Brasilien in den 1950ger Jahren: Die Schwestern Euridice
(Carol Duarte) und Guida (Julia Stockler) blicken erwartungsvoll in die
Zukunft, von der sie hoffen, dass sich ihrer beider Träume und Hoffnungen
erfüllen werden, denen sie im Haus ihrer konservativen Eltern nachhängen.
Euridice ist eine begabte Pianistin und wünscht sich nichts sehnlicher als eine
Ausbildung an einem entsprechenden Konservatorium, während die lebenslustige
Guida auf der Suche nach Liebe und dem Mann ihres Lebens ist. Der innige
Zusammenhalt der Schwestern wird eines Tages durch unglückliche Umstände
zerrissen, an diesem Schicksal trägt ihr engstirniger und unerbittlicher Vater
(Antonio Fonseca) die Schuld, Euridice und Guida werden getrennt, aber die
Sehnsucht nach der jeweils anderen und dem Leben, das sie eigentlich hätten
führen wollen, wird sie den Rest ihres Lebens nicht mehr loslassen.
Was wie eine schreckliche Kitschschmonzette klingt, ist ein
stimmungsvolles Melodram geworden, das sich nicht scheut, Gefühle in epischer
Breite zu entfalten und dabei in ästhetischen, aber auch je nach Situation
durchaus ungeschminkten Bildern zu schwelgen, wodurch die Tragik der Geschichte
für den Zuschauer fast körperlich fühlbar wird. Die den Träumen der Schwestern
entgegenstehende Wirklichkeit ist eine von Männern bestimmten Welt, in die
Frauen sich fügen müssen, ganz gleich, welche Wünsche sie selbst haben. Eine
Frau hat glücklich zu sein, wenn sie von einem Mann erwählt wird, der sie mit Unterhalt
und Kindern versorgt, dabei werden alsbald jegliche romantischen Vorstellungen
von Liebe durch die ernüchternde bis abstoßende Realität der ehelichen und
sexuellen Realität beseitigt, bis man sich irgendwann aneinander gewöhnt hat
und das Leben auf einem gleichförmig gewordenen Level stagniert, so war es, und
so soll es möglichst immer bleiben.
Man kann den Film als Kritik an den gesellschaftlichen
Umständen der Zeit und des Landes Brasilien verstehen, was die Schuld des
Vaters relativiert, der, diesem Zeitgeist geschuldet, in seinen Augen das
Richtige tat. Aber das Leben von Frauen wird auch heute noch von
Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten begleitet, in dem einen Land weniger, in
dem anderen mehr. Entscheidend ist, sich nicht von erstarrten Konventionen
fesseln zu lassen, ein zeitloser Auftrag an alle, die sich eine freie
Gesellschaft wünschen, in der jeder nach seiner Façon glücklich werden darf,
gleichgültig, ob Frau oder Mann.
Dass nun ausgerechnet ein männlicher Regisseur den Film in
Szene gesetzt hat, scheint ein Anachronismus zu sein, aber letztlich kann es
auf die Frage, ob ein Mann einen solchen „Frauenfilm“ drehen darf, nur eine
Antwort geben: Ja natürlich, wenn der Film gut ist – und dieser ist es! Erst
wenn das geschlechtliche Hinterfragen einer Leistung nicht mehr automatisch
erfolgt, sondern die gleichberechtigte Möglichkeit sich zu verwirklichen für
alle gegeben ist, sind die Probleme, die dieser Film anprangert, überwunden und
wir sind da angelangt, wo wir hinwollen…
Regie: Karim Aïnouz
Drehbuch:
Murilo Hauser, Inés Bortagaray, Karim Aïnouz; b/a dem
Roman "A Vida Invisível de Eurídice Gusmão" von Marta Batalha
Kamera: Hélène
Louvart
Musik:
Benedikt Schiefer
Darsteller:
Julia Stockler, Carol
Duarte, Flávia Gusmão, António Fonseca, Hugo Cruz, Nicolas Antunes, Maria
Manoella
Piffle Medien GmbH
Brasilien/
Deutschland 2019
139 min.
Deutscher Kinostart:
26. Dezember 2019