenzimmer

Als Martina (Leni Deschner) ein Stipendium für das Johann-Sigismund-Gymnasium in Kirchberg im Alpenvorland erhält, ist sie überglücklich. Aber statt sich voll und ganz auf das Lernen konzentrieren zu können, wird sie sofort in den seit etlichen Schülergenerationen herrschenden Konflikt zwischen den Kindern, die im Internat leben und den Externen aus dem Dorf hineingezogen. Der beliebte Lehrer und Internatsleiter Johann „Justus“ Bökh (Tom Schilling) versucht vergeblich zu vermitteln, ebenso wie der Sonderling aus einem alten Bauwagen, genannt der „Nichtraucher“ (Trystan Pütter). Vielleicht kann die Aufführung eines Theaterstücks am Ende des Schuljahres helfen, die Wogen zu glätten, in dem die schöne Idee thematisiert wird, statt im öden Klassenzimmer zu sitzen, lieber in einem Flugzeug um die Welt zu reisen, und den Lehrstoff direkt vor Ort zu erleben…

Das Buch von Erich Kästner „Das fliegende Klassenzimmer“ aus dem Jahr 1933 gilt schon längst als Klassiker des Jugend- und Schulromans und wurde bereits mehrfach verfilmt, erstmals 1954, dann 1973 und 2003, vorliegend erhält also eine weitere Schülergeneration ihre – vierte – Version. Wenn ein Stoff auch nach neunzig Jahren noch eine aktuelle Relevanz hat – und die muss er haben, sonst wäre er zu Recht längst abgelegt und als vergessen abgehakt – dann ist es sicher legitim, einige Dinge aus der Ursprungsgeschichte der jeweiligen Zeit etwas anzupassen. Allerdings sollte man sich davor hüten, dabei allzu beliebig wesentliche Elemente so zu verändern, dass sie die Ursprungsintention des Autors verwässern oder gar verfälschen, denn dann sollte man lieber etwas ganz Neues schaffen und nicht das Angepasste als vermeintliche Verfilmung der Vorlage zu präsentieren.

Aus dem ursprünglich reinen Jungeninternat eine Schule mit Mädchen und Jungen zu machen, ist möglich, aber auch unnötig, denn im Kästner-Universum gibt es bereits schöne und starke Mädchengestalten, wie Pünktchen, die doppelten Lotten oder Pony Hütchen. Dass auch im Internat die Diversität Einzug gehalten hat, ist gut und legitim, ebenso wie die Modifizierung von familiären Hintergründen einzelner Schülerinnen und Schüler.

Dass man aber aus dem starken Matz einen reinen Trainingschampion macht, dem Kämpfe ansonsten aber nicht so liegen, verfremdet diese Figur schon sehr, was sicher der aktuellen politischen Korrektheit geschuldet ist. Und dass man die Mutprobe des kleinen Uli, mit einem Regenschirm vom Dach zu springen, was zwar drastisch, aber in seiner Situation völlig nachvollziehbar ist, zu einem reinen, eigentlich abgesicherten Kletterabenteuer mit anschließendem Unfall abmildert, wird dessen Figur so überhaupt nicht gerecht. Auch die Schneeball-„Schlacht“ der Jugendlichen wird zu einem noch harmloseren Strand- und Sandgeplänkel, nur keine jugendlichen Zuschauerinnen und Zuschauer unnötig aufwiegeln, möchte man denken, dabei verwässert man doch einiges, was die Seele der Buchvorlage ausmacht, vor allem, wenn man bedenkt, was Jugendlichen in der heutigen Zeit sonst so alles zugemutet wird.

Dann aber, und das ist vielleicht der schwerwiegendste Makel, wird das Verhältnis zwischen dem Lehrer Justus und dem Nichtraucher, das auf ursprünglich unbedingter Freundschaft und Vertrauen fußte, was Justus letztlich zu dem gemacht hat, was er heute ist, so lapidar abgehandelt, dass es fast schon schmerzt, und letzteres kann man im Übrigen auch über den Song sagen, der alles wieder herausreißen soll, was man vorher so lieblos bagatellisiert hat…

Und schließlich – last but not least – irritiert maßlos, dass in diesem Film, der ja so unbedingt im Jetzt und Hier spielen soll, keiner der Jugendlichen jemals ein Handy nutzt, außer, um damit Filmaufnahmen zu machen, ansonsten ist alles so analog, wie es vielleicht zuletzt in den 1980ger Jahren war. Wer sieht, wie sich Jugendliche heutzutage verständigen, wenn sie vor einem nebeneinandersitzen, und sich statt zu unterhalten Handy-Nachrichten hin- und herschicken, der muss sich fragen, in welchem Universum dieser Film eigentlich spielen soll, in diesem unseren aktuellen kann es jedenfalls nicht sein, und das nach all den sonstigen Bemühungen, zum Beispiel in Sprache und Attitüde, die Geschichte unbedingt in die Gegenwart transportieren zu wollen.

Wer die Buchvorlage nicht kennt, wird sich von diesen Kritikpunkten wahrscheinlich nicht so angesprochen fühlen, man kann sich den Film unvoreingenommen durchaus als nette Schulgeschichte anschauen, die zwar mit der Gegenwart – s.o. – trotz aller vorgeblichen Aktualisierungen nicht so viel zu tun hat und sich auf jeden Fall an der Leistung der  jugendlichen Darstellerinnen und Darstellern, die durchweg tadellos ist, erfreuen, aber vielleicht sollte man auch wieder mehr lesen… Mancher Stoff ist tatsächlich so zeitlos, dass er uns immer noch etwas zu sagen hat und in uns etwas berührt, und das sogar, wenn er in einem längst vergangenen Umfeld und einer vergangenen Zeit spielt. Unter Umständen kommt man dann auf den Geschmack, sich auch mit dem weiteren Werk dieses bedeutenden deutschsprachigen Autors zu beschäftigen, den Kinder- und Jugendbüchern, aber auch den Texten für Erwachsene. Und es gibt ja noch die anderen Verfilmungen, von denen tatsächlich die aus dem Jahr 1954 die beste ist, und dann heißt es, abzuwarten, wie die mögliche nächste Film-Variante ausfallen wird...

 

 

Regie: Carolina Hellsgård

Drehbuch: Gerrit Hermans, b/a auf dem Jugendbuch von Erich Kästner

Kamera: Moritz Anton

Schnitt: Charles Ladmira, Anna Kappelmann

Musik: Freya Arde

 

Besetzung:

Tom Schilling, Trystan Pütter, Hannah Herzsprung, Leni Deschner, Lovena Börschmann Ziegler, Morten Völlger, Wanja Valentin Kube, Franka Roche, Jördis Triebel

 

Leonine/ UFA Fiction Produktion

D 2023

89 min.

FSK 0

Deutscher Kinostart: 12. Oktober 2023

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=m9WgkyeeKSM

 

 


Mittwoch, 4. Oktober 2023

Heimkino: The Pursuit of Love

Im England der 1920ger Jahre, der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, träumen Linda Radlett (Lily James) und Fanny Logan (Emily Beecham), gleichzeitig Cousinen und beste Freundinnen, von Liebe und Romantik, aber auch davon, aus ihrem öden Leben auf dem Land auszubrechen, das für junge Mädchen nichts wirklich Aufregendes bereithält. Von dem exzentrischen Nachbarn, Lord Merlin (Andrew Scott), inspiriert, versucht Linda Radlett das Leben zu führen, das sie sich erträumt, aber auch aus dem schönsten Traum gibt es irgendwann einmal ein Erwachen…

Diese Miniserie aus dem Jahr 2021 bietet in drei Episoden von jeweils etwa einer Stunde Laufzeit auf leichte und beschwingte Weise einen vergnüglichen Einblick in das Leben zweier jungen Frauen, die das Korsett, in dem sie eingeschnürt sind, zu sprengen versuchen. Obwohl beste Freundinnen, sind beide letztlich doch so unterschiedlich, dass ihre Lebenswege sich mehr und mehr voneinander entfernen, je erwachsener sie werden, aber die schönste Botschaft dieser Geschichte ist, dass das Band ihrer Liebe und Freundschaft zueinander allen Irrungen und Wirrungen zum Trotz hält.

Die gut geschriebene und liebevoll in Szene gesetzte Geschichte wird von ihren zwei wunderbaren Darstellerinnen getragen und die ebenfalls bestens besetzten Nebenfiguren runden das Vergnügen ab, das allen voran Andrew Scotts exzentrischer Lord Merlin unter anderem bei seinem ikonischen Tanz als „Dandy in the Underworld“ im seidenen Pyjama abliefert, definitiv ein Hingucker auf jeder öden Party!

 


 

Regie: Emily Mortimer

Drehbuch: Emily Mortimer, b/a dem Roman von Nancy Mitford

Kamera: Zac Nicholson

Schnitt: Gareth C. Seales, Rachel Durance, Mark Elliott

Musik: Clint Mansell

 

Besetzung:

Lily James, Emily Beecham, Dominic West, Andrew Scott, Emily Mortimer, Dolly Wells, Don Heffernan,

 

BBC One/ Amazon Studios

2020/ 2021

156 min. (3 Episoden)

FSK 12

Seit 29. September auf DVD (Sprache: Deutsch, Englisch; Untertitel: Deutsch)

 

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=INGwTmOsLB0 (Deutsch)

https://www.youtube.com/watch?v=PHPPfLSCLs8 (Englisch)

 

Im Kino: Der Exorzist: Bekenntnis (The Exorcist: Believer)

Victor Fielding (Leslie Odom Jr.) muss seit dem Tod seiner Frau vor zwölf Jahren seine Tochter Angela (Lidya Jewett) alleine großziehen. Als Angela mit ihrer Freundin Katherine (Olivia Marcum) von einem Ausflug in den Wald erst nach drei Tagen zurückkehrt, ist plötzlich nichts mehr, wie es war, denn eine böse Macht scheint in die beiden gefahren zu sein. In seiner Not bittet Victor Chris MacNeil (Ellen Burstyn), deren Tochter vor langer Zeit ein ähnliches Schicksal erlitten hat, um Hilfe…

Der Film knüpft an den Horror-Schocker von1973 an, der seinerzeit Maßstäbe für dieses Genre gesetzt hat und lässt diesmal gleich zwei junge Mädchen in die Fänge des Bösen geraten. Die Institution Kirche ist jedoch diesmal eher zurückhaltend, insofern ist der Titel ein wenig irreführend, denn es macht sich nicht ein kirchlicher Exorzist mit seinem Helfer ans Werk, diesmal ist es ein ganzes Kollektiv, das sich zusammenschließt, um gemeinsam zum Erfolg zu kommen, und diese Gemeinschaft ist es auch, die im Vordergrund steht. Irreführend ist aber ebenfalls der deutsche Subtitel „Bekenntnis“ im Gegensatz zum Original „Believer“, da er letztlich in eine falsche Richtung weist und damit sogar ein Hauptthema, nämlich die Wandlung eines der Protagonisten, verfälscht.

Zwar kommt man mit dem Glauben und dessen Insignien allein offensichtlich in diesen Tagen nicht mehr weiter, das Kreuz wendet sich sogar in drastischer Weise als Waffe gegen die, die es im Kampf gegen das Böse nutzen. Aber wenn man den Begriff des „Glaubens“ nicht mehr im rein kirchlich-religiösen Kontext versteht, sondern ihn mit allem unterfüttert, was es sonst noch an starken Elementen gibt, die eine Kraft entfalten können, wie zum Beispiel Vertrauen oder Liebe, dann ist man auch heute noch nicht ganz verloren, sondern hat die Mittel, sich gegen böse Kräfte durchzusetzen.

In Szene gesetzt ist das Ganze optisch wie akustisch mit den immer wieder gern genutzten Versatzstücken, hier gibt es keine großen Überraschungen, aber auch wenn man die Mechanismen des Genres durchschaut, manches auf dieser Ebene des Schreckens funktioniert eben verlässlich und die eingesetzten Effekte verfehlen ihre Wirkung nicht.

Dennoch kann der Film am Ende nicht an sein großes Vorbild anknüpfen, nichts wirkt wie aus einem Guss und alles bleibt mehr oder weniger Stückwerk, der Einsatz des Tubular-Bells-Themas allein reicht nicht, um den Schrecken von einst in angemessener Weise wieder aufleben zu lassen, und wenn es schon gelungen ist, Ellen Burstyn mit an Bord zu holen, dann hätte man ihr einen angemesseneren Einsatz gewünscht.

 


 Regie: David Gordon Green

Drehbuch: Peter Sattler, David Gordon Green, Scott Teems, Danny McBride, b/a den Figuren aus dem Roman von William Peter Blatty

Kamera: Michael Simmonds

Schnitt: Timothy Alverson

Musik:  Amman Abbasi, David Wingo

 

Besetzung:

Ellen Burstyn, Ann Dowd, Jennifer Nettles, Leslie Odom jr., Lidya Jewett, Olivia O’Neill, Raphael Sbarge, E.J. Bonilla, Danny McCarthy

 

Universal Pictures

2023

121 min.

FSK 16

Deutscher Kinostart: 05.Oktober 2023

 

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=-t_AJ9699mY (Deutsch)

https://youtu.be/PIxpPMyGcpU (Englisch)